Eric Ambler

Die Angst reist mit


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ging, und schwieg einen Moment. Dann sagte sie: »Er ist in Ordnung, Ihr Freund.«

      Graham war nicht ganz sicher, ob es eine Feststellung, eine Frage oder ein kläglicher Versuch war, Konversation zu machen. Er nickte. »Ja.«

      Sie lächelte. »Er kennt den Besitzer. Wenn Sie wünschen, wird er Serge bitten, dass er mich gehen lässt, wenn Sie es wollen, und nicht erst, wenn hier geschlossen wird.«

      Er lächelte so bedauernd, wie er nur konnte: »Tut mir leid, Maria, ich muss noch packen. Mein Zug geht morgen früh.«

      Sie lächelte wieder. »Macht nichts. Schweden finde ich besonders nett. Kann ich noch etwas Cognac haben, Monsieur?«

      »Sicher.« Er füllte ihr Glas.

      Sie trank es halb leer. »Gefällt Ihnen Mademoiselle Josette?«

      »Sie tanzt sehr gut.«

      »Sie ist sehr sympathisch. Weil sie Erfolg hat. Erfolgreiche Menschen sind sympathisch. José findet niemand sympathisch. Er ist ein Spanier aus Marokko und furchtbar eifersüchtig. Sie sind alle gleich. Ich weiß nicht, wie sie zu ihm steht.«

      »Hast du nicht gesagt, sie sind aus Paris?«

      »Sie sind in Paris aufgetreten. Josette ist aus Ungarn. Sie spricht Deutsch, Spanisch, Englisch, aber ich glaube, kein Schwedisch. Sie hat viele reiche Liebhaber gehabt.« Sie machte eine Pause. »Sind Sie Geschäftsmann, Monsieur?«

      »Nein, Ingenieur.« Amüsiert stellte er fest, dass Maria nicht so dumm war, wie er zuerst dachte, und dass sie genau wusste, weshalb Kopejkin verschwunden war. Indirekt, aber unmissverständlich machte sie ihn darauf aufmerksam, dass Mademoiselle Josette sehr teuer sei, dass es schwierig sei, mit ihr zu kommunizieren, und dass er es mit einem eifersüchtigen Spanier zu tun haben werde.

      Sie leerte ihr Glas und starrte in Richtung Bar. »Meine Freundin sieht so einsam aus«, sagte sie. Sie schaute ihm direkt in die Augen. »Schenken Sie mir hundert Piaster, Monsieur?«

      »Wofür denn?«

      »Trinkgeld, Monsieur.« Sie lächelte, allerdings nicht mehr so freundlich wie bisher.

      Er gab ihr einen Hundertpiasterschein. Sie faltete ihn zusammen, steckte ihn in ihr Handtäschchen und stand auf. »Bitte entschuldigen Sie mich. Ich möchte mit meiner Freundin sprechen. Wenn Sie es wünschen, komme ich wieder.« Sie lächelte.

      Ihr rotes Satinkleid verschwand in der Menge. Fast im selben Moment kehrte Kopejkin zurück.

      »Wo ist die Ägypterin?«

      »Sie wollte mit ihrer Freundin sprechen. Ich habe ihr hundert Piaster gegeben.«

      »Hundert! Fünfzig hätten völlig gereicht. Aber was soll’s. Josette bittet uns zu einem Drink in ihre Garderobe. Sie reist morgen ab und möchte nicht herauskommen. Jeder würde sie ansprechen, und sie muss noch packen.«

      »Stören wir dann nicht?«

      »Mein Lieber, sie will Sie unbedingt kennenlernen. Sie hat Sie während ihres Auftritts gesehen. Sie war sehr erfreut, als ich ihr sagte, dass Sie Engländer sind. Den Cognac können wir hier stehen lassen.«

      Mademoiselle Josettes Garderobe maß etwa drei mal drei Meter und war durch einen braunen Vorhang von der anderen Hälfte abgetrennt, in der sich anscheinend das Büro des Besitzers befand. Eine ausgeblichene rosarote Tapete mit blauen Streifen bedeckte die drei Wände. Hier und da ein dunkler Fleck, wo sich die Leute angelehnt hatten. Zwei Bugholzstühle standen im Zimmer sowie zwei wacklige Schminktische voller Cremetiegel und benutzter Make-up-Tücher. Es roch nach einer Mischung aus kaltem Rauch, Puder und muffiger Polsterung.

      Auf ein brummiges »Entrez!« von José traten sie ein, woraufhin er sich von seinem Schminktisch erhob, sich noch einmal übers Gesicht wischte und das Zimmer verließ, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Kopejkin zwinkerte Graham aus einem unerfindlichen Grund zu. Josette tupfte sich, vorgebeugt auf ihrem Stuhl sitzend, mit einem feuchten Wattebausch eifrig eine Augenbraue. Sie hatte ihr Kostüm abgelegt und trug einen rosafarbenen Samtmorgenmantel. Das Haar hing locker herab, als hätte sie es ausgeschüttelt und gekämmt. Graham fand, dass sie wunderschönes Haar hatte. Sie begann jetzt auf Englisch zu sprechen, langsam und sorgfältig, und die Worte mit dem Wattebausch zu unterstreichen.

