Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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und kommt freundlich auf mich zu – bricht aber, als er vor mir steht, zusammen, bekommt einen Herzanfall, Schweißausbrüche, ich fange ihn auf und setze mich auf den Boden, er liegt mit dem Kopf auf meinem Schoß, ich rufe nach unseren Ärzten, frage, wo Bassy ist, aber die sind plötzlich alle nicht mehr erreichbar obwohl Bassy mit dabei war! und aus dem Fenster raus sieht man in den oberen Stockwerken des gegenüberliegenden Hauses Hausbesetzer oder ähnliche Leute, die aus dem Fenster raus Fahnen schwenken und nach unten fallende längliche Parolenbänder rauslaufen lassen, Politkunstleute, die da eine Aktion machen, auch Texte laut schreiend von sich geben und das alles filmen, gleich wird die Polizei kommen, weil das auch sehr gewalttätig abgeht, aber trotzdem eine Kunstaktion beziehungsweise ein Film sein soll, aber dann versöhnt sich Schleyer mit mir, er liegt sozusagen in meinen Armen und ich habe Angst, dass er ausgerechnet jetzt stirbt, aber dann geht es ihm langsam besser, er beruhigt sich, steht sogar wieder auf und sagt: »nee, alles ist gut, wir können wieder nach Hause gehen« und ich begleite ihn durch die Straßen, er hakt sich bei mir unter, lehnt seine Schulter an mich, wir sind ganz versöhnt, und ich erkläre ihm, dass es bei mir halt auch noch der Unterschied zu den anderen aus der RAF war, dass ich vorher eine Karriere als Filmschauspieler gemacht hatte, also sozusagen ein Leben vor der RAF, während die anderen sonst nichts in ihrem Leben außer die RAF hatten, wozu er verständnisvoll nickt, und dann erkläre ich, dass ich eben auch klare Kriterien hatte, mit denen ich in die RAF gegangen bin – keiner mehr Hunger, alle Trinkwasser – und dass ich deswegen damit die RAF an der Praxis messen und merken konnte, dass das nicht erfüllt wird, ein Prozess, welcher etwa fünf Jahre gedauert habe, wozu er nichts sagt und weshalb er leer geradeaus schaut, aber sagt, dass er sich das gut vorstellen könne, wir reden dann weiter über alles in einer sehr friedlichen und versöhnlichen, fast liebevollen Atmosphäre, und in der Nähe seiner Wohnung kommt aus einer Seitenstraße seine Assistentin, ein älteres Semester, die mich an die Regieassistentin von Oliver Storz erinnert und sie auch sein könnte, sie hat ein dickes Notizbuch, eine Art Kalender mit einer Seite für jeden Tag, in dem aber auch viele andere Notizzettel und Quittungen liegen, und sie beginnt auch gleich ganz wichtig, an Terminabsprachen zu erinnern und neu dazu gekommene zu berichten, aber Hanns Martin Schleyer will erstmal Kässpätzle essen, wozu ich sofort anbiete, dass ich die doch machen kann, allerdings habe ich gleichzeitig Angst, das Versprechen nicht einlösen zu können, weil es schon Nacht ist und ich jetzt nicht mehr die nötigen Zutaten einkaufen kann, aber Schleyer versteht das nicht, weswegen ich es nochmal sage und die Assistentin es versteht, aber ganz hochnäsig wegwerfend, während sie in ihre Notizen guckt sagt: »naja, das können Sie ja einmal machen, irgendwann«, aber da versteht Schleyer und sagt erfreut: »nein, die machen wir gleich oben dann!«, aber sie erzählt, dass in der Wohnung oben ganz viele Katzen sind, weil sie viele Klappen gebaut haben, damit alle Katzen der Umgebung reinkönnen, denn je mehr Katzen in der Wohnung sind, desto mehr Glück bringe das, dann könne nichts passieren, man werde nicht krank, es sei wie eine Art Versicherung, diese ganzen Katzen im Haus zu haben –

      – man kann die Fotos in Echt ansehen wie auf dem Bildschirm, man kann in Echt jetzt auch Ordner in Form von Schubladen machen wie auf dem Bildschirm, aber man kann es nicht behalten, es ist dann weg, virtuell, nur anzusehen, nicht anzufassen – wir sind in einem großen, verfächerten, vielebenigen Haus, eine Art lockeres Großkollektiv, hell und offen, lauter Künstler, Madonna ist mit ihren Kindern zu Besuch, ich sehe sie ein halbes Stockwerk tiefer mit einer Gruppe von Leuten am Boden sitzen und lachen, bin aber gerade auf dem Weg noch ein Stockwerk höher rauf, weil ich organisieren will, dass alle ein Hörspiel über Rudi Dutschke hören können, in dem ich vorkomme und auch Madonna erwähnt wird, weswegen das unbedingt jetzt gehört werden muss, damit sie das auch mitbekommt und vor allem die ganzen jungen afrikanischen Freunde was über Dutschke erfahren, ich muss aber erstmal noch was zum Anziehen suchen, weswegen ich hochgehe, wo auf dem breiten Gang zwischen zwei Etagen, der auf der einen Seite ein Holzgeländer hat, ein eher arroganter Typ sitzt, in einem Liegestuhl, in dem er an einem Laptop arbeitet und mir in Sachen Klamotten nicht weiterhilft – ich brauch ja nur nen Pulli oder eine Jacke, will es auch nur geliehen haben! –, sondern mich weiter nach oben bis ins Dachgeschoss verweist, wo aber wieder andere Leute