Eva Weissweiler

Das Echo deiner Frage


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WeißWeiß, Klara sah sich in der Wohnung um, die AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) und ihr Mann Leon KellnerKellner, Leon erst vor kurzem bezogen hatten. Es gefiel ihr gar nicht hier. Viele Räume, aber sehr ungemütlich. Hetzgasse 8, dritter Bezirk. Schon der Name klang scheußlich. Ein Mietshaus, das wie ein riesiger Eckzahn in die Straße ragte. Alles grau. Nirgendwo Farbe an den feuchten Wänden. Dauernd raste die Pferde-Tramway, die sogenannte »Glöckerlbahn«, vorbei. Außerdem hörte man jedes Geräusch aus den Nachbarwohnungen. Die Toiletten, draußen, auf halber Treppe, waren ständig verstopft und verschmutzt. Nicht einmal einen Garten gab es, nur einen traurigen Hof ohne ein Fleckchen Grün, der zum Wäscheaufhängen benutzt wurde.

      Klara WeißWeiß, Klara war lange dagegen, dass ihr »AnneleKellner, Anna (geb. Weiß)« diesen brotlosen Gelehrten heiratete, diesen aus Tarnów in Galizien stammenden Leon KellnerKellner, Leon, der zwar seinen Doktor in englischer Philologie gemacht hatte, nun aber Knaben an einer Oberrealschule unterrichten und sich ein Zubrot als Hilfslehrer für israelitische Religion verdienen musste. »Ein Hungerleider, mein Gott, ein Schulmeister!«[13] Doch AnneleKellner, Anna (geb. Weiß) blieb stur:

      Ich liebe ihn und er liebt mich wieder, und wenn er fertig ist, werden wir heiraten![14]

      Früher wurden die Ehen noch vom Vater, vom Rabbiner oder vom Schadchen arrangiert, ihre eigene mit dem Wollhändler Salomon WeißWeiß, Salomon zum Beispiel, als sie erst 16 war. Sie war viel jünger als er und hatte ihn noch nie in ihrem Leben gesehen, denn er lebte im oberschlesischen Bielitz und sie im russischen Berdyczew,[15] mehrere Tagereisen entfernt. Doch ihr Vater, ein reicher Kaufmann namens Moses Meier SchwarzbergSchwarzberg, Moses Meier, war der Ansicht, dass sie nun heiraten müsse. Denn er war zum zweiten Mal verwitwet und fand es unpassend, mit einer hübschen 16-jährigen Tochter unter einem Dach zu leben. Nach der Hochzeit sollte sie ihn nie wiedersehen. Er starb kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes.[16]

      Die ersten Jahre mit Salomon WeißWeiß, Salomon waren nicht einfach für sie. Sie hatte Heimweh und wusste ja nicht, was das ist: Liebe und Ehe. Vom Haushalten verstand sie schon gar nichts, denn als Liebling des Vaters war sie wie eine Prinzessin aufgewachsen, hatte stets nur Seidenkleider getragen und noch nie Kaffee oder Tee gekocht. Anfangs konnte sie nur Sticken, ein paar Brocken Französisch sprechen und Apfelstrudel backen. Letzteres allerdings so grandios, dass ihre Kinder und Enkel später gar nicht genug davon bekommen konnten.

      Ja, manchmal ist sie ihm davongelaufen bis zum Bahnhof von Bielitz oder ans Ufer der Bialka, die zwar »die Weiße« hieß, aber doch schmutzig und trübe war, weil sie sich zwischen Maschinen- und Tuchfabriken dahinschlängelte, die ihr Abwasser in den Fluss laufen ließen. Doch wohin sollte sie gehen? Zu ihrer Familie? Oder nach Wien? Unmöglich. Also weinte sie ein paar Stunden und ging zurück zu Salomon WeißWeiß, Salomon, der zwar selten lachte, aber sehr fromm, fleißig und pflichtbewusst war, sparsam mit Geld umging und viel von Wolle verstand, die er in Ungarn persönlich einkaufte, wenn sein Geschäft auch keine großen Reichtümer abwarf, da die Textilindustrie billige Baumwolle aus Indien oder Amerika bevorzugte.

