Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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eine aus Lichtbündeln entstehende magische Projektion eines Strandes, der aber noch kleiner als in Wirklichkeit ist, woraufhin sie auf dessen Größe schrumpft, aber dann in den Sand, in die Erde versinkt, verschwindet, und ich schreie laut »nein«, immer wieder »nein, nein, nein« und Leute kommen, angezogen von der Magie, zurück, ich kann sie gerade noch davon abhalten, auch hinein zu geraten, bis tatsächlich Angelika auf dem Stuhl wieder auftaucht, ganz klein und leuchtend, von meinem »Nein« zurückgeholt; der Bulle ist sauer, und ich frage die Umstehenden Bestätigung heischend: »na, und was ist das«, auf Angelika zeigend, triumphierend –

      – ich bin im Knast, aber es ist ein völlig offener Vollzug, und alle anderen sind auch da, Gert in der Zelle nebendran, Dellwo gibt mir eine Knarre mit Magazin, die ich unter das Kissen lege, etwas später aber dann das Magazin rausnehme und die Patronen wegschmeiße, weil mir mulmig wird; wir gehen alle zusammen spazieren, auf einer Wiese, Stefan spielt mit Irmgard fangen und Ball, und ich denke: »mein Gott, wer hätte das gedacht«, ich unterhalte mich mit einer Inga, von der ich erst gar nicht weiß, wie sie heißt, wir sitzen im Hörsaal nebeneinander und wollen uns auch nochmal treffen, weiterreden, da warnt mich auf der Veranda Christian vor ihr, sie sei uncool, katholisch aufgewachsen und verbürgerlicht, und ich gehe erstmal auf meine Zelle, die sogar einen Balkon hat –

      – beim »Konkret«-Dreh wird eine Frau gesucht und schließlich eine aus dem Wasser gezogen, die aber noch lebt und sich wehrt, wohl sterben will, aber trotzdem rausgezogen wird; es herrscht ziemliche Hektik, alles rennt durcheinander, und die Frauen haben alle nur ein T-Shirt an, so dass man ihre Ärsche sieht, was auch noch so fototgrafiert wird, da man sie besonders vorteilhaft sieht, und ich denke: »das ist typisch, extra wegen Gremliza, der alte Bock beschafft sich so rum diesen Anblick«, aber der Dreh geht noch viel weiter, Scheiben von Autos zerbrechen, eine endlose Einstellung, nach der diskutiert wird, ob man sie wiederholen muss, und der Kameramann darauf besteht, dass man nur einen Pick-up von einem kleinen Ausschnitt wiederholen sollte, was eine heftige Diskussion ergibt, während der ich mit Mosebach auf und ab gehe, und er mich lobt für mein Spiel, was mich freut, und als es länger geht, setzen wir uns mit einem weiteren Kollegen in ein Auto, das ein IC nach München ist, ich frage mich, ob ich geschlafen habe, da rast der entgegenkommende Zug direkt auf mich/uns zu, aber ich weiß, dass nichts passieren wird, ganz knapp weicht er auf ein anderes Gleis aus, die weiteren auch und mir ist fast schwindlig, aber der Raum ist ein fahrendes Labor, ziemlich viele Leute laufen geschäftig hin und her, sind wichtig, machen Experimente, schreiben Ergebnisse auf, eine Frau tippt an einem kleinen Tisch neben mir, drei Männer stehen um eine Vertiefung, in die sie leuchten, und in der geologische Strukturen studiert werden können, andere hantieren an Geräten mit Stangen herum, und Mosebach und ich tun so, als gehörten wir dazu, er nimmt eine Stange und läuft scheinbar zielgerichtet rum und sticht irgendwo hin; ich nehme eine Leuchte und nähere mich vorsichtig der Vertiefung, taste mich wie auf Zehenspitzen ran, »es geht um den Kaukasus« raunt es von unten, hat was Gefährliches, auf jeden Fall Geheimnisvolles, und die Forscher starren auch gebannt in die Vertiefung, in der wie in einem Modell Erdstrukturen, Schichten etc. zu sehen sind; sie reden wissenschaftliche Sachen, und die Frau am Tisch experimentiert routiniert vor sich hin, und ich frage Mosebach, ob das nicht auf für ihn »die irrwitzigste Szenerie« ist, die er je erlebt hat –

