John C. Lennox

Joseph


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hat; denn nun wird mein Mann mich lieben“ (29,32). Das ist schon bemerkenswert, da Lea in einem heidnischen Zuhause aufgewachsen war, was wir aus der Tatsache ableiten können, dass Rahel Labans Hausgötzen (Teraphim) stiehlt, als Jakob schließlich seine Familie von ihm wegführt.

      Doch im Lauf der Zeit scheint Lea nicht nur zum Glauben an den Gott Jakobs gekommen zu sein, sondern sie vertraut Ihm persönlich den Kummer ihres täglichen Lebens an.

      Man kann sich vorstellen, dass Jakob während der sieben Jahre, in denen er in Labans Haus arbeitete, um Rahel heiraten zu können, die Familie mit den Geschichten seines Vaters und Großvaters erfreute. Und Onkel Laban erinnerte sich wahrscheinlich daran, wie Isaaks Diener in seines (Labans) Vaters Heim aufgetaucht war und an Isaaks Stelle um die Hand von Labans Schwester Rebekka angehalten hatte. Zweifellos nutzte Jakob die Gelegenheit, um die wunderbare Ähnlichkeit zwischen dieser Begebenheit und seiner eigenen Ankunft bei Onkel Labans Zuhause vorzutragen. Es gab sicherlich Gespräche über Gott und über die Glaubenslektionen, die Abraham und Sara hinsichtlich der Wege Gottes und seiner schützenden Führung in ihrem Leben zu lernen gehabt hatten.

      All das mag einen tiefen Eindruck bei Lea hinterlassen haben, so dass sie irgendwann während dieser Zeit lernte, dem Gott Abrahams zu vertrauen, auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass die Haltung des einen, der ihr diese Botschaft gebracht hatte – Jakob –, durchaus gedankenlos und manchmal sogar grausam ihr gegenüber gewesen sein kann. Es war klar für Leas sanfte Augen, dass Jakob nur Augen für Rahel hatte, und das muss sehr schwer zu ertragen gewesen sein.

      Doch Lea war irgendwie in der Lage, zwischen dem Botschafter und der Botschaft zu unterscheiden – eine bemerkenswerte Leistung, die viele Menschen heute mit viel mehr Wissen anscheinend nicht erbringen können. Sie behaupten, dass sie nicht an Gott interessiert sind, „weil es so viele Heuchler in der Kirche gibt“ oder weil irgendjemand, der vorgab ein Christ zu sein, wütend auf sie war (vielleicht war es sogar gerechtfertigt!). Doch viele dieser Menschen haben sich nie die Zeit genommen, die Bibel zu lesen oder sich ihre Geschichten anzuhören. Solche Erlebnisse sind eher oberflächlich.

      Aber das sind nicht die einzigen Erlebnisse. Keine Familie ist ohne Spannungen, ohne Eifersüchteleien, Notlügen, Bevorzugungen und Rivalitäten, um nichts von den schlimmeren Dingen zu erwähnen, und wenn diese mit bekennendem Christentum vermischt werden, kann die Kombination verheerend sein. Was soll zum Beispiel ein Kind von Gott denken, wenn es von einem Erwachsenen missbraucht wird, der sich nach außen hin Christ nennt, oder wenn es ständig Wutausbrüche und sogar Gewalt zwischen den Eltern miterleben muss, die zur Kirche gehen, oder wenn es sieht, wie sein Vater seine Mutter für eine jüngere Frau aus seinem Büro verlässt?

      Lea hatte die Geschichte gehört und genug von der Botschaft verstanden, um ein Kind Abrahams zu werden, indem sie dem Gott Abrahams vertraute. Trotz Jakobs Verhalten war bei ihr der Glaube an Gott gewachsen und je schwieriger die Spannungen in der Familie wurden, desto mehr brachte sie diese vor Gott, zumindest am Anfang. So drückt der Name des ersten Kindes ihren Glauben aus, dass der HERR ihre Misere einer lieblosen Ehe gesehen hat.

      Lea ist es auch, die den Namen des Kindes auswählt. Das erscheint ziemlich ungewöhnlich in der alten patriarchalischen Kultur. Schließlich gab in dieser bestimmten Familie Abraham seinem Sohn den Namen Isaak, Jakob erhielt seinen Namen von beiden Eltern; doch jetzt ist es die Mutter, Lea, die ihrem Sohn einen Namen gibt. Zumindest ist das alles, was im Text steht, denn man kann sich nur schwer vorstellen, dass der Name ohne Jakobs Zustimmung gegeben wurde. So müssen sie doch zumindest über die Wahl des Namens gesprochen haben, und das gab Lea möglicherweise die Gelegenheit, ihre Ängste und Bedenken hinsichtlich Jakobs Haltung ihr gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ein zweiter Sohn folgte bald und bekam den Namen Simeon („Erhörung“); und erneut spiegelte der Name den andauernden Schmerz in Leas Herz wider. „Weil der HERR gehört hat, dass ich gehasst bin, so hat er mir auch diesen gegeben“ (29,33).

      Ein dritter Sohn wurde Levi („Anhänglichkeit“) genannt, und sie sagte: „Nun, diesmal wird mein Mann sich mir anschließen, denn ich habe ihm drei Söhne geboren!“ (29,34).

