Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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befinden, und setze mich ein paar Reihen weiter vorne zu Angelika Müller, die sich sehr reserviert mir gegenüber verhält, fast scheu, dauernd auch zum Fenster rausschaut, wobei mich langsam wundert, wie lange die Landung dauert, immer noch fliegen wir dicht über dem Boden, und jetzt auch schon bei der Stadt, ich sehe ganz deutlich Hinterhöfe von Wohnhäusern, Wäsche, Leute, Autos, nur noch ein paar Meter unter uns, und dann sind wir sogar unter einer Elektroleitung, ich weiß gar nicht, wie der Pilot da wieder raus will, beziehungsweise kann, und dann wird durchgesagt, dass das Flugfeld in Düsseldorf voller Erbsen ist, und wir deshalb nicht landen können, es aber in der Innenstadt von Düsseldorf schon vorbereitet wird, dass wir kommen, und trotzdem dauert es und dauert es, bis wir endlich landen, dicht zwischen dunkelbraunen Hochhäusern entlang, wobei ich mich frage, warum die Flügel nicht daran streifen, hinten kotzt eine Frau, und der Steward, der einen weißen Kittel wie ein Pfleger trägt, stellt eine Leiter weg, woraus ich schließe, dass es jetzt wohl bald so weit sein wird, und tatsächlich landen wir dann auch, und als die Leute aufstehen, beginne ich zu klatschen, weil es ja nun schon eine Meisterleistung war, was der Pilot da geschafft hat, und die anderen Passagiere fallen ein; draußen sind Kaffeeautomaten aufgestellt, und ich genehmige mir einen, obwohl das Schlafprobleme geben könnte, aber dann sagt einer, dass es auf der anderen Straßenseite ja ein richtiges Büfett gibt, wo ich natürlich sofort hingehe; es ist in einem rechten Winkel aufgebaut, zartes Fleisch, wie Gänsebrust, die man auf einem Stück Brot zusammenschieben kann, der Kellner, der ausgibt, lacht, und ich weiß nicht, ob es verächtlich oder anteilnehmend ist, ich packe an den anderen Stellen so viel auf die Teller, dass ich alles kaum halten kann, will aber dann mit allem zurück zu dem Kaffeeautomaten, wo Nata ja auch sein müsste, aber dazu muss ich durch unterirdische Gewölbe, und ich finde den Weg nicht mehr genau, geradeaus endet er, beziehungsweise mündet er in einen unterirdischen Bahnhof, einfach leere Gleise, und zurück an der Kreuzung treffe ich Wolfgang Stein auf dem Motorrad; das Vorderrad quergestellt sitzt er in der Mündung eines dieser Gewölbe und schimpft gegenüber zwei Typen, die da sitzen, auf Peymann, wie doof der sei, aber dann weist er mir den Weg, und ich laufe durch diese Gewölbe, in denen auch verkauft und gearbeitet wird, ein Schuhmacher, ein Schneider, auch noch hinten, also hinter den Läden, kann man Werkstätten sehen, im Grunde wie Suqs5, unglaublich eigentlich, dass es hier mitten in Düsseldorf Suqs gibt, was beweist, dass die Kulturen gar nicht so weit auseinander liegen, und das muss ich unbedingt Nata erzählen –

      – auf dem Gang durch die Berge komme ich im Tal zu einem Haus, in dem zwei Typen sind, die mich kennen und mit denen ich auch rede, aber ich will weiter, fahre mit dem Mofa den Berg hoch, die Straße ist vereist, überall am Rand und im Tal wird gebaut, und die Entgegenkommenden rasen den Berg hinab und drängen mich an die Seite, oben schau ich mich erstmal um und komme mit Benedikt Reding ins Gespräch, der einen Arzt weiß, aber dann nötigen mich andere, mit ihnen auf der anderen Seite des Berges runterzufahren, ziemlich halsbrecherisch, aber ich steige unten im Dorf aus, um wieder hoch zu gehen, wo ich ja erwartet werde, das Gespräch fortzusetzen, und um die Serpentinen abzukürzen, gehe ich durch das Maisfeld hier im Winter, und es bremst enorm, ich komme kaum vorwärts, bis zwei Typen sich zu mir gesellen, mich von hinten schieben; erst denke ich, der eine will sich schwul ranmachen, aber dann schieben sie mich wirklich toll –

      – wie ich auf der Rutschbahn vom Berg runterrutsche, entdecke ich zum ersten Mal, dass es hier ja wunderschöne Burgen gibt, überhaupt ist das ein Anblick, bei dem es einem stehen bleibt, so schön ist es, das Tal, die Hügel darin, die vereinzelten Burgen darauf, vier sind es ja, wenn man genau hinsieht, das wäre eine Filmeinstellung vom Hubschrauber aus, großartig – aber Nata will nicht mit hoch und die Rutsche ist ihr zu gefährlich, also gehe ich mit Angela und zwei anderen Frauen, deren Ärsche ich gut und direkt vor mir sehe, während wir die schmale Treppe neben der Rutsche hochsteigen, in schwindelerregende Höhen, aber wie ich wieder runterrutsche, bremst es merkwürdig und im unteren Teil legen sich Jugendliche in den Weg, behindern mich und unten ist eine Versammlung, um das Ende der Rutschbahn herum, im Wald und neben einer Straße, wo ich erstmal das gesammelte und in einer Dose neben der Rutsche liegende Geld der einen Frau gebe, die sich sofort bereiterklärt, die Geldverwaltung zu übernehmen, aber darum geht es mir gar nicht, ich sei schon bereit, es zu tun, sage ich und betone, so dass es jeder in der Runde mitkriegt: »aber nur öffentlich!« –