sind, die ich nicht kenne, die mir aber sehr freundlich ganz viel anbieten, wir sind ja alle eine Truppe und sie wollen mir gerne helfen, aber das passt alles nicht und ist auch viel zu dick, weswegen ich wieder runtergehe und mit dem Motorrad eben mit nackten Oberkörper und Batoma hinten drauf losfahre, wobei wir über alles mögliche quatschen und lachen, regelrechtes »baroke11« machen, bis ich merke, dass mich das zu sehr vom Fahren ablenkt, weil zudem auch die asphaltierten Straßen beginnen und ich mehr aufpassen muss, weswegen ich sage, dass wir jetzt aufhören müssen zu quatschen, weil wir uns sonst verfahren, wonach wir auf den Beginn einer wahnsinnig breiten umfänglichen funkelnagelneuen Autobahn mit frischen weißen Spurmarkierungen stoßen, die von zwei Seiten mindestens sechsspurig zusammenfließt und bei der unklar ist, wo es in welche Richtung geht, wobei ich fast in die falsche, also Gegenrichtung, fahre und an einer Mittelstreifen-artigen Landzunge anhalte, wo sich die Wege teilen beziehungsweise zusammenfließen, aber nicht klar ist, was in welche Richtung geht, Batoma und ich steigen ab und holen den Plan raus, breiten ihn auf dem Motorradsitz aus und betrachten ihn erstmal ratlos, weil das gar nicht das Bamako ist, das man kennt, bis Batoma anfängt, mir den Plan zu erklären: das, wo wir seien, sei eine neue Autobahn weiter draußen, die äußerste Umgehungsstraße von Bamako, die auch im Plan ganz fett eingezeichnet ist und von der ich bis dato noch nichts wusste, und dann muss man quer runter, bis man etwas weiter sozusagen auf den inneren Ring kommt, von dem mir zumindest etwas schwante, aber dann verschwimmt alles, wird unklar, weiß sie auch nicht, was wo ist und wie man wo hinkommt, vor allem eben bis zum innersten Ring, Rue Koulikourou, versichert aber einleuchtend und unwidersprechbar, dass wir jetzt an diesem äußersten Ring seien und man da vorne, etwa fünfzig Meter weiter, hinter der einen der sechsspurigen Straßen, einen leichten Anhang hochklettern müsse und sich dahinter dann durchschlagen könne, das Problem ist aber, wie wir über die sechs Spuren rüberkommen, es ist ein riesiger Plan mit wahnsinnig komplizierten Verzwickungen und Verzweigungen der Straßen, und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, woraufhin wir erstmal in die Wohnung einer Frau gehen, die nicht da ist und in deren Bett wir ficken können, was wir auch wie wahnsinnig tun, obwohl es ein Souterrain ist, dessen Fenster auf die Straße weisen und keine Vorhänge haben, und da sehen wir dann auch draußen die Frau kommen, der die Wohnung gehört, und es wird total peinlich, dass sie ausgerechnet jetzt kommt, da macht sie schon die Tür auf und kommt rein, eine eher ältere, die einen komisch zerfetzten Rock anhat, praktisch nur das Unterzeug, vom oberen hängen nur noch Fetzen am Bund, aber die Frauen kennen sich und begrüßen sich ganz normal und sie sagt: »wir kennen uns doch und ich bin ja auch nur Putzfrau und dachte, ihr wolltet euch nur ein bisschen unterhalten«, was mich an Rosemarie Prieß erinnert, aber das stört den Hund, den ich noch nicht bemerkt hatte – sie hat auch zwei weitere Hunde dabei –, weswegen sie diesen Hund mitnimmt, damit er sich nicht ansehen muss, wie wir ficken, ruft alle Hunde raus zu sich, während sie geht, und wie der Hund, der schon da war, rausgeht, sehe ich, dass der zwei Gesichter hat, eines vorne und eins in der Mitte, woraufhin ich erstmal noch woanders hingehe und auf der Straße Idrissa treffe, der mir ein riesengroßes Buch über Georgi Dimitroff gibt, dessen Innenblock sich schon vom Umschlag gelöst hat und in dem viele Fotos drin sind, eine richtig umfangreiche Dokumentation, die ich erstmal an mich nehme, aber dauernd drauf aufpassen muss, dass der Inhalt nicht rausfällt, während wir vor allem Weiteren erstmal in die Bibliothek gehen, zu der wir mit dem Auto fahren, das wir im Hof der Bibliothek ganz hinten unter Bäumen parken, und von dort dann ziemlich weit bis zum Eingang gehen müssen, wobei ich mich immer noch mit diesem Dimitroff-Folianten rumschlage, teilweise reinschaue, immer wieder gerade noch verhindern kann, dass der Inhalt rausrutscht, aber begeistert bin, was da alles an Dokumenten drin ist, aber schon in der Vorhalle wird klar, dass ich das Buch, das ich suche, dort nicht bekommen werde, woraufhin ich aber Idrissa von Dimitroff erzähle und auch von der Radiosendung über Dutschke, sage ihm, dass er da auch hinkommen soll und mitbekommen wie das war mit der Studentenbewegung, das sei auch wichtig für Mali • gebe Mah die Klipse12 für die Klamotten, habe drei Pakete mit dicken weiße festen Klipsen, in denen je zwanzig bis dreißig Stück drin sind • stehe am Rande eines riesigen Flussbettes, das das des Niger ist, aber völlig ausgetrocknet, nur ein winziges Rinnsal in der Mitte, aber einen halben Kilometer breit und auf der anderen