Jacob Burckhardt

Griechische Kulturgeschichte, Band 3


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monumentale Malerei im Dienste des Mythus und der politischen Ideen und Erinnerungen. Den Stil derselben77 mag man sich bei Polygnot etwa analog dem der Schule Giottos denken, bei den Späteren wohl noch vollendeter belebt. Von Polygnots Gemälden in der Lesche zu Delphi ist in diesem Werk früher die Rede gewesen78. In Athen befanden sich von ihm und seinen Nachfolgern, unter denen den größten Namen Protogenes und Euphranor haben, in der Stoa Basileios eine Darstellung der zwölf Götter, Theseus mit Demokratie und Demos, die Schlacht bei Mantineia und im anstoßenden Tempel der Apollon Patroos; im Buleuterion die Thesmotheten des Protogenes und ein spätes Feldherrnbild; in der Stoa Poikile, offenbar allmählich und von verschiedenen Meistern, frei von aller Zyklusknechtschaft entstanden, ein Schlachtenbild aus dem Peloponnesischen Kriege, eine Theseusschlacht gegen die Amazonen, eine Szene nach der Einnahme von Ilion und die Schlacht bei Marathon samt den hilfreichen Heroen; im Pompeion wahrscheinlich Prozessionsbilder, worin die einzelnen Köpfe, wie auf den florentinischen Fresken, bekannte Leute vorstellten79; in der Seitenhalle der Propyläen80 viele Szenen aus der Trojasage, zumal auch die beiden erlauchten Diebe: Diomedes mit dem Bogen des Philoktet und Odysseus mit dem Palladion, ferner die Gruppe Paralos und Hammonias des Protogenes und eine Anzahl von Bildnissen und Einzelfiguren: Alkibiades als nemeischer Sieger, Perseus, Musäos, auch die Genrefiguren eines Krugträgers und eines Ringers. – Schlachtenbilder gab es übrigens auch anderswo als in Athen. So besaß das Artemision von Ephesos eine Seeschlacht, worin auch eine Eris vorkam, und Pergamon einen Keltensieg81.

      Leider ist nicht bekannt, welche Behörden in den öffentlichen Gebäuden, z.B. im Saale der Propyläen, darüber verfügt hatten, wer noch dort und was er hinzumalen habe. Jedenfalls nahm sich die Malerei des historisch Wirklichen mehr an als die Skulptur; es gab ziemlich viele politische Malereien.

      Neben der Wandmalerei kam in der Blütezeit des Dramas die Skenographie, d.h. die Theatermalerei, auf, die zunächst zum phantastischen Schmuck der Bühne diente, hernach aber in Häuser und Paläste überging. Für diese scheint sie einmal plötzlich Mode geworden zu sein, so daß ein Alkibiades sie in seiner Wohnung augenblicklich auch haben wollte. Er soll dies in seinem Übermut dadurch erzwungen haben, daß er den Maler Agatharchos mit Gewalt packte und in seinem Hause gefangen hielt, bis er es ihm ausgemalt hatte. Auch König Archelaos von Makedonien drang den Zeuxis um vierhundert Minen zur Ausmalung seines Palastes82.

      Wie weit findet sich nun von diesem allem ein Nachklang in Pompeji? Von der historisch-politischen Malerei läßt sich hier nur das Unikum der Alexanderschlacht83 nennen; eher wird von der mythologischen die Rede sein können, und gewiß von der skenographischen: Die Einzelfiguren, Schwebegruppen usw. sind zum Teil unzweifelhafte Reminiszenzen an das Herrlichste dieser Kunstgattung und so auch viele Genreszenen. Diese sind hier nicht wie in Beni-Hassan dargestellt, weil sie im Leben vorkamen, sondern weil sie anmutig waren; an die Stelle der täglichen und jährlichen Verrichtung ist der anmutige Moment: das leise Gespräch weniger, das Meditieren, die Toilette, die Spiele, die Theaterprobe usw. getreten. In Griechenland selbst hatten vielleicht einst, wie uns die Vasen verraten, mehr die agonalen und gymnastischen Szenen vorgeherrscht.

      Außerdem aber zog die Tafelmalerei (Tempera, auch Enkaustik), deren größte Meister Zeuxis, Parrhasios, Apelles, Protogenes, Timomachos, Theon sind, weit die lebhafteste Bewunderung auf sich84. Bei dieser Gattung, die, wenn wir sie wieder erhielten, unsre konventionellen Anschauungen von der griechischen Kunst aufs stärkste umgestalten würde, galt die Illusion, und einstimmig wird das gelungene Streben darnach gerühmt; die Maler müssen sie durch Farbe, Modellierung und Licht, sowie auch durch Verkürzung (Pausias) und delikate Ausführung erzielt haben85. In der modernen Kunst werden sich hiezu als Parallele wohl besonders die italienischen Realisten des XV. Jahrhunderts bis auf Lionardo darbieten. Charakteristisch ist, daß neben einzelnen figurenreichen Kompositionen dieser Meister, wie dem Opfer der Iphigenia von Timanthes, dem Bilde der Verleumdung von Apelles, der Hochzeit Alexanders und Rhoxanes von Aëtion und dergl., vorherrschend Einzelfiguren oder Bilder genannt werden, auf welchen nur eine Hauptfigur mit wenigen Zutaten dargestellt war; so von Zeuxis eine Helena und eine Penelope; von Parrhasios der athenische Demos, der geheuchelte Wahnsinn des Odysseus, ein Philoktet; von Protogenes der Ialysos (an dem er sieben Jahre malte), von Timomachos ein Aias, eine opferbereite Iphigenia und eine Medea vor dem Augenblick des Mordes; von Theon ein Hoplit86.

