John C. Lennox

Joseph


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befahl, Isaak zu nehmen und ihn auf dem Berg Morija zu opfern. Das war eine moralisch verwirrende und emotional verheerende Aufforderung, da alle Hoffnungen Abrahams auf eine bedeutende Nachkommenschaft nun auf Isaak ruhten. Und doch hatte Gott verheißen, dass es nachfolgende Generationen geben würde, und so schlussfolgerte Abraham – wie Paulus es uns beschreibt –, dass Gott sein Versprechen auch dann erfüllen würde, wenn Er Isaak wieder von den Toten auferwecken müsste. Doch gerade als Abraham dabei war, seinen Sohn zu opfern, griff Gott ein und sagte: „Denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest“ (22,12) und zeigte Abraham einen Widder im Gestrüpp, den er nahm und an Isaaks Stelle opferte.

      Die zweite Geschichte in Josephs Erinnerungen ist die romantische Beschreibung, wie Abraham eine Frau für Isaak fand. Er sandte seinen treuen Diener zurück in die Gegend von Haran, von wo er ursprünglich ausgezogen war, um eine Braut für Isaak unter Abrahams Verwandten zu suchen. Der Diener betete um Gottes Führung, und an einem Brunnen traf er eine hübsche junge Frau, die Wasser für seine Kamele schöpfte und ihm sagte, dass sie zu Abrahams Großfamilie gehörte. Ausgiebige Diskussionen folgten, und der Diener beschrieb Isaak, den Sohn Abrahams, in einer Art und Weise, dass Rebekka überredet wurde, ihre Familie zu verlassen und mit Abrahams Diener zurückzureisen, um einen Mann zu heiraten, den sie nie gesehen hatte (siehe 1. Mose 24).

      Kurz darauf starb Abraham (25,8), und mit seinem Tod endet der vierte Abschnitt des ersten Buches Mose.

      Isaak und seine Söhne

      Wir kommen nun zum Bericht über die zweite Generation, über Isaak und seine Söhne, Jakob und Esau.

      Abschnitt 5: Isaak und seine Söhne (1. Mose 25,12–35,29)

      Da Jakob der Vater Josephs werden wird, ist es wichtig, Jakob genauer kennenzulernen, um dann Joseph zu verstehen. Wie bei Abraham steht auch bei Jakobs Geburt eine Frau im Mittelpunkt, die keine Kinder empfangen kann. Isaak brachte die Verzweiflung seiner Frau Rebekka im Gebet vor Gott, und sie wurde mit Zwillingen schwanger. Esau wurde vor seinem Bruder Jakob geboren, dessen winzige Hand Esaus Ferse festhielt – ein Umstand, der zu seinem Namen führte.

      Der Name Jakob wird im Hebräischen abgeleitet von einem Wort, das „Ferse“ bedeutet und mit einem Verb verwandt ist, das „auf dem Absatz folgen, angreifen, überlisten oder verdrängen“ bedeutet, und das mit einem Adjektiv für „betrügerisch“ verwandt ist. Wir werden sehen, dass der Name absolut passend war.

      Die Jungen wurden so verschieden wie Tag und Nacht. Esau wurde ein Jäger und war gern in der wilden Natur, während Jakob das ruhigere Leben eines Schafhirten vorzog. Die Eltern hatten jeweils ihre Lieblingskinder; Isaak bevorzugte Esau und Rebekka Jakob.

      Das erste wichtige Ereignis in ihrem Erwachsenenleben, von dem berichtet wird, ist der Tag, als Esau vom Jagen erschöpft nach Hause kommt und sieht, wie Jakob ein leckeres Linsengericht gekocht hat. Er bittet darum, etwas essen zu dürfen, und Jakob, der seine Verschlagenheit an den Tag legt, die ihn noch so charakterisieren sollte, antwortet, dass Esau einen Teller bekommen kann, vorausgesetzt er gibt sein Erstgeburtsrecht in der Familie auf. Esau stimmt so bereitwillig zu, dass es offensichtlich ist, dass ein abstraktes Prinzip wie etwa das Erstgeburtsrecht, das sich auf eine weite Zukunft bezieht, für ihn nicht von Interesse ist. Jetzt ein voller Magen – das ist das Wahre.

      Dieser Vorfall sollte sie jahrelang verfolgen und wurde sogar noch verschärft durch das, was geschah, als Isaak alt, blind und bereit war zu sterben. Isaak bat Esau, jagen zu gehen und ein Wildbret für ihn vorzubereiten, damit er ihn dann als seinen Erstgeborenen vor seinem Tod segnen würde. Als Rebekka das hörte, trug sie Jakob auf, eine Ziege zu holen, die sie wie ein Wildbret zubereiten würde. Als Nächstes legte sie Jakob das Ziegenfell um seine Arme, damit sie sich so rau anfühlten wie Esaus Arme, und sandte Jakob anschließend mit dem Essen zu Isaak hinein und sagte ihm, dass er sich als Esau ausgeben und den Segen stehlen solle, der seinem Bruder zustehe. Isaak konnte Jakob nicht sehen und er zögerte zuerst, denn er dachte, er erkenne die Stimme Jakobs, aber am Ende ließ er sich vom Geruchs- und Tastsinn leiten. Er wurde durch die widersprüchlichen Signale seiner Sinnesorgane getäuscht und segnete Jakob anstatt Esau, weil er dachte, dass Jakob Esau sei. Jakob machte sich schnell aus dem Staub, als sein Bruder gerade mit dem zubereiteten Wildbret zurückkehrte. Es überrascht nicht, dass Esau sehr wütend, bitter enttäuscht und entsetzt war, als er hörte, was passiert war. Jakobs winzige Hand – nun groß gewachsen – hatte den Segen ergriffen, der seinem Bruder zustand, indem er seinen Vater überlistete. Sein Verhalten entsprach seinem Namen – der Betrüger oder Verdränger.