      – langes Hin und Her in einer Wohnung, in der auch Julia ist, es geht um Essen-Kochen, aber auch Aufstehen, Organisieren, und ich verabrede mich mit Julia für den Abend, weil mich erst ein Typ mit zu Greenpeace nehmen will, von wo sie mich dann abholen will, und wir fahren lange durch bergiges Gelände, eine raue Landschaft, bei der auch ein paar Häuser wie ein Dorf aussehen, nur rechts und links der steilen Schotterstraße, bis wir zu einem gewaltigen Bergfluss kommen, vor dem eine Eisengittertreppe, schmal und mit nur zentimeterhohem Geländer, hoch geht, wie in den Himmel, direkt oben irgendwo knickt sie ab ins Waagerechte, und an der Beuge, hunderte von Metern über dem Fluss, wird die Treppe zur Brücke, ein betonierter, schmaler Weg mit Geländer an dem wir uns festhalten, es ist noch ein Dritter dabei, der sich auch mit flauem Gefühl im Magen festhält, aber der, der mich hinbringt, balanciert sogar halb auf dem Geländer, bis endlich das Ufer kommt, ich mich sicherer fühle, die Eisenkonstruktion dieser Brücke bewundere, und dicht danach ist auch das Greenpeace-Haus, das, erhöht auf dem Berg stehend, seinen Eingang durch ein Klappe nach unten hat, die geöffnet wird, und eine Frau streckt einen Zettel heraus, auf dem steht: »ich bin Sprachtherapeutin und sprachbehindert – trage deinen Namen ein« – ich denke noch, dass es ja vielleicht praktisch ist, wenn sie selbst das Problem kennt, das sie therapiert, aber nachdem ich den Zettel mit meinem Namen hochgereicht habe, gibt es oben eine lange Debatte, ob ich rein darf, ein blöder, arroganter Typ mischt sich ein, eine pickelige Frau, die Assistentin ist, und schließlich verkündet der Typ, dass ich nicht rein dürfe, angeblich »keine Zeit«, sehr schroff, und ich bin sauer, merke schon, dass es eine Sekte ist hier, betone, dass ich über diesen unfreundlichen Empfang publizistisch berichten werde, was den Schnösel leicht verunsichert, und vor allem meinem Begleiter ist es peinlich, ich sage, Sekten seien eben Sekten, und er seufzt: »es sind eben alles Ankläger hier oben«, ist also zwar kritisch, aber der Sekte hörig –

      – in einer loftartigen Wohnung habe ich Krach mit Nata, worin sich viele Leute einmischen, sie höhnt auf mich, ich bin stinksauer, da kommt auch noch eine Olle vom Goethe-Institut und will was besprechen, während die anderen alle leckere Nudeln essen, ich aber nur mit einem Brot in der Hand ankomme und gnädig auch was von den Nudeln abbekommen soll, und die Frau vom Goethe-Institut hat einen Mann dabei, der eine riesige Decke mitgebracht hat, wirklich mehrere Quadratmeter groß, und dazu Bettbezüge aus Papier, die man danach wegschmeißen kann, aber der Krach mit Nata geht weiter, ich will abhauen, sie heult, hat Hunger, weswegen ich ihr an einer Kebab-Bude einen bestelle »wahed kebab«, sage ich, muss ich aber die Geschichte aufschreiben, die ich eben zwischendrin erlebt habe, und die als Story erzählenswert wäre: ein Typ hat Krach mit seiner Frau und allen, die noch dazu gehören, aber sie versuchen alle, ihn zu sich rüberzuziehen, sie wissen, was los ist, und er soll bloß mitmachen, dann ist der Krach auch vorbei und alles sei gut, aber der Typ weiß, dass er den »Wissenden« nicht glauben darf, und auf jeder höheren Etage wiederholt sich das gleiche Spiel, und er steigt immer höher, während sie ihn zurückholen wollen, aber er bricht auch oben aus dem Dach – und wird dort von freundlichen Leuten aus dem Boden, aus der Erde geholt, und es ist sofort klar: das ist die befreite Welt und es ist tatsächlich so, dass sie kaum anders aussieht als die bekannte, aber ihre Ausstrahlung ist sofort ganz anders, man sieht eine hügelige Landschaft mit ein paar Häusern, eher Schwarzwald-artig, und er/ich falle auf die Knie vor Freude und Dankbarkeit – aber dann rauche ich mit anderen Roadies einen Joint, was die Sache abmildert, der Krach ist mir egal und danach soll die Band in einem verglasten Raum auf dem Dach spielen und ich frage, ob man dann auch alles hört, aber die anderen sind sich dessen gewiss und bauen schnell auf –

      – in einiger Entfernung stürzt ein Flugzeug ab, die Flügel sind schon abgebrochen, es sieht aus wie eine abstürzende Rakete, und ich denke: ›Endlich sehe ich mal, was ich sonst nur träume‹, und im selben Moment fällt mir ein, dass dort ja ein Atomkraftwerk steht: was, wenn das Flugzeug darauffällt, und alles ist verstrahlt, soll ich fliehen?, wohin?, wie weit? –

      – ich gehe mit Fips zum Friseur in Englschalking gegenüber der Kirche, und weil ich nackt bin, binde ich in letzter Sekunde ein Handtuch um die Hüften, bevor wir uns beim Friseur umständlich Plätze suchen, der Friseur will uns interviewen, um eine Verhaftung zu verhindern, und während Lampen geholt werden, gibt es draußen Tumult, wir rennen raus, und sehen, wie ein Lastwagen voller Verhafteter vorbeifährt, zum Teil hängen sie draußen an Gestängen, werden abtransportiert, und ich packe Hasenfratz am Kragen, schüttle ihn und schreie ihn an: »genauso läuft es, dass hinterher wieder alle sagen, sie hätten nichts gewusst«, aber Hasenfratz sieht mich nur entgeistert an, und als wir wieder drinnen auf unseren Friseurstühlen bereit zum Interview sitzen, kommen schwarz gekleidete Bullen und tragen riesige Lampen rein, wonach mein Interview sofort beginnt, aber der Interviewer versteht kein Deutsch, ich seine Sprache auch nicht, es dauert ewig, bis ich seine Fragen, beziehungsweise er meine Antworten versteht, und ich sage mehr oder weniger das Übliche, und als danach Fips dran kommt und zu den Behinderungen der Tiere des Bundeskanzlers was sagen soll, tut er mir leid, weil er immer nur den Betroffenheitsstatus bekommt –

      – ich liege