Angie Volk

Krokodile


Скачать книгу

die Nase, und Anouk grinste, weil sie seine Gedanken erriet.

      Luc läutete, und wenige Augenblicke später öffnete eine hübsche Frau mittleren Alters, die genauso aussah wie ihr Vorgarten: So gepflegt, als würde sie auf die Jury für die »Schönste Frau in mittleren Jahren im Aquitaine«-Wahl warten. Anouk musste beinahe wieder grinsen, besann sich dann aber, weil sie wusste, dass sie an diesem Tag noch oft die traurige Nachricht vom Tod des Mädchens überbringen mussten.

      »Guten Tag, Madame, Sie sind die Mutter von Anne-Françoise Dupuy?«, fragte Anouk.

      »Ja, das bin ich. Charlène Dupuy. Und wer sind Sie, bitte?«

      »Ich bin Anouk Filipetti, und das ist Luc Verlain. Wir kommen vom Commissariat in Bordeaux und würden gerne mit Ihrer Tochter sprechen.«

      »Worum geht es denn?«

      »Das erklären wir Ihnen später, vorher möchten wir mit ihr selbst reden.«

      Die Frau führte die beiden in ihr Haus. Luc sah sich um. Die Inneneinrichtung stand dem Äußeren des Hauses in nichts nach, auch hier wurde die Aquitaine-Mentalität in Perfektion gelebt: Der Flur hing über und über voll mit maritimen Gegenständen – doch nicht solche, die echte Fischer besaßen und auch in der Hütte von Lucs Vater hingen, sondern der ganze teure Krimskrams aus dem »Schöner-Wohnen«-Laden: Ein neues beiges Fischernetz, der unvermeidliche rot-weiße Rettungsring, bedruckt mit dem gelben Löwen von Aquitaine, dem Wappentier der Region, nach Richard von Löwenherz. Auf den Fensterbänken und Schränken lagen Muscheln und glänzten in der Sonne, die durch die großen Fenster hereinschien, und schrien fast die Spießigkeit heraus, die Luc hier in jedem Haus an der Küste erwartete.

      Im ersten Stockwerk klopfte Madame Dupuy an eine Zimmertür, ehe sie sie öffnete. »Anne? Hier sind zwei Polizisten, die gern mit dir sprechen würden.«

      Anouk und Luc betraten hinter der Mutter den Raum und standen einem Mädchen gegenüber, das ganz anders aussah, als sie erwartet hätten. Anne-Françoise Dupuy wirkte wie eine elegante Latina. Sie war nicht sehr groß und hatte einen dunklen Teint und ein hübsches, feingeschnittenes Gesicht. Die Augen leuchteten intelligent in einem strahlenden Braun, und sie lächelte die beiden Polizisten an, fragend, aber offen und einladend. Madame Dupuy ließ die drei allein.

      »Bonjour, Mademoiselle.«

      »Bonjour. Was ist denn passiert?«

      Anouk atmete kurz durch. »Mademoiselle, wir haben eine sehr traurige Nachricht für Sie.«

      Dann brach sie ab, und Luc spürte ihr Zögern. Er sprach weiter. »Caroline Derval, Ihre Freundin …«

      Anne fiel ihm sofort ins Wort. »Caro? Was ist mit Caro? Ist ihr was passiert?«

      Luc nickte. »Ihre Freundin ist tot. Sie ist letzte Nacht ermordet worden. Es tut uns sehr leid.«

      Anne-Françoise sah erst zu Luc und dann zu Anouk, dann schaute sie aus dem Fenster, als erwarte sie, dass dort draußen, wo die Sonne schien und die Autos durch die baumgesäumte Straße fuhren, das Leben anhalten würde.

      »Das geht nicht.« Dann schaute sie wieder Luc an, herausfordernd, so als könne er die schlechte Nachricht zurücknehmen. »Das kann nicht sein. Gestern Abend war sie doch noch da, und sie war so fröhlich, endlich wieder. Sie kann nicht … Sind Sie sicher?«

      Luc schaute kurz zu Anouk, sie verstand und sagte: »Ja, wir sind uns sicher, Mademoiselle. Es tut uns leid.«

      »Wie ist sie … Hatte sie Schmerzen?«

      »Das können wir noch nicht sagen«, sagte Verlain, der ehrlich sein wollte. »Sie ist noch in der Gerichtsmedizin.«

      Anne-Françoise schluckte und unterdrückte krampfhaft die Tränen.

      »Können wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«

      »Ja, können Sie, aber … wurde sie vergewaltigt?«

      »Auch das können wir noch nicht mit Gewissheit sagen, bisher gehen wir aber nicht davon aus.«

      Anne-Françoise nickte.

