Danny Seel

Shinobi - Der Weg der Schatten


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sich, dem Schwerthieb zu entkommen. Die gegnerische Klinge schlitzte ihm seinen Kimono an der Seite auf und streifte seine Haut. Er blockierte einen weiteren Angriff und zwang seinen Widersacher zurückzuweichen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder allen seinen Gegnern zu, die jetzt insgesamt „nur“ noch zu dritt waren.

      Wie eine Schwarze Witwe sich einer Fliege nähert, so näherten sich die Polizisten Yujiro, um ihn zu erledigen. Seine Lage schien hoffnungslos zu sein. Sich gegen eine Schar Dōshin zu verteidigen war eine Sache, doch dazu noch umzingelt und verletzt zu sein, das war etwas anderes.

      Er nahm flüchtig wahr, wie ein weiterer Polizist, der gerade angekommen war, sich den anderen anschloss.

      Na toll, genau was ich jetzt brauche, dachte er sarkastisch. Noch mehr Gegner.

      Jetzt waren die Dōshin nur noch drei Armbreiten von ihm entfernt. Erschöpft und verzweifelt suchte Yujiro nach einem Ausweg, obwohl er wusste, dass seine Zeit fast um war. Entschlossen verengte er die Augen zu Schlitzen, ohne sie von seinen Widersachern abzuwenden.

      Zu seiner Überraschung und Freude streckte plötzlich einer der Polizisten einen anderen mit einem Schwertstoß nieder. Dann drehte er sich zu dem nächsten Komono, bevor er ihn mit der Flachseite seiner Klinge gegen die Schläfe schlug und ihn somit außer Gefecht setzte.

      Unfähig zu begreifen, was passiert war, versuchte der letzte Komono, in Angst versetzt, auszuweichen. Ihm gelang es noch in letzter Sekunde einen Hieb zu parieren, bevor er die Flucht ergriff.

      „Holt Verstärkung!“, schrie er, als er in Panik versetzt floh.

      Yujiro blickte seinen Retter, diesen Dōshin, misstrauisch an. Sobald er jedoch dessen vertrautes Gesicht mit einem listigen Lächeln bemerkte, schmunzelte er freudig überrascht.

      „Rintaro! Ich glaube, ich bin noch nie so froh gewesen, dich zu sehen“, rief er erfreut aus. „Wie hast du mich gefunden?“

      Doch Rintaro schüttelte nur den Kopf. „Wir haben jetzt keine Zeit dafür. Die Dōshin kommen gleich zurück – aber dieses Mal mit Verstärkung!“

      Yujiro wandte den Kopf zur Seite und sah, wie der geflüchtete Komono wieder auf sie zulief, wobei er dieses Mal mit einigen Dōshin zurückkehrte. Rintaro begann davonzurennen, drehte sich jedoch nach einer Weile um, als er sah, dass Yujiro etwas hinter ihm blieb.

      „Beeil dich!“

      „Ich renn’ schon, so schnell ich kann“, antwortete Yujiro und biss die Zähne zusammen, als Schmerz sein verwundetes Bein hochschoss.

      Sobald Rintaro die Ursache von Yujiros Langsamkeit bewusst wurde, lief er zurück und schlang einen Arm um die Schulter seines Waffenbruders. Humpelnd eilten sie von ihren Verfolgern davon, welche ihnen dicht auf der Spur waren. Unter großer Anstrengung liefen sie weiter, wobei sie hörten, wie die Dōshin aufholten.

      Hastig rannten sie um eine Ecke. Rintaro schaute sich flüchtig über die Schulter und bemerkte, dass niemand sie momentan im Blickfeld hatte.

      „Hier hinein!“, flüsterte er laut und öffnete die Schiebetür eines zufälligen Gebäudes.

      Völlig von der Unhöflichkeit der zwei unerwarteten Besucher überrascht, ging der Bewohner des Hauses, der gerade an seinem Grüntee genippt hatte, wilden Schrittes auf die beiden Männer zu.

      „Was fällt euch ein?!“, fauchte er wütend. „Ihr–“

      Abrupt stockte er mitten in seiner Rede, als ihm Rintaro ein Tantō an den Hals drückte.

      „Seid still!“, zischte er im Flüsterton.

      Der Mann wagte es nicht, auch einen Laut von sich zu geben, und schluckte vor Nervosität. Draußen vernahmen sie die Rufe aufgeregter Polizisten.

      „Sie können doch nicht vom Erdboden verschluckt worden sein!“, beschwerte sich einer von ihnen.

