natürlich genau, wie sie die drei um den Finger wickeln kann.
Marie-Luise lächelte Pat an. Das Lächeln war ein wenig zurückhaltend, abwartend, keine Spur zu freundlich.
»Guten Morgen, Fräulein Gilberg.«
Pat nahm ihre Hand, nickte zurückhaltend und ließ sie sofort wieder frei. »Thomas, bring doch den Hund zum Schweigen, er weckt ja die ganze Nachbarschaft auf. Die meisten Menschen schlafen schließlich noch zu dieser Zeit.«
»Dann sind sie schön dumm.« Doris schmiegte sich an Marie-Luise, als hätte sie Angst, die könnte sich in Luft auflösen. »Wenn man früh aufsteht, ist der Tag doch viel länger. Können wir sofort fahren?«
»Klar können wir das, aber zuerst will ich Trude guten Morgen sagen. Ich muß schließlich wissen, wie es ihrer Mutter geht. Gestern war sie sehr in Sorge um sie.«
»Aber gestern waren sie doch gar nicht hier.« Pat runzelte verärgert die Stirn. Frechheiten nahm sich diese Person heraus!
»Wir telefonieren miteinander«, lächelte Marie-Luise liebenswürdig. Sie kniff den Kindern ein Auge zu. »Schließlich mußte ich doch wissen, was ihr besonders gern eßt. Stellt euch vor, ich hätte Spinat oder Möhrengemüse eingepackt.«
»Das wäre gar nicht schlimm gewesen«, beruhigte sie Doris zärtlich. »Uns ist doch die Hauptsache, daß wir mit dir zusammen sind. Bleib aber nicht zu lange bei Trude. Das dauert immer endlich, wenn Trude was erzählt.«
Sie saßen endlich in Marie-Luises unscheinbar aussehendem Wagen. Pat betrachtete ihn mit Verachtung. Viel schien sie nicht zu verdienen, daß sie sich keinen anderen Wagen leisten konnte, oder sie gab für andere Dinge zu viel Geld aus. Es würde sie gar nicht wundern, wenn sie das Geld nicht zusammenhalten konnte. Künstlern war nicht zu trauen, das Urteil stand für Pat fest.
»Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen«, schrien die Kinder und winkten übermütig.
»Ruh’ dich aus«, riet Max ihr. »Max’ strahlendes Gesicht brachte Pat am meisten durcheinander. Er sah wie ein glücklicher Junge aus. Es war das Gesicht, das sie so gut in Erinnerung hatte. So, genauso hatte er ausgesehen, als sie noch zusammenlebten. Damals war für Pat die Welt in Ordnung gewesen. Damals träumten sie davon, immer zusammenzusein.
Aber dann war Jenny gekommen. Sie waren fortgezogen, allerdings nur einige Straßen von ihr entfernt, aber ihr war es gewesen, als lebte Max auf einem anderen Stern.
Pat hatte gelernt, damit zu leben. Sie hatte sogar gelernt, nicht mehr eifersüchtig auf Jenny zu sein, sie hatte sich in ihrer eigenen Wohnung sogar wohl gefühlt.
Dann kam die Zeit, als Max und die Kinder sie brauchten. Es war für Pat wundervoll gewesen, gebraucht zu werden. Die Kinder hingen an ihr, Pat glaubte, sie liebten sie.
Und Max war ihr sehr nahe gewesen. Pat hatte nie ernstlich erwogen, in ihre Wohnung zurückzufahren.
Langsam ging Pat ins Haus zurück. Sie war vollkommen durcheinander. Sie redete sich ein, es wäre nur die Sorge um die drei.
Man konnte doch dieser verwöhnten Schauspielerin nicht trauen. Sie las gerade ein Buch, in dem einen Schauspielerin die Menschen an der Nase herumführte, auch im Leben Theater spielte, so daß sie selbst nicht mehr erkannte, was Theater war oder nicht.
Pat ging nur zögernd ins Haus zurück. Diese Person hatte ihrer aller Leben total durcheinander gebracht. Sie hörte Trude in der Küche wirtschaften. Was für einen Lärm sie machte! Hoffentlich rührte sie das kostbare Meißner Porzellan nicht an. Wenn man so laustark mit dem Geschirr klapperte, waren Scherben schon vorprogrammiert.
Lustlos betrat sie das Wohnzimmer. Das würde ein entsetzlich langweiliger Tag werden. Wenn sie wenigstens spazierengehen könnte! Allein wagte sie es nicht, aber daran dachten die drei Gilbergs natürlich nicht.
Trude klopfte und streckte ihren Kopf schon ins Zimmer. Dieses Mädchen, das offensichtlich die Schauspielerin ausgesucht hatte, würde nie eine vorzeigbare Kraft werden. Das Haar war ungepflegt, das Kleid konnte gar nicht altmodischer sein, sogar die blaue Schürze kleidete sie unvorteilhaft.
