Gisela Reutling

Mami Staffel 1 – Familienroman


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ohne das Essen zu unterbrechen. »Die Arbeit war gar nicht so schlimm, sie hat mir nichts ausgemacht, aber die Nächte waren furchtbar. Kann ich mir noch einen Pfannkuchen nehmen? Also, immer schrie ein Kind des Nachts. Die Frau war auch total fertig. Jetzt haben sie zwei Mädchen eingestellt, beide für halbe Tage. Und die lösen sich ab, mal bleibt die eine des Nachts, mal die andere. So wird es gehen. Aber ich brauche eine Ganztagsstelle, ich brauche das Geld, ich muß nämlich für meine Mutter sorgen, die bekommt nur eine kleine Rente.«

      »Jetzt erzählen Sie von sich«, bat Max Gilberg. Ihm war, als müßte er bei dieser Bitte seinen ganzen Mut zusammennehmen. Dabei war er wirklich weder schüchtern noch gehemmt.

      »Ich bin nicht interessant, aber von Ihnen würde ich gern etwas erfahren«, bat sie liebenswürdig. »Wo haben Sie bis jetzt gewohnt? Warum sind Sie in unsere kleine Stadt gezogen?«

      »Papa ist versetzt worden«, erklärte Thomas rasch. Er legte die Hände auf seinen Magen. »Ich kann nicht mehr, ich platze gleich. Das waren die leckersten Eierkuchen in meinem ganzen Leben. Kannst du die heute abend nicht noch einmal backen?«

      Sie lachte wieder. Was für prachtvolle Zähne sie besaß! Alles an diesem Mädchen berührte den Mann angenehm.

      »Papa ist Werbefachmann«, prahlte Doris. »Ein wahnsinnig tüchtiger, das kannst du glauben.«

      »Doris«, mahnte Max sie verlegen.

      »Ist doch wahr. Darum sind wir hierhergezogen. Wir hatten in Hamburg ein tolles Haus und einen Garten, es war gar nicht weit bis zur Alster. Aber ich finde, hier ist es auch sehr schön, besonders, wenn du uns oft besuchst. Papa wird bestimmt nicht viel Zeit für uns haben. Er ist nämlich jetzt der Chef in einer Werbeagentur. War das richtig, Papa?«

      »Ja, du Plappermäulchen. Also, jetzt wissen Sie alles. Ich kann mich der Bitte nur anschließen, ich hoffe, Sie besuchen uns recht oft.«

      Sie nickte, freute sich unbändig und spürte, wie die Verlegenheit die Röte in ihre Wangen trieb. Dabei sollte sie doch wirklich daran gewöhnt sein, im Mittelpunkt zu stehen.

      »Ich komme gern, sehr gern sogar.«

      »Versprochen?« Thomas streckte ihr über den Tisch hinweg die Hand entgegen. »Versprochen ist versprochen, und wird nicht gebrochen.«

      Feierlich wiederholte sie die Worte und nickte.

      »Prima«, strahlte der Bub. »Ich meine, jetzt hast du wirklich genug gearbeitet, Marie-Luise, jetzt mußt du mit uns in den Garten gehen. Ich darf zuerst auf Janus reiten.«

      Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und erschrak.

      »Aber viel Zeit hab ich nicht mehr… Eine Stunde noch«, tröstete sie die Kinder, als sie die enttäuschten Gesichter sah. »Wo haben Sie Ihr Gepäck, Trude?« wollte sie ängstlich wissen. Es durfte nicht sein, daß das Mädchen fortging und die drei allein ließ. Der Gedanken war auch dem Mann wohl in diesem Augenblick gekommen.

      »Im Auto«, war Trudes pomadige Antwort.

      Thomas wieherte vor Lachen. »Ein Mädchen kommt mit dem Pferd und das andere mit dem Auto. Toll.«

      »Was ist daran so komisch?« wollte Trude erstaunt wissen. »Das Auto hab ich nun mal. Ich muß des Abends zurück. Meine Mutter braucht mich.« Als sie das Erschrecken in den Augen der drei sah, sagte sie schnell:

      »Wenn’s mal sein muß, kann ich natürlich auch über Nacht bleiben, das ist kein Problem.«

      »Dann ist ja alles klar«, nickte Max Gilberg freundlich. Traurig war er, als Marie-Luise sich erhob und seine Kinder sofort aufsprangen und sich an sie hängten, als hätten sie Angst, sie könnte sich in Luft auflösen. Niemand forderte ihn auf mitzukommen. Sie verschwanden im Haus, Türen schlugen, man hörte ihre fröhliche Stimme aus dem vorderen Garten.