      Man erkennt leicht, dass die Namen ihrer Kinder absichtlich gewählt wurden, nicht nur um ihre eigene emotionale und geistliche Entwicklung festzuhalten, sondern auch als eine ständige Erinnerung an Jakob, dass seine Haltung seiner Frau und der Mutter seiner Kinder gegenüber – und gegenüber Gott – weit von dem entfernt war, wie sie sein sollte. Kannst du dir vorstellen, wie Jakob jemandem erklären musste, wie seine Kinder ihre Namen bekommen hatten?

      Es ist nicht das erste Mal im ersten Buch Mose, dass Namen auf diese Weise gewählt wurden, um eine Erfahrung mit Gott zu reflektieren. Denken wir an Hagar, die wie Lea verachtet wurde. Als Hagar von zu Hause fortgeschickt wurde, erschien Gott ihr in der Wüste und gab ihr die Verheißung, dass ihr Sohn Ismael eine große Nation werden würde. Ismael bedeutet „Gott hört“, und der Name erfüllte für Hagar die gleiche Funktion wie der Name Simeon („Erhörung“) für Lea. Aber Hagar gab auch Gott einen Namen: „Der Gott des Schauens“ (16,13). Ruben bedeutet „Seht, ein Sohn“, wie bereits erwähnt. Die Ähnlichkeit zwischen den Erfahrungen und den Namen ist schon bemerkenswert.

      Gott hatte Leas Wunsch nach Kindern erfüllt, und sie würde daher in ihrer damaligen Gesellschaft als eine Mutter hoch angesehen sein. Und es überrascht nicht, dass sie mehr wollte; sie sehnte sich nach der Zuneigung und Liebe ihres Ehemannes.

      Doch obwohl sie Jakob drei Söhne geboren hatte, schien er Lea als Person nicht näher gekommen zu sein. Er behandelte sie als ein Mittel (um Kinder zu bekommen) und nicht als eine Person (mit eigenem Wert). Das ist menschlich gesehen nur sehr schwer zu ertragen, und viele Menschen in unseren Gesellschaften müssen es ertragen.

      Als Leas vierter Sohn geboren wurde, nannte sie ihn Juda und sagte: „Diesmal will ich den HERRN preisen!“ (29,35). In ihrem Herzen hatte sich etwas verändert. Die Erwartung einer verbesserten Beziehung zwischen ihr und Jakob war weg; sie scheint akzeptiert zu haben, dass es einfach nicht geschehen würde. Lea zeigt keine sichtliche Spur der Bitterkeit. Stattdessen wollte sie nur den HERRN preisen und diese Tatsache mit dem Namen ihres vierten Sohnes feiern. Sie scheint daher eine tiefe Charakterstärke gefunden und sich entschieden zu haben, über ihre Umstände und deren Ungerechtigkeit hinauszuwachsen.

      Dabei hatte sie jeden Grund, voller Verbitterung und Enttäuschung zu sein. Es war nicht ihre Schuld, dass sie nicht Rahels wunderschönes Aussehen hatte. Es war auch nicht ihre Schuld, dass sie in einer lieblosen Beziehung mit Jakob gefangen war. Und doch scheint sie es überwunden zu haben; zumindest nahm sie es sich nicht zu Herzen. Ihr Glaube an Gott half ihr zu überwinden, trotz der Tatsache, dass Jakob wohl kaum ein gutes Vorbild eines glaubenden Ehemannes war. Sofern es den Text betrifft, ist es interessant, dass Lea mehr von Gott spricht als Jakob.

      Zu der Zeit geschah etwas noch Größeres. Was Lea nicht wusste – ja, was sie nicht wissen konnte – war, dass sie mit den Namen der Kinder die Namen auswählte, die eines Tages die Tore von Gottes heiliger Stadt schmücken werden, wie Johannes es gemäß dem Buch der Offenbarung in der Vision sah (siehe Off 21,12). Die Tore zu genau dieser Stadt, die Abraham verheißen wurde, werden die Namen ihrer Söhne tragen.

      Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir in der Geschichte Leas und ihrer Kinder einen kleinen Einblick hinter die Kulissen der tiefen Liebe Gottes bekommen, die nicht nur versteht, sondern das Leid und die Enttäuschung, die sein Volk auf der Erde erlebt, wiedergutmachen kann und dies schließlich tun wird. Gott hatte Ziele für Leas Kinder, die bei weitem das überstiegen, was sie sich zu der Zeit hätte vorstellen können; und sie erfuhr wahrscheinlich erst davon, als sie ihr himmlisches Zuhause erreichte.

      Wir müssen innehalten und über die Tragweite von Leas Geschichte nachdenken. Einige denken vielleicht, dass der Kummer und Herzschmerz einer jungen Frau wie Lea im großen Rahmen der Geschichte keine wirkliche Bedeutung haben. So ist das Leben nun einmal – schwierig und hart für die meisten, und einfach nur für sehr wenige Menschen. Aber dabei würde man etwas von enormer Bedeutung verpassen: Gottes Interesse an den kleinsten Details unseres manchmal eintönigen Alltags, das aus unseren Erlebnissen etwas von Bedeutung für die Ewigkeit machen kann. Wir können Herzschmerz, Leid, Enttäuschung und sogar Desillusionierung erleben, während wir um die Erkenntnis