      „Weit können sie nicht gekommen sein … nicht mit so einer Verletzung am Bein!“

      Sie hörten, wie die Schritte der Dōshin sich entfernten und Yujiro seufzte vor Erleichterung auf. Sie hatten es doch geschafft!

       5. Grenzkontrolle

      Es war schon spät am Nachmittag. Zeichen des sich zu Ende neigenden Sommers waren überall erkennbar und die Ankunft des Herbstes wurde immer deutlicher.

      Aus einer kleinen Gasse beobachte Yujiro, wie der Wind die herbstverfärbten Blätter aufwirbelte. Das Rascheln der vielen Blätter erinnerte ihn an seine Kindheit.

      Tief ausatmend betrachtete er den großen Tempel, der als Treffpunkt für die drei Shinobi ausgemacht worden war. Sein Blick verharrte einen Moment lang auf dem prachtvollen Gebäude, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner früheren Beschäftigung zuwandte. Sorgfältig wickelte er einen Verband um seinen Schenkel. Die Wunden waren weder lebensgefährlich, noch tief und behinderten ihn lediglich in seinen Bewegungen.

      „Ich frage mich, wie ich damit an den Wachen vorbeikommen soll“, brach er die Stille. „Sie werden mich sicherlich darüber fragen.“

      Der eher zurückhaltende Rintaro, der neben ihm stand, spähte aus der Gasse heraus, welche einen direkten Blick auf den Tempel hatte, um Ausschau nach Suzaku oder möglichen Gefahren zu halten.

      „Mach dir keine Sorgen“, versicherte er seinem Freund, „es wird schon gut ausgehen.“

      Sobald Yujiro endlich mit dem Verbinden seiner Wunde fertig war, seufzte er wegen der Schmerzen. Er wollte sich an die Wand hinter ihm zurücklehnen, als eine plötzliche Bewegung seines Gefährten ihn aufblicken ließ.

      „Was ist?“

      Um die Ecke blickend, schwieg Rintaro einen Augenblick lang und zog dann abrupt den Kopf so schnell zurück, als ob man ihn gesehen hätte. „Da kommt ein Komusō.“

      Neugierig riskierte Yujiro einen Blick und sah einen Mann, der in einem ruhigen Gang unbewusst auf sie zuging. Er hatte eine eigenartige Kopfbedeckung, die darauf hinwies, dass er ein Mönch der Leere war. Diese Kopfbedeckung war ein Korb aus Stroh, der etwa fünfzig winzige Löcher hatte, die ihm die Sicht und vor allem die Atmung ermöglichten.

      Er stand eine halbe Minute lang vor dem Tempel da und blickte sich mehrmals um. Dann, zum Entsetzen der beiden Männer, bog er direkt in die Gasse ab und blieb vor ihnen stehen, sobald er sie erblickte.

      „Kann ich euch irgendwie behilflich sein?“, fragte er vorsichtig.

      Yujiro fing sich als Erster. „Ich bezweifle es. Wir warten auf jemanden.“

      Er wurde ein wenig nervös, als der Komusō zwei Sekunden lang nichts sagte, denn er konnte wegen des Korbs die Reaktion des Mönchs nicht erkennen.

      „Wartet ihr nicht zufällig auf einen Bauern, der heute von Dōshin verfolgt worden war, die behauptet haben, er sei ein Shinobi?“

      Rintaro war kurz davor nach einem Messer zu greifen, konnte sich jedoch noch in der letzten Sekunde zurückhalten. Bestürzt tauschten er und Yujiro alarmierte Blicke aus. Der Komusō musste Mut haben, wenn er tatsächlich annahm, dass sie die anderen zwei feindlichen Spione waren.

      Yujiro betrachtete aus den Augenwinkeln das Schwert, das an der Hüfte des Mönchs hing. Viele Komusō waren ursprüngliche Samurai und obwohl Bushi immer ein Schwertpaar trugen, durften diese Mönche bloß ein einzelnes Schwert besitzen.

      „Angenommen, das würde stimmen … was wäre dann?“, antwortete er subtil, als er versuchte durch die kleinen Ritze der Kopfbedeckung seines Gesprächspartners zu schauen.

      „Na dann könnte ich euch helfen. Ich weiß nämlich, wo er sich aufhält“, erwiderte der Komusō.

      Yujiro nickte seinem Gefährten zu und dieser zog begreifend einen kleinen Geldbeutel heraus.

      „Wie viel?“, fragte er.

      „Nein! Ich möchte euer Geld nicht haben!“, rief der Mönch empört.

      Überrascht