      »Bitte entschuldigen Sie. Es ist die grässliche Schminke. Es … Merde!«

      Sie warf den Wattebausch ungeduldig hin, erhob sich plötzlich und wandte ihnen das Gesicht zu.

      Im kalten Licht der nackten Glühbirne, die über ihr hing, sah sie kleiner aus als auf der Tanzfläche und auch etwas hagerer. Graham dachte an die blühende Schönheit seiner Stephanie und sagte sich, dass die Frau, die da vor ihm stand, in zehn Jahren wahrscheinlich reizlos sein würde. Andere Frauen pflegte er mit Stephanie zu vergleichen. Mit dieser meist recht erfolgreichen Methode brauchte er sich nicht einzugestehen, dass andere Frauen ihn nach wie vor interessierten. Josette war jedoch ungewöhnlich. Wie sie in zehn Jahren aussehen mochte, spielte keine Rolle. Im Moment war sie eine überaus attraktive, selbstbewusste Frau mit weichem, lächelndem Mund, leicht hervorstehenden blauen Augen und von elektrisierender Laszivität.

      »Das, meine liebe Josette«, sagte Kopejkin, »ist Mr. Graham.«

      »Ihr Auftritt hat mir sehr gefallen, Mademoiselle«, sagte Graham.

      »Das hat Kopejkin mir schon erzählt«, sagte sie achselzuckend. »Es hätte besser sein können, aber es ist sehr nett von Ihnen, mir dieses Kompliment zu machen. Zu behaupten, Engländer seien nicht höflich, ist Unsinn.« Sie machte eine ausholende Handbewegung. »Ich kann Sie kaum einladen, in diesem Chaos Platz zu nehmen, aber vielleicht versuchen Sie, es sich irgendwie bequem zu machen. Kopejkin kann sich auf Josés Stuhl dort setzen, und wenn Sie Josés Sachen beiseiteräumen, können Sie die Ecke des Tisches nehmen. Zu schade, dass wir uns nicht draußen hinsetzen können, aber es gibt so viele Männer, die großes Getue machen, wenn man nicht stehen bleibt und sich zu einem Glas Champagner einladen lässt. Der Champagner hier ist grauenhaft. Ich möchte nicht mit Kopfschmerzen aus Istanbul abreisen. Wie lange bleiben Sie noch, Mr. Graham?«

      »Ich reise ebenfalls morgen ab.« Sie amüsierte ihn. Ihre Posen waren grotesk. Binnen einer Minute war sie eine große Schauspielerin, die wohlhabende Freunde empfing, eine sympathische Frau von Welt, und dann wieder die geniale, desillusionierte Tänzerin. Jede Bewegung, jede Geste war auf Wirkung bedacht. Sie schien immer noch zu tanzen.

      Und dann wurde sie ernst. »Es ist furchtbar, dieses Herumreisen. Und Sie kehren zurück in Ihren Krieg. Es ist schlimm. Diese Nazis. Was für ein Jammer, dass es immer Kriege geben muss. Wenn es keine Kriege sind, dann Erdbeben. Immer Tod. Es ist schlecht für das Geschäft. Der Tod interessiert mich nicht. Kopejkin vermutlich schon. Wahrscheinlich weil er Russe ist.«

      »Ich denke nicht an den Tod«, sagte Kopejkin. »Ich denke nur daran, ob der Kellner mir die bestellten Getränke bringt. Nehmen Sie eine Zigarette?«

      »Ja, gern. Die Kellner hier sind schrecklich. In London gibt es bestimmt viel bessere Nachtlokale als hier, Mr. Graham.«

      »Die Kellner sind auch dort ganz miserabel. Kellner sind vermutlich überall schlecht. Aber ich hätte angenommen, dass Sie schon mal in London waren. Ihr Englisch …«

      Nachsichtig lächelte sie über diese Indiskretion, deren Tragweite ihm nicht klar sein konnte. Ebenso gut hätte man Madame Pompadour fragen können, wer für ihre Rechnungen aufkam. »Ich habe es von einem Amerikaner in Italien gelernt. Ich finde die Amerikaner sehr sympathisch. Sie sind clevere Geschäftsleute und trotzdem so großzügig und offen. Es ist sehr wichtig, offen zu sein. Hat es Ihnen Spaß gemacht, mit der kleinen Maria zu tanzen, Mr. Graham?«

      »Sie tanzt ganz gut. Sie scheint Sie sehr zu bewundern. Sie sagt, dass Sie hier großen Erfolg hatten. Was natürlich stimmt.«

      »Großen Erfolg? Hier?« Das desillusionierte Genie hob die Augenbrauen. »Hoffentlich haben Sie ihr ein anständiges Trinkgeld gegeben, Mr. Graham.«

      »Er hat ihr doppelt so viel wie nötig gegeben«,