      Die moralische Stellung dieser Art Malerei ist schon eine ganz andere als die der Skulptur: sie entsteht wesentlich für den Privatbesitz und gerät nur zufällig und nachträglich als Anathem in diesen und jenen Tempel; für sie war auch das griechische Haus geeignet, in dem größere Marmorskulpturen nicht leicht konnten aufgestellt werden. Hiemit, sowie mit der Richtung dieser Kunst auf illusionäre Einzeldarstellung, hängt das Verhältnis des Studiums zu den Hetären87 zusammen; man wählte von verschiedenen das Schönste aus, ein Verfahren, von dem bei der Skulptur nicht die Rede zu sein pflegt.

      Nur bei den berühmten Tafelmalereien ist auch von Preisen und Einnahmen die Rede. Wir erfahren, daß Zeuxis sich für das Besichtigen seiner Helena einen Eintrittspreis zahlen ließ. In der späteren Zeit kamen dann vollends die enormen Liebhaberpreise. So kaufte nach Plinius (H.N. VII, 39) Attalos eine Tafel des Aristides von Theben um hundert Talente, Cäsar zahlte für die Medea und den Aias des Timomachos, um sie in den Tempel der Venus Genetrix zu weihen, deren achtzig. Dahin gehört auch, daß Demetrios Poliorketes Rhodos nicht anzündete, um ein Gemälde des Protogenes nicht zu zerstören, das sich in dem von ihm gefährdeten Stadtteile befand. Wenn aber Kennerschaft, Liebhaberei und Erwerbung anders als bei der Plastik waren, so wird es uns nicht wundern dürfen, wenn hier, anders als dort (wo höchstens bei den Amazonenstatuen des Polyklet, Kresilas und Phidias von so etwas die Rede sein kann), ein förmlich agonaler Betrieb stattfand. Von dem Maler Panänos, dem Bruder oder Neffen des Phidias, wird berichtet88, daß zu seiner Zeit zu Korinth und Delphi ein Wettkampf in der Malerei abgehalten worden sei, und daß er an den Pythien dem Timagoras von Chalkis unterlegen wäre, und ebenso soll Parrhasios89 bei einem Malkampfe auf Samos mit seinem Streit des Aias und Odysseus um Achills Waffen von einem Rivalen geschlagen worden sein. In beiden Fällen kann es sich doch nur um Tafelmalereien gehandelt haben.

      In späterer Zeit nahmen Karikaturen und Genreszenen (wie die Barbier- und Schusterbuden des Peiraikos u.a. sog. Rhyparographien), sowie das Stilleben überhand. Das Mosaik scheint in der eigentlich griechischen Zeit noch wenig Figürliches enthalten zu haben; aus der Diadochenzeit wird von dem Prachtschiffe des jüngern Hieron90 gemeldet, daß auf dem Fußboden seiner Säle der ganze Mythus von Ilion dargestellt gewesen sei. Damals scheint überhaupt diese Form der Bodendekoration beliebt geworden zu sein. Von den linearen Künsten, der Vasenmalerei und der Gravierung auf Kisten und Spiegeln ist hier nicht weiter zu handeln. Genug, daß auch in ihnen die griechische Kunst die jeweiligen Grenzen überall erreicht und entsprechend der ihr eigenen hohen Sophrosyne auch respektiert hat.

      3. Die Architektur

      Mit Händen zu greifen ist diese künstlerische Sophrysyne der Griechen in der Architektur; denn hier finden wir bei ihnen eine in der ganzen Kunstgeschichte einzig dastehende willentliche Beschränkung auf einen höchst vollkommenen Typus: den Tempel, von welchem alles andre nur Anleihen und Teilaneignungen sind. Säle, Höfe, Hallen und vollends das so mäßige Privathaus ordnen sich völlig unter; das Motiv des Tempels ist das absolut einheitliche Motiv als solches. Wie aber ist die Nation zu dieser Form gekommen?

      Das Wesentliche am griechischen Heiligtum ist nicht das Gebäude, sondern der Brandopferaltar im Freien. Die Höhenaltäre91 (meist dem Zeus geweiht), auf welchen die Asche von vielen Opfern her aufgehäuft liegen blieb, entbehrten jeder baulichen Zutat. Wo aber in alten Zeiten ein heiliger Bau entstand, kann er eine Form und Anlage gehabt haben, welche sich unsrer Ahnung völlig entziehen. Wenn z.B. etwaA2 Orakelstätten die frühesten allgemein besuchten Heiligtümer waren, an nicht gewählten, sondern vorgefundenen Stellen, so mag der ÜberbauA3 oder Umfassungsbau einer Erdspalte, einer Höhle usw. das Gegegebene gewesen sein. Die freie Wahl der Stelle und die Errichtung des Heiligtums frei vom Boden auf, die Vorbedingungen aller höhern Gestaltung, könnten