      – ich bin im Knast in einer Schaufensterzelle, was allerdings zehn Mark mehr pro Tag kostet, was ich aber bereit bin, zu zahlen – auch im Knast will ich mit David einen Song einspielen, kann mir aber den Text nicht merken, weswegen wir improvisieren, was dann ganz toll wird, sich hinterher aber nicht abspielen lässt – da ruft Nata an und sagt, dass es mit neunzehn abgespielt werden muss, aber David ist ungern zuständig für mich • beim Drehen ist Mittagessen in einer Schule, eine ganze Masse von jungen Leuten machen viel Rabbatz, aber Rosolski und andere reden mit ihnen und drängen sie zurück; ich will vor allem einer Frau zeigen wie toll ich bin, und rede auf einen ein, es sei unsere Arbeit, er arbeite doch auch, was er abstreitet: er wolle einen Club machen, wozu ich sage, auch nicht normal arbeiten zu wollen, woraufhin er flieht, alle fliehen, aber das restliche Essen, Lasagne, ist noch in einen kleineren Topf umgefüllt –

      – Nata und ich stehen an der Haltestelle Kaltehard, da kommt aus der Kaschemme weiter hinten in den Büschen der Kneipier heraus und wischt sich die Hände, während er Nata anspricht, die er ewig nicht gesehen hat, aber da kommt unsere Bahn, ein Epi-Schienen-Gefährt mit offenem Wagen, auf den sich in Fahrtrichtung ein Pärchen setzt, während wir rückwärts schauen, fast liegend, da drin hängen, und während wir langsam losfahren, frage ich Nata nach dem Typen und seiner Kneipe, aber sie sagt nur verächtlich, dass er nur drei Tische hat und sein Tresen noch abgefuckter sei, unappetitlich und vergammelt, aber ich denke, dass, wenn ich alleine wäre, ich dort öfters hinginge, und inzwischen sind wir oben auf dem Hügel, das Gefährt rast wie eine einsame/vereinzelte Berg- und Tal-Bahn, und vor unseren Augen entsteht − wir fahren ja rückwärts − eine wunderschöne Berglandschaft mit dunkelgrünen, mit Kräutern und Kleinsträuchern bewachsenen Wiesen mit Steinen und kleinen Bäumchen, so herrlich, dass einem der Atem stockt, und wir wundern uns, dass es sowas gleich bei uns um die Ecke gibt, man müsste es filmen, so schön ist es, gerade auch rückwärtsfahrend, wenn die Landschaft so hineinfließt, aber dann sind wir schon da, wohl in Witten, und werden aus dem Wagen in einen flachen, länglichen tiefen Schacht gekippt, den wir herunterrutschen, und dann landen wir in einem Hof vor einer Spelunke, wo wir uns erstmal noch von der Schönheit des eben gesehenen Anblickes erholen müssen; auch das Pärchen, das vorwärts fuhr, vor allem der Mann, ein gedrungener junger Prolet, ist richtiggehend ergriffen, aber dann ist Nata schon in der Kneipe, und als ich nachkomme, treffe ich sie dort im Halbdunkel in der skurrilsten Gesellschaft, lauter besoffene, länglich geschminkte Figuren, in grellen Farben, mit langen, gebogenen weißen Strukturen darin; auch Nata ist so geschminkt und knutscht und fummelt mit einer Lesbe herum, soll irgendein Päckchen mit Stoff oder geheimen Nachrichten transportieren, was ich zu verhindern suche, genauso wie ich sie von dort wegziehen möchte, was sie aber nicht will – ich liege mit Nata im Bett und träume ausgerechnet von Julia, als ich im Halbschlaf unter der Tür Licht sehe, und siehe da: die Tür geht auf und Julia kommt herein und fragt, ob sie hier schlafen kann, legt sich auch sofort zu uns ins Bett, erst habe ich den Eindruck, sie will sich außen neben Nata legen, die noch gar nichts von dem ganzen merkt, dann kommt sie doch mehr in die Mitte zwischen Nata und mir, es ist alles sehr umständlich und voller Decken, und schließlich legt sie sich umgekehrt rein, die Füße zwischen uns, und baut sich mit Kissen eine bequeme Rückwand; Nata ist inzwischen auch wach und trinkt mit Julia Wein, während ich eine Schale, eine Art rundes Tablett mit hohem Rand habe, auf dem eine Flüssigkeit schwimmt, die ich einerseits mit einem Strohhalm trinke, in die ich andererseits mit einer Wasserpistole hineinspritze; der Raum geht tief ins Blauschwarze, durch die Fenster sieht man die Nacht, und Julia hat einen dicken Theweleit-Band mitgebracht, der in einem anderen Verlag und zwar schon 1991 erschienen ist, auch anders als die normalen Theweleits, mit viel mehr gemalten, farbigen, aber dunklen Bildern und weniger Text; sehr dick und ich wundere mich, wieviel Theweleit zu schreiben schafft, es ist wirklich unglaublich; Jan ist übrigens Hubschrauberpilot in Spanien, und dann macht Julia ein ziemlich langes Ritual mit einer Art Kissen, in dem Kräuter und Duftsteine sind, an denen sie riecht, um schlafen zu können, während sie sich einen dicken Schlafanzug anzieht; sie werde auf jeden Fall bis mindestens zwölf schlafen, meint sie, das sei kein