»Da ist ein Wagen vorgefahren.« Trudes rotes Gesicht war ängstlich verzogen.
»Na und?« Pat musterte sie, als hielte sie eine Stilbrille vor den Augen. »Es wird jemand sein, der meinem Bruder seine Aufwartung machen will. Was ist daran so aufregend?«
Trude nickte schüchtern. »Ich gehe dann und öffne die Tür.«
»Aber erst, wenn geschellt wurde«, befahl Pat ungeduldig. Es wurde höchste Zeit, daß dieses Mädchen erzogen wurde.
Eine junge Dame wurde von Trude ins Zimmer geführt. Mit einem Blick erkannte Pat, daß der Gast sich zu kleiden verstand. Das weiße Kostüm stammte aus dem ersten Salon, die zartrosa Perlenkette paßte vorzüglich dazu, wenn auch Pat fand, daß der Schmuck für diese Tageszeit nicht recht angebracht war. Der Verschluß der Kette war aus Saphiren und Diamanten, und der riesige Ring aus einem Sternsaphir war recht auffällig.
»Ich komme hoffentlich nicht ungelegen.« Franziska Treu zauberte ein Lächeln aus Verlegenheit und Charme in ihr Gesicht. Ein sorgfältig zurecht gemachtes Gesicht! »Aber ich bin so gespannt, die Zwillinge kennenzulernen. Max hat so viel von ihnen erzählt. Ich bin Franziska Treu. Max und ich arbeiten zusammen. Er hat mich gebeten, einmal zu kommen. Ich habe mir nämlich vorgenommen, Max und den Kindern zu helfen, damit sie sich hier rasch heimisch fühlen.«
Diese junge Dame behandelte Pat mit dem Respekt, den sie erwartete. Franziska fragte nach Pats Befinden und ließ sich ausführlich von dem Unfall berichten. Pat versäumte auch nicht, über die Behandlung im Krankenhaus zu klagen.
»Mein Bruder wird untröstlich sein, daß er Sie verpaßt. Aber er ist mit den Kindern und Fräulein Wagner fortgefahren. Aber bitte, behalten Sie doch Platz. Ich werde Trude bitten, uns eine Erfrischung zu bringen. Es ist schrecklich heiß heute, nicht wahr?«
»Sie sind sehr freundlich. Aber ich möchte Sie nicht stören. Ich habe beinahe das Gefühl, mich für mein plötzliches Auftauchen entschuldigen zu müssen.«
»O nein. Ich bin froh, daß Sie gekommen sind. Endlich jemand, der meine Sprache spricht. Seit ich hier bin, habe ich das Gefühl, von ungebildeten Menschen umgeben zu sein, meinen Bruder selbstverständlich ausgeschlossen.«
Wie unfair ihr Urteil war, wußte Pat tief in ihrem Innern, aber die Eifersucht war stärker als ihre Wahrheitsliebe.
Natürlich wollte Franziska wissen, wer Fräulein Wagner war. Pat war nur zu gern bereit, von ihr zu erzählen. Endlich jemand, der zuhörte, wenn sie ihre Sorgen aufdeckte. Daß sie auch in Franziska heftige Eifersucht weckte, wußte Pat natürlich nicht.
So verbrachten die beiden einen angeregten Tag, denn natürlich bestand Pat darauf, daß Franziska wartete, bis die vier zurück kamen. Trude bediente sie. Wie oft die Arme hin und her rennen mußte, beachteten die beiden gar nicht. Sie waren aus demselben Holz geschnitzt und verstanden sich prächtig. Diese Dame war eine Frau nach Pats Herzen. Sie würde alles daransetzen, daß aus ihr Frau Gilberg wurde, wenn Max darauf bestand zu heiraten, obwohl er es nach Pats Meinung nicht nötig hatte. Schließlich war sie ja da. Pat glaubte noch immer, daß ihr Einfluß groß genug war, um ihm ihren Willen aufzudrücken.
*
Für die vier war es ein wundervoller Tag gewesen. Max und Marie-Luise waren nicht eine Minute allein gewesen, aber nicht einmal Max war traurig darüber. Sie hatten Burgen gebaut, sie hatten Krebse gefangen, sie waren über den Strand gerannt und hatten sich dann faul von der Sonne bräunen lassen.
Jetzt saßen sie im Auto und sangen all die Lieder, die die Kinder kannte. Max und Marie-Luises Stimmen klangen wundervoll zusammen.
»Jetzt singen wir, ›Wenn alle Brünnlein fließen‹, verlangte Thomas. Zu seinem Ärger durfte er nicht vorn bei Marie-Luise sitzen, sein Vater saß da.
»Aber ich nicht mehr. Ich kenne das Lied, aber ich sollte besser den Mund halten.«
Thomas schnallte