Jacob Burckhardt

Griechische Kulturgeschichte, Band 3


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diese Darstellungen auch Formen geschaffen, wie sie der Orient nicht kannte. Bestand schon frühe zwischen den figurenreichen Kampfesdarstellungen und dem fortlaufenden Relief (und schon dem bloß gemalten Friese) ein höchst segensreiches Verhältnis, so entwickelte sich nun das Relief auf allen seinen Stufen, bis zum Kampf aller Kämpfe, dem zwischen Göttern und Giganten auf dem Altare zu Pergamum; vor allem aber entstand, wovon der Orient keine Ahnung hatte, die Giebelgruppe und die Freigruppe aus mehreren Figuren (Farnesischer Stier, Laokoon usw.). Und dabei fühlte man sich von jedem ritualen Zwange frei und gestattete sich ruhig, etwa auch bloß andeutungsweise zu verfahren, indem man z.B. neben den Niobiden Apoll und Artemis wegließ, weil der Zuschauer sie ja von selbst schon ergänzte.

      Und der Darstellungstrieb beschränkte sich nicht auf die Kampfszenen. Auch aus Homer ließen sich Darstellungen aus dem zartern Gebiete entnehmen; denken wir z.B. an die Gruppe, welche (II. VI, 370-498) Hektor, Andromache, Astyanax und die Dienerin bilden, oder daran, wie (I, 500 ff). Thetis sich zu Zeus setzt, mit der Linken seine Knie umfaßt und ihm mit der Rechten unter das Kinn rührt. Überhaupt aber schreit der ganze Götter- und Heroenmythus nach Verbildlichung, und eine ganze Welt von fertigen Szenen, zum Teil der höchsten Schönheit, ward gewiß schon frühe bildlich geschaut. Und dazu kommen noch die Gattungen idealer Wesen, welche Pluralbegriffe sind, die reihenweise dargestellt wurden, die Nereiden (Harpagosdenkmal), Danaiden (Tempel des Apollo Palatinus) usw.

      Auch abgesehen vom Mythus aber ist die Kunst schon sehr frühe, und zwar laut Homer selbst, auf die Darstellung eines vielgestaltigen Lebendigen eingegangen und ist dabei (wie in den Gräbern von Beni Hassan) auf das Genrebild geraten. Wir erinnern hier wieder an den Schild Achills (I1. XVIII, 478-608), welcher lauter genrehafte Darstellungen enthält, während auf dem hesiodischen Schilde des Herakles solche mit mythischen wechseln.

      Und endlich wagten die Griechen in großen Freigruppen außer dem Mythischen auch das Allegorisch-Politische, indem sie historische Individuen mit ihren allegorisch personifizierten Poleis oder mit den dieselben vertretenden Heroen zusammen darstellten oder, wie es Lysander in seinem kolossalen delphischen Weihgeschenke65 hielt, die Sieger mit den siegverleihenden Göttern zusammenbrachten, und dazu kommen noch die agonalen Gruppen, zumal der Sieger auf seinem Viergespann, und die gewaltigen rein historischen: das Granicusmonument Alexanders und zwei von den vier großen Gruppen des Attalidenmonuments in Athen66.

      So strömen der Kunst von allen Seiten Gegenstände für die Massenerzählung zu, und die Volkstümlichkeit derselben ergibt sich schon aus deren frühem Vorkommen in kleinem Maßstabe. Die im VIII. Jahrhundert schon geschaffene Lade des Kypselos war mit erzählenden Darstellungen in lauter kleinen Figuren bedeckt, und wahrscheinlich waren auch die vielfigurigen Freigruppen aus sehr alter Zeit klein, welche Pausanias besonders in Delphi und dann auch an andern Weihestätten sah. Ihre Parallele aber hat die Vielskulptur in der Wandmalerei, und für uns spricht die Volkstümlichkeit des Vielen hauptsächlich aus der Vasenmalerei und der Übung, Umrisse auf Erz zu gravieren. Nach den Schöpfungen dieser Techniken hat dann wieder das Ausland, zumal Etrurien, mit besonderer Begierde gegriffen.

      Neben der Darstellung der Götter selbst meldet sich bei allen polytheistischen und monumentalen Völkern sehr früh auch die Verewigung des einzelnen Kultaktes. Die Frömmigkeit des handelnden Königs, Priesters oder Volkes wird damit den Menschen und den Göttern anschaulich gemacht, den letzteren namentlich wohl, damit sie derselben eingedenk seien; der Mensch ist dem Gott in jeglichem Sinne am nächsten im Augenblicke und im Habitus des Kultus. So bilden denn, wie bereits gesagt, Ritualien schon in Ägypten und Assur eine der Hauptaufgaben der Vielskulptur. Aber auch hiebei hatten die Griechen große Vorteile. Zwar eines konnte in der Darstellung nicht in Betracht kommen: daß nämlich der Priester bei ihnen bisweilen in der Tracht des Gottes selbst auftrat67; denn in der Kunst mußte er vom Gott natürlich unterschieden werden. Dagegen ist es von höchster Bedeutung, daß sie nicht opfernde Despoten und nicht Priesterscharen, sondern einzelne, manchmal nur jährige Priester und Priesterinnen hatten, die oft nach Jugend und Schönheit gewählt und nie durch wüst-symbolische Tracht entstellt waren, und daß ferner die Erweiterung ihres Kultus durch Aufzüge (pompai), Chöre und dergl. die Sache von lauter auserlesenen Individuen war. Überhaupt stellte sich dieser Kultus der Kunst nicht als Knechtschaft und wüstes Tun, sondern als Freude zur Verfügung; auch aus dem Orgiastischen wählte die dionysische Skulptur das Schöne.