      Diese Charaktereigenschaft Jakobs findet sich zumindest in einem gewissen Ausmaß in jedem menschlichen Herzen wieder und spielt auch im weiteren Verlauf des ersten Buches Mose eine wichtige Rolle.

      Rebekka sieht Esaus Zorn und Hass auf seinen Bruder, also überredet sie Isaak auf raffinierte Weise, Jakob zu seinem Onkel Laban gehen zu lassen, um dort eine Frau aus der eigenen Verwandtschaft zu finden, so wie Isaak es Jahre zuvor getan hatte.

      Es war eine sehr lange Reise, insgesamt etwa 900 Kilometer lang, die ihn über Damaskus und Karchemisch nach Haran in Mesopotamien führte. Er war noch nicht lange unterwegs, als Jakob seinen berühmten Traum von einer Leiter hatte, die in den Himmel aufragte und von dem Stein ausging, der ihm als Kissen diente. In seinem Traumbild beobachtete Jakob, wie einige Engel die Leiter hinaufstiegen und andere wieder herabstiegen. Und als er das sah, sagte er: „Gewiss, der HERR ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht! … Dies ist nichts anderes als Gottes Haus, und dies ist die Pforte des Himmels“ (28,16.17). Für Jakob war diese Begegnung mit Gott so bedeutsam, dass er dem Ort den Namen Bethel gab, das bedeutet „Haus Gottes“. Zweifellos war Jakob vertraut mit Gott, dem Allmächtigen, der im Himmel wohnt, aber in Bethel entdeckte Jakob etwas Bemerkenswertes und Neues an Gott. Die Vision ließ ihn ausrufen: „Gewiss, der HERR ist an diesem Ort“; er entdeckte, dass Gott direkt neben ihm war – und nicht auf der Spitze der Leiter, sondern am Boden der Leiter, genau da, wo Jakob ruhte. Gott regierte das Universum sozusagen von dort aus, wo Jakob war.

      Die übrige Symbolik unterstützt diese Vorstellung, denn das Tor einer altertümlichen Stadt war nicht nur ihr Eingang; es war der Ort, wo die einheimischen Regierungsbeamten saßen und ihre Treffen abhielten, um sich um die Belange der Stadt zu kümmern. So saß zum Beispiel Lot im Tor Sodoms; das bedeutet, dass er ein Beamter in der örtlichen Regierung war. Das Tor des Himmels war daher der Ort, von dem aus Gottes engelhafte Amtsträger ihre Befehle erhielten, sie ausführten und für weitere Befehle zurückkehrten. Mit anderen Worten, Jakob befand sich in Gottes Regierungszentrum. In diesem Zusammenhang trägt der Begriff „Haus Gottes“ eher die Bedeutung von Gottes Herrschaft, und nicht so sehr von Gottes Aufenthaltsort. Wenn man in Großbritannien vom Haus Windsor spricht, meint man auch nicht den Palast als Wohnort der Queen, sondern vielmehr ihre Regierung, ihr Regierungsgebäude.

      Gott spricht mit Jakob und beeindruckt ihn mit seiner Nähe und seiner Bereitschaft, bei ihm zu sein. Er verspricht, Jakob in seine Zukunft zu führen. Jakob, der immer auf ein Geschäft aus ist, versucht mit Gott zu verhandeln; wenn Gott dieses und jenes für ihn tut, dann wird Er Jakobs Gott sein. Das scheint eine ziemlich unangemessene Reaktion zu sein und deutet wahrscheinlich auf einen Wunsch tief in Jakobs Herzen hin, Gott auf Abstand zu halten, vielleicht um sich selbst mehr Spielraum zu schenken. Wir wissen nur zu gut, dass das menschliche Herz so ist. Selbst wenn uns Gott erscheint und seine Führung und Leitung anbietet, und wir wissen, dass es echt ist, kann diese betrügerische und im Prinzip teuflische Vorstellung auftauchen, dass Gott unseren Lebensstil irgendwie einengen will.

      In den folgenden Jahren wird Jakob oft auf die harte Tour lernen müssen, dass Gott für ihn überwältigend ist. Gott gibt ihm Anweisungen und behandelt ihn doch würdevoll als ein verantwortliches menschliches Wesen. Gott wird ihn über die Natur seines Herzens unterrichten, und dieser Prozess ist teilweise schmerzhaft. Jakob sollte der Anführer einer Nation mit einer einzigartigen Rolle in der Welt sein. Je mehr wir ihm und seiner