      »Kann ich jetzt abräumen?«

      Er zuckte zusammen und nickte. »Selbstverständlich. Wie gesagt, Trude, ich darf Sie doch so nennen? Ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind. Vielleicht sollten wir uns heute abend über die finanzielle Seite unterhalten. Ich möchte nämlich jetzt ins Krankenhaus fahren. Ich muß nachsehen, wie es meiner Schwester geht.«

      »Wohnt Ihre Schwester bei Ihnen?« Trude war es ein wenig bänglich. Sie hatte mit Frauen im Haushalt keine guten Erfahrungen gemacht.

      »Nein, nur so lange, bis Sie sich eingelebt haben. Pat wird froh sein, wenn sie in ihre Wohnung zurück kann. Ich war ihr sehr dankbar, daß sie uns in den letzten Monaten geholfen hat.«

      Aber Max fuhr nicht sofort. Er ging in sein Arbeitzimmer, stellte sich ans Fenster und sah hinaus. Rasen und Sträucher interessierten ihn nicht. Er ließ keinen Blick von der kleinen Gruppe. Wäre Pat hier, dachte er mit klopfendem Herzen, sie würde das Bild malen. Das Pferd, meine beiden Kinder und das Mädchen. Ihr Haar leuchtete wie altes Kupfer, er hörte ihr Lachen, er erinnerte sich an ihr weiches Lächeln, und am liebsten wäre er zu ihr hinausgerannt und hätte sie gebeten, bei ihnen zu bleiben.

      Ich bin wie ein ausgetrockneter Schwamm, dachte er zynisch. Das Lächeln einer schönen Frau bringt mich schon um den Verstand.

      *

      Im Haus war es so still wie auf einem Friedhof. Noch vor wenigen Minuten hatte ihn das Lärmen der Zwillinge gestört, jetzt begann die Stille ihn nervös zu machen.

      Trude war nach Hause gefahren. Sie waren sich schnell einig geworden. Er war sicher, mit dem Mäd­chen einen guten Griff getan zu haben.

      Er hatte also allen Grund, zufrieden zu sein. Pat würde Ende der Woche entlassen werden, das Haus war schon jetzt gemütlich, er und die Kinder waren hier gut aufgehoben. Er freute sich auf seine Arbeit, konnte es gar nicht erwarten, wieder hinter dem Schreibtisch zu sitzen. Einige Male war er in der Agentur gewesen, die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kannte er inzwischen. Es würde ein interessantes, anspruchsvolles Arbeiten werden. Niemand in Hamburg hatte sein Zörgern verstanden, als ihm die Stelle des Chefs in der großen Werbeagentur angeboten wurde. Aber er hatte an die Kinder gedacht, wie sie die Umstellung vertragen würden. Immerhin hatten sie in dem Hamburger Haus mit ihrer Mutter zusammengelebt. Das Haus steckte nicht nur für ihn voll Erinnerungen. Aber sehr zu seiner Verwunderung hatten die Kinder ganz begeistert reagiert, auch Pat hatte ihm energisch zugredet.

      Er saß in dem bequemen Sessel seines Arbeitszimmers, er lauschte auf die Gräusche des Hauses und sah durch das geöffnete Fenster in den Garten. Er war sich selbst ein Rätsel und konnte sich die Unruhe nicht erklären. Er horchte tief in sich hinein und wartete auf den Schmerz, der ihn immer überfiel, wenn er an Jenny dachte. Sie war jetzt 15 Monate tot, 15 Monate waren eine lange Zeit. Kein Tag war vergangen, an dem er nicht voll Heimweh und Kummer an sie gedacht hatte. Er vermißte sie so sehr.

      Aber zu seiner eigenen Verwunderung war es nicht Jennys Gesicht, das vor seinen geschlossenen Augen tanzte.

      Es war ein schmales, apartes, bezauberndes Gesicht mit kupferfarbenen Haaren und grünen Augen. An der linken Wange spielte ein Grübchen. Er hatte sogar das dunkle Lachen des Mädchens im Ohr.

      Er sprang ungeduldig auf und marschierte mit großen Schritten durchs Zimmer. Das durfte doch nicht wahr sein! Pat hatte recht, vor lauter Grübeln und Traurigkeit verlor er noch den Verstand. Offensichtlich war es mit ihm schon soweit.

      Er hatte Marie-Luise doch nur kurze Zeit gesehen, gut, sie war mehrere Stunden in seinem Haus gewesen, aber er hatte sie doch gar nicht bewußt wahrgenommen.

      Oder doch?

      Warum ging ihm das Mädchen nicht aus dem Kopf? Er konnte sich doch unmöglich in sie verliebt haben. An Liebe auf den ersten Blick hatte er nie geglaubt. Jenny und er waren praktisch wie Geschwister miteinander aufgewachsen.

      Sie hatte ihn beeindruckt! Na gut. Aber deswegen brauchte sie ja nicht den ganzen Abend in seinem Kopf herumzugeistern. Auch die Kinder hatten beim Abendbrot ständig von ihr gesprochen.

      Sie war zu ihm ins Zimmer gekommen und hatte sich von ihm verabschiedet. Wie ein Narr hatte er sich benommen.

      Ihre