      Wie aus dem eigentlichen Opfer ein Anathem dieser Art werden konnte, berichtet jene sehr eigentümliche Geschichte, die Pausanias68 von den argivischen Orneaten erzählt. Diese ersetzten ein allzu lästiges, im Kriege mit Sikyon getanes Gelübde, wonach sie dem Apollo täglich hätten Opfer und Prozessionen darbringen sollen, durch eine nach Delphi gestiftete eherne Darstellung69 von beidem. Pausanias erkennt hierin freilich nur einen klugen Kniff (sopisma); allein es handelt sich um eine tiefere, echt griechische Voraussetzung: ein täglicher Vorgang wird abgeschlossen und aus einem zeitlichen zu einem ewigen gemacht durch eine ideale, monumentale, ein für allemal geltende Darstellung70.

      Groß war der Reichtum an Statuen von Priestern und Priesterinnen; noch von den jetzt vorhandenen Gewandstatuen mögen viele dahin gehören. Mochte das Tempelbild ein ungenießbares Xoanon sein, – die Reihe von solchen Statuen konnte alles gut machen. So war es vielleicht im Tempel der Eumeniden, in dem achäischen Kerynea71. Die Figuren derselben waren "nicht groß", vielleicht häßliche Puppen, aber am Eingange fanden sich weibliche Marmorstatuen, welche Kunstwert hatten, und die Einwohner erklärten sie für Priesterinnen der Göttinnen.

      Wie frühe wurden wohl Festchöre in Reihen von Statuen verewigt? Die Agrigentiner nach einem Siege über die Libyer-Phönizier von Motye stifteten aus der Beute nach Olympia die ehernen Knaben, welche die "Hände vorhalten" und dargestellt sind, wie sie zu dem Gott beten72. Sie standen auf der Mauer der Altis und galten als Werke des Kalamis, – am ehesten werden sie eine Verewigung des Festchores gewesen sein, der zur Begleitung des Dankopfers nach Olympia gesandt war. Auch die Messenier von Messina stifteten nach Olympia die ehernen Bilder des in der Meerenge umgekommenen Knabenchors nebst Chordirigenten und Flötenbläser73.

      Die höchsten Leistungen dieser Art haben wir auf der athenischen Akropolis zu suchen. Hier sind der Panathenäenzug des Parthenon, und an der Ballustrade des Nike-Apteros-Tempels die Niken, welche den Opferstier führen und die, welche das Siegeszeichen rüsten. Dies ist die höchste ideale Umdeutung einer Kultushandlung, die höchste Verklärung des Kultus überhaupt74.

      Wollten wir nun noch die tönernen und ehernen Figurinen in größerem und kleinerem Maßstabe besprechen, in denen die Skulptur gewissermaßen ein zweites Leben lebt, wollten wir von der Reduktion des Reliefs in der Gemme, im Intaglio wie im Cameo und in der Münze handeln und dann auf die Gefäße und Geräte in edlem Metall, Erz, Marmor und Ton in ihren verschiedenen Metastasen und Umdeutungen, z.B. auf den Kandelaber und auf den Dreifuß in allen seinen Anwendungen kommen, so würden wir kein Ende finden. Man sieht in ein Kunstvermögen hinein, das keine Grenzen hat und oft das Trefflichste mit dem ersten Griffe trifft.

      2. Die Malerei

      Von der vorgriechischen Malerei sind nur die ägyptischen Überreste erhalten und hier meist nur Konventionelles und Geknechtetes, etwa mit Ausnahme der Darstellungen des gewöhnlichen Lebens in den Gräbern von Beni Hassan. Auch an Nachrichten über die Kunst des alten Orients fehlt es, von den figurierten Teppichen der mesopotamischen Wirkerei abgesehen, gänzlich. Von der griechischen Malerei dagegen haben sich, außer ihrer Nachwirkung auf den Vasen und in den Wandmalereien der Städte am Vesuv und einzelnen Gruftmalereien75, wenigstens noch zahlreiche Nachrichten erhalten, ja es ist von den berühmten Malern der Blütezeit, von Polygnot bis auf Apelles, in den Autoren mehr die Rede als von den Bildhauern. Athenäus (XI, 48) erwähnt eine an Antigonos gerichtete Schrift des Polemon "über die Maler" (peri zograpon), dergleichen es über die Bildhauer damals nicht gab. Jene müssen den Griechen individuell interessanter erschienen sein, was wir nur daraus zu erklären vermögen, das sie nicht auch, wie diese, für Banausen galten, wie denn auch das Zeichnen später in die regelmäßigen Erziehungsfächer für Freie aufgenommen wurde76.