      »Sie haben eben gesagt, dass Caroline endlich wieder fröhlich war. Was haben Sie damit gemeint?«

      Das Mädchen sah erneut aus dem Fenster auf den im Wind wankenden Baum und schaute dann in die Ferne. Als sie antwortete, wirkte sie gefasst, doch in ihrer Hand zerdrückte sie gleichzeitig das Kissen, das vor ihr auf dem Bett lag.

      »Sie wirkte wieder glücklich. Ich weiß auch nicht. Es ging drunter und drüber bei ihr in der letzten Zeit. Sie wollte dazu nichts sagen, das war merkwürdig. Sonst hat sie mir immer alles erzählt, aber in den letzten Wochen war sie irgendwie verschlossen.«

      »War sie unglücklich verliebt?«, fragte Anouk.

      Anne-Françoise floss eine Träne über die Wange. Schnell wischte sie sie mit dem Handrücken weg. Luc war erstaunt, wie tapfer und reif dieses Mädchen war.

      »Ich hatte eher das Gefühl, sie war glücklich verliebt. Sie müssen wissen, Caro war sehr erfahren, sie war ja so hübsch. Alle Jungs standen auf sie. In der Schule die Mitschüler, am Strand die Touristen. Und sie spielte damit. Seitdem sie vierzehn war, trug sie knappe Bikinis und kurze Röcke. Sie mochte Jungs. Viele Jungs. Verstehen Sie, was ich meine? Sie hatte immer so viel Spaß am Leben und … na ja, eben auch an Jungs. Sie flirtete rum und verliebte sich gerne.«

      »In wen war sie denn zuletzt verliebt? Wir haben gehört, sie hatte eine Beziehung mit Hakim Tadjiane?«

      Anne-Françoise schaute Luc kurz an und lächelte für einen Moment. »Nein, das war lange vorbei. Sie wollte hier raus. Da konnte sie doch keine Beziehung mit Hakim führen. Die waren mit fünfzehn zusammen. Wenn man das so nennen kann. Da hat sie alles gelernt, und Hakim hat alles von ihr gelernt. Sie haben sich geküsst und so. Und dann hat sie ihn sehr schnell verlassen. Er war immer noch hinter ihr her, hat ihr Briefe geschrieben und so. Hat ständig angerufen.«

      »Können Sie sich vorstellen, dass er etwas mit diesem Mord zu tun hat?«

      »Hakim? Nein, der ist zwar nicht der Klügste, und er macht auch echt komisches Zeug, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Der war so verliebt, der hätte Caro niemals wehgetan. Der hätte jeden verprügelt, der ihr zu nahe kommt.«

      »In wen war sie denn dann verliebt?«, wollte Anouk wissen.

      »Das hat sie mir nicht gesagt, also keinen Namen oder so. Er war älter und hatte Geld, so viel weiß ich. Und er war nicht von hier. Sonst hätte ich ihn gekannt.«

      Anouk und Luc schauten sich an, nur einen kurzen Augenblick. Es war seltsam. Sie hatten schon nach kurzer Zeit dieses stumme Einverständnis, das er in seinem Pariser Kollegium erst in jahrelanger Zusammenarbeit aufgebaut hatte. Doch Anouk hatte gleich gemerkt, dass das Gespräch in eine entscheidende Richtung steuerte. Und genau wie er war sie jetzt noch zehn Prozent wacher als ohnehin schon.

      »Wie lange kannte sie den Mann? Hat sie Ihnen denn gar nichts erzählt?«

      »Vor zwei Monaten oder so hat sie auf einmal Geschenke mit in die Schule gebracht, teuren Schmuck und eine neue Uhr. Da habe ich sie gefragt. Sie hat nur gesagt, dass sie sich endlich jemanden geangelt hat, der ihrer würdig ist. Und nicht so einer wie Hakim, ein Dorftrottel, ein Zuwanderer aus armem Hause. Sie hat sich immer so hart ausgedrückt. Das war ihre Art, auch wenn sie vorher ein bisschen in Hakim verknallt war. Aber mehr hat sie mir nicht gesagt. Sie hatte nicht mehr so viel Zeit für mich. Ich habe natürlich noch oft nachgefragt, aber sie wollte nichts sagen. Sie hat nur erzählt, dass sie es geheim halten, weil sie nicht wollen, dass die Leute reden. Sie hat mir sonst immer alles erzählt. Vielleicht hätte ich …« Sie brach ab, und wieder traten ihr die Tränen in die Augen.

      »Machen Sie sich bloß keine Vorwürfe. Wie hätten Sie denn ahnen sollen, dass etwas nicht stimmt?«, sagte Anouk schnell.

      Anne-Françoise nahm ein Taschentuch und wischte sich die Tränen ab. »In den letzten Wochen wirkte sie wieder so durch den Wind und war traurig. Da habe ich sie noch mal gefragt, aber sie