Form als irgendeiner Naturform an und sind nur Gleichnisse einer solchen. In der Dekoration (an Stelen, Dreifüßen usw.) mögen sie lange vorhanden gewesen sein, bevor eine korinthische Ordnung für uns nachweisbar ist, und zwar bereits in ihrer idealen Gestalt; der Akanthus war von frühe her das sich Umlegende, der Stengel das Strebende, der Kelch oder Korb ist wohl eine alte Form für Stützen verschiedener Art gewesen, schon in Ägypten kommt er auch bei Säulen vor. Noch die letzte griechische Zeit hat dann das prachtvolle korinthische Kranzgesimse geschaffen.
Die dorische und die ionische, ja alle drei Ordnungen wurden für das Äußere und die zwei Säulenreihen des Innern unbefangen nebeneinander gebraucht. Daß die Innensäulen, z.B. der athenischen Propyläen, ionisch sein mußten, hat seinen Grund darin, daß hier die größere Höhe die schlankere Form bedingte. Am Tempel der Athene Alea zu Tegea sind die äußern Säulen dorisch, die innern ionisch und korinthisch.
Innerhalb des Feststehenden finden wir nun bei dieser Architektur eine endlose Variation der Verhältnisse. Jeder Tempel ist in den Proportionen anders gestimmt als der andere, und daneben ist doch wieder die Gesetzmäßigkeit so groß und die Proportion so gleichmäßig gut, daß für das rohe Auge die höchste Blüte des dorischen Stils an den athenischen Bauten von der sizilischen Formenbildung und Proportion nicht zu unterscheiden ist. Und nun haben noch jene merkwürdigen Verhältnisse eine starke Wirkung auf unsere Empfindung, die uns A. Thiersch zum Bewußtsein gebracht hat98: das Innere der Cella des Hexastylos ist im Grundplan dem Säulenhaus analog, ihre Diagonalen sind identisch oder parallel; die Fronte der Cella bis an den untern Architrav und die Fronte des ganzen Tempels samt Stufen bilden zwei ähnliche Rechtecke, d.h. Kern und Hülle sind auch im Durchschnitt analog, und daher verlangen Tempel mit weitem Abstand der Säulen von der Cella, also mit relativ kleiner Cella, hohe Gebälke und Stufenunterbauten und umgekehrt; je zwei Triglyphen samt ihrer Metope und Gesimsstück bilden ein Analogon des Gesamtbaues; in einem kombinierten Bau, wie das Erechtheion, haben die drei Gebäude parallele Diagonalen usw. Wieweit sich daneben die von Penrose entdeckten Feinheiten als bewußt und beabsichtigt erweisen lassen, mag dahingestellt bleiben99. Wenn wirklich aus optischen Gründen die Säulen am Peripteros eine leise Neigung einwärts haben, die Ecksäulen etwas verstärkt und ihre Intervalle etwas schmaler sind, der Stufenbau und ebenso die große Horizontale des Gebälkes leise aufwärts geschwellt ist, so wäre hier ein Analogon zu den feinsten Künsten der griechischen Metrik gegeben, und es würde sich fast buchstäblich das Wort des Astrologen im zweiten Teil von Goethes Faust bewähren:
"Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,
Ich glaube gar, der ganze Tempel singt."
Bei den profanen Gebäuden zeigt sich eine vereinfachte Anwendung der nämlichen Formen. Schon mit den nur wenig einfachern Propyläen der Akropolis beginnt die leise Abstufung. Die Anlagen dieser Bauten bestehen bis auf die Diadochenzeit, welche reicher zu kombinieren begann, nur aus Sälen, Höfen, Hallen mit Säulen, Gebälk, Pfeilern und Mauern; ein neues struktives Prinzip tritt hier nicht in Tätigkeit.
III. Die Philosophen und Politiker und die Kunst
Davon, wie bei den Griechen selbst die größten Bildhauer und Architekten100 einer gewissen sozialen Mißachtung ausgesetzt waren, soll im Zusammenhange mit der Betrachtung der sonstigen antibanausischen Denkart der Nation in einem spätern Abschnitt dieses Werkes die Rede sein. Hier möge noch das Verhältnis der leitenden Persönlichkeiten in Literatur und Staat zur Bildnerei durch einige Tatsachen beleuchtet werden.
Unter den zahllosen Titeln von Schriften der Philosophen, welche uns Diogenes von Laerte aufbewahrt hat, handelt nichts von der Kunst. Höchstens, daß Demokrit, der allseitigste Denker seiner Zeit, auch einmal über die Malerei geschrieben und die Theorie des Wölbens ermittelt hat, von welcher indes die Griechen in der Kunst keinen Gebrauch machten. Auch die Sophisten, welche sonst von allem und jeglichem glaubten reden zu können, haben die Kunst in Ruhe gelassen, mit einziger Ausnahme des Hippias von Elis, "welcher auch über Malerei und Bildhauerkunst sprach101". Daneben halte man die Menge von Schriften der Philosophen über Musik, Poesie, Mathematik usw., und man wird in der Ausschließung der bildenden Kunst keinen bloßen Zufall mehr erkennen.
Daß eine Konversation über die Kunstwerke schon in der Blütezeit existierte, verrät mehrmals Euripides102, nicht nur im ersten Chorgesang des Ion103, sondern durch seine Vergleichungen, wenn Polyxena vor ihrer Opferung ihr Gewand zerreißt und ihre Brüste zeigt "wie die eines Götterbildes", oder wenn der Chor der Phönissen sich nach Delphi sehnt, um dort zu weilen "dienstbar dem Phöbos, goldnen Götterbildern gleich104". Aber im ganzen muß die Kunst merkwürdig unabhängig geblieben sein vom Wort, vom Gerede, von der Literatur und auch von der gleichzeitigen Poesie. Ihre großen Lebensquellen sind die Gestalten der Götter, der bