Angie Volk

Krokodile


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aber wieder unter Kontrolle, stoppte und fragte laut: »Was sagen Sie da? Das ist doch ganz unmöglich. Wie kann das sein? Sie war doch gestern Abend noch hier.«

      »Wir haben sie am Strand von Lacanau gefunden. Sie wurde erschlagen. Vermutlich von jemandem, den sie kannte.«

      Luc schaute Etxeberria überrascht an, sah dann aber schnell wieder zu Monsieur Derval. Der alte Fuchs Etxeberria wollte offenbar eine rasche Reaktion provozieren. Der Werkstattbesitzer schien aufbrausend zu sein, es gab also die Chance auf unüberlegte Äußerungen. Und Etxeberria sollte recht behalten.

      »Ich wusste es!«, schrie Derval und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich wusste, dass so was passieren wird. Wegen diesen arabischen Halunken, diesen … Warum haben wir die ins Land gelassen? Das kann nur Hakim gewesen sein. Dieser Nichtsnutz. Weil … weil sie ihn verlassen hat. Sie wollte mit diesem algerischen Dorftrottel nichts zu tun haben.«

      Sein Gesicht war nun noch röter, und die riesigen Hände zitterten. Etxeberria nickte, wohl wissend, dass er die Reaktion provoziert, in dieser Heftigkeit aber nicht vorausgesehen hatte.

      Luc sprach ganz leise: »Wer ist dieser Hakim? War er ein Freund Ihrer Tochter?«

      »Er ist aus Algerien. Nicht von hier«, ätzte Derval.

      Luc schwieg. Gerne hätte er dem Typen die Meinung gesagt. Aber jetzt war es erst mal wichtiger, dass sie herausbekamen, wen er verdächtigte.

      »Die beiden waren zusammen im Kindergarten. Und auf der Schule hat er ihr nachgestellt. Da war Caro vierzehn. Er war pausenlos hinter ihr her. Aber sie fand ihn natürlich zu langweilig, und seine Familie ist arm. Niemals wäre der was für mein Mädchen gewesen. Er ist nicht sehr helle, wissen Sie?«

      »Und wieso hätte er Ihrer Tochter etwas antun sollen?«, fragte Luc.

      »Sie wollte keinen Kontakt mehr, aber er rief ständig bei uns an und verlangte nach ihr. Schrieb ihr Briefe. Irgendwann habe ich immer zuerst in den Briefkasten gesehen und sie versteckt. War ja nicht auszuhalten.«

      »Haben Sie die Briefe noch?«

      »Ja, im Haus, in meinem Schlafzimmer.«

      »Wo finden wir diesen Hakim? Wie heißt er weiter?«, fragte Etxeberria.

      »Hakim Tadjiane, zweites Haus links von hier. Aber beeilen Sie sich. Bevor ich ihn finde.«

      »Könnten Sie uns die Briefe holen?«, fragte Luc, der die Drohung ignorieren wollte.

      »Ja«, stöhnte Monsieur Derval.

      »Sobald wir mehr wissen, informieren wir Sie. Und bis dahin unternehmen Sie gar nichts und überlassen die Sache der Polizei. Haben Sie das verstanden?«, ermahnte ihn Luc. Der Werkstattchef war ein schroffer Typ, und der Glaube an die Justiz war im ländlichen Frankreich nicht ganz so weit ausgeprägt.

      »Wie bitte?«, fragte Derval aufbrausend. »Sie weisen mich zurecht? Da hat ein verdammter Algerier meine Tochter auf dem Gewissen, und Sie wollen mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe? Wer sind Sie denn? Sie sollten lieber der Familie Tadjiane einen Besuch abstatten, ehe ich Ihnen zuvorkomme.«

      »Das tun wir, Monsieur Derval.«

      »Eine letzte Frage noch«, ergänzte der Baske. »Wo waren Sie letzte Nacht nach Mitternacht?«

      Der Werkstattbesitzer schaute dem Kommissar direkt in die Augen. Sehr nah, sehr unangenehm direkt.

      »Hier. Im Bett. Mit meiner Frau. Fragen Sie sie.«

      Luc und Etxeberria verabschiedeten sich und verließen die Werkstatt. Derval eilte ihnen hinterher, um ins Haus zu gehen.

      »Das war ein kluger Schachzug«, raunte Luc seinem Kollegen zu.

      »Weiß ich«, knurrte Etxeberria.

      In diesem Moment drehte sich Luc um und rief Derval hinterher, der schon in der Tür stand. »Monsieur Derval. Einen Augenblick …«

      »Was ist denn noch? Ich will zu meiner Frau.« Der grobschlächtige Mann kam atemlos auf ihn zu.

      »Ich brauche bitte eine Liste Ihrer Mitarbeiter in der Werkstatt«, sagte Luc, der sich ungefähr vorstellen konnte, wie in einem solchen Betrieb über ein so hübsches Mädchen geredet wurde, wenn der Chef nicht mit an der Hebebühne stand.

      »Kriegen Sie.«

      »Und noch eine letzte Frage. Wer wohnt alles in Ihrem Haus?«

      »Meine Frau, Caroline und mein Sohn Thomas. Mein Vater ist letztes Jahr gestorben.«

      »Sie haben einen Sohn?«

      »Ja, aus erster Ehe«, grummelte Derval.

      »Wo finden wir Thomas?«

      »Was hat der denn damit zu tun?«, fragte Derval und trat noch näher an Luc heran.

      Der roch seinen fauligen Atem und antwortete, ohne einen Schritt zurückzuweichen: »Er wohnt hier mit im Haus, also wird er Caroline gut kennen, und wir würden ihn gerne dazu befragen. Also: Wo ist er?«

      »Er ist unterwegs. Mit dem Motorrad. Sitzt immer an der Dune du Pilat. Will ja weg zum Studieren, aber noch geht das nicht los. Also hängt er da rum.« Derval verzog sein Gesicht und schaute verächtlich. Offensichtlich war er nicht einverstanden mit den Zukunftsplänen seines Sohnes. »Ich werde ihn anrufen, damit er herkommt. Ich will es ihm selbst sagen, zusammen mit meiner Frau.«

      Verlain nickte. »Wir würden dann anschließend gern mit ihm sprechen. Wir werden später noch einmal vorbeikommen.«

      Derval drehte sich wortlos um.

      Nachdem der Werkstattbesitzer im Haus verschwunden war, wandte Etxeberria sich an Luc. »Wir sollten jetzt diesen Hakim unter die Lupe nehmen, am besten, wir nehmen ihn mit aufs Commissariat. Und heute Abend kommen Sie mit Anouk noch mal hierher und vernehmen den Bruder, und Hugo und ich reden mit Spurensicherung und Gerichtsmedizin. Oder wollen wir wieder alles zusammen machen wie bei einem Schulausflug?«

      Verlain überhörte die tumbe Ironie. »Nein, das ist in Ordnung. Hier ist es sicher spannender als in Bordeaux’ Katakomben. Dann mal zur Familie Tadjiane.«

      Etxeberria ging los, Luc hinterher.

      Der Pariser Kommissar ergriff das Wort: »Anouk und ich werden uns heute Abend dann auch um die Briefe kümmern.«

      Etxeberria antwortete abfällig: »Jetzt schauen wir uns erst mal den Tatverdächtigen an, und wenn es noch nötig ist, können Sie ja das Liebesgeschreibsel heute Abend mitbringen. Aber ich kläre Morde in der Regel schnell auf. Die Leute hier sind einfach gestrickt, da gibt es keine langen Beweisketten.«

      Sie erreichten einen Vorgarten an der Straße, dahinter ein kleiner heruntergekommener Bungalow mit einer blauen Tür. Der Verkehr rauschte vorbei. Es war hässlich hier und laut. Der Staub, den die Autos auf der maroden Straße aufwirbelten, flog durch die Luft und hatte sich über die Jahre in allen Ritzen des Hauses eingefressen. Kein Zweifel, in Brach wohnten nicht die reichen Leute.

      Kapitel 4

      »Oui?«

      Luc schätzte die Frau, die ihnen die Tür öffnete, auf Ende vierzig, aber sie sah sehr verlebt aus. Das Haar war schon ergraut, die Falten waren tief. Sie hatte dicke Tränensäcke. Das Leben hier hatte ihr wohl zugesetzt. Auch wenn der Südwesten immer liberaler gewesen war als die Provence oder der Norden Frankreichs – hier in den kleinen Dörfern gab es viele, die rechten Ideen nachhingen und an den Lippen von Marine Le Pen und dem Front National hingen. Da hatte es eine alleinerziehende Algerierin nicht leicht. Erst recht nicht, wenn sie einen kleinkriminellen Sohn hat. Luc hatte von den Kollegen aus dem Commissariat eben Hakim Tadjianes Vorstrafen und Akteneinträge zugemailt bekommen: Einmal Raub, dreimal Diebstahl, zweimal leichte Körperverletzung.

      Verlain ergriff das Wort: »Madame Tadjiane?«

      »Ja, die bin ich. Sind Sie von der Polizei?«

      Sie kannte das schon.