      Mit 17 bekam KlaraWeiß, Klara ihr erstes Kind, dem noch elf weitere folgen sollten. Über 20 Jahre lang war sie entweder schwanger oder hatte ein Kind an der Brust. Zwar lernte sie nie akzentfrei die Sprache des Landes, aber das taten die wenigsten in Bielitz, wo ein Gemisch aus Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Slowenisch und Jiddisch auf den Straßen zu hören war. Mit der Zeit wurde sie aber eine perfekte Haus- und Geschäftsfrau, die das Kommando über Mann, Kinder und Dienstboten hatte. Sie fand, dass die Frau nur eine Aufgabe habe: Gattin und Mutter zu sein. An die romantische Liebe glaubte sie nicht. Eine Ehe müsse auf gegenseitiger Achtung begründet sein, weiter nichts, schrieb sie einmal an ihre Tochter AnnaKellner, Anna (geb. Weiß).

      In dieser Welt muss man ein wenig nüchtern sein und von vornherein auf mancherlei verzichten. In meinen Augen ist die Notdurft des Lebens das Wochentagskleid, der Idealismus der Schmuck, der es verschönt. Ich kann aber eher auf diesen Schmuck, als auf dieses Kleid verzichten, eher also auf die Erfüllung meiner Ideale, wenn sie auch das Leben verschönern und einem viel Freude machen.[17]

      Leon und Anna

      Bei AnnaKellner, Anna (geb. Weiß), ihrer Tochter, war alles anders. Sie war jung und modern, hatte eine Höhere Töchterschule besucht, spielte sehr gut Klavier und sprach als eines der ersten Mädchen der 15000-Seelen-Stadt Bielitz Englisch, Französisch und Italienisch, ja sogar Hebräisch, das sie bei einem Herrn Löwy, einem klugen, »nur etwas jähzornigen Mann«, gelernt hatte.[18] Ihrem Vater, Salomon WeißWeiß, Salomon, der aus einer berühmten Rabbiner-Familie stammte, immer ein schwarzes Samtkäppchen trug und ganze Tage in der »Schul« verbrachte, war es wichtig, dass auch die Töchter »die herrliche Sprache der Bibel« lesen konnten, um später vielleicht einmal Rabbinerinnen werden zu können, sei es in Amsterdam oder in Breslau![19]

      Als AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) ihren späteren Mann Leon (eigentlich Chaim Leib) KellnerKellner, Leon kennenlernte, war sie nicht einmal 16. Er war nur ein einfacher Gymnasiast, der ihr zufällig über den Weg lief, weil er in Bielitz, wo er Verwandte hatte, seine Matura machen wollte. Er stammte aus dem galizischen Tarnów und war als einziger Sohn streng chassidischer Getreidehändler ebenfalls zum Rabbiner bestimmt worden. Schon mit drei Jahren hatte er den Cheder, die jüdische Elementarschule, besucht, wo er bei einem »Belfer«, einem Hilfslehrer, Lesen und Schreiben gelernt hatte, begleitet von Schlägen und Grausamkeiten, deren Sinn er niemals verstand, hatte sich morgens um vier durch den Wald auf den Weg gemacht, bei Eis und Schnee, auch an Sonntagen, wobei ihm manchmal christliche Kirch- oder Wirtshausgänger begegneten, ihn an den Pejes, den Schläfenlocken, rissen und ihm die schwarze Pelzmütze über die Augen zogen.[20] Trotzdem hatte er niemals aufgehört, ein frommes Kind zu sein, das sich auf jeden Sabbat und jedes Pessach freute und im »Meschiah« die »Krone seines Lebens« sah. Er war fest davon überzeugt, dass dieser »Meschiah« eines Tages auf dem Martinsberg stehen und den Schofar blasen würde. Man musste es nur glauben und wollen.[21]

      AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) sprach als Kind ein Gemisch aus Hochdeutsch, Jiddisch und Schlesisch, »das rührende verschlampte Deutsch […] der österreichisch-ungarischen Monarchie«, das »Esperanto« des Vielvölkerstaates, wie Dora es später einmal nennen würde.[22] Sie selbst wurde nur »AnneleKellner, Anna (geb. Weiß)«, ihre Mutter nur »Mutterle« genannt. KellnersKellner, Leon Muttersprache dagegen war Jiddisch, ausschließlich Jiddisch, versetzt mit ein paar polnischen Brocken, die er auf der Straße gehört hatte. Niemand dachte daran, ihn Hochdeutsch lernen zu lassen. Warum auch? Hochdeutsch war die Sprache der Ungläubigen, der Gojim. Doch eines Tages war er aus dieser Welt ausgebrochen. Sie war ihm zu klein und zu eng.

      Er […] sparte die Kreuzer, die er für sein Mittagsbrot bekam, und kaufte eine lateinische Grammatik, mittels derer er sich im Geheimen auf die Prüfung für die dritte Gymnasialklasse vorbereitete. Eines Tages fand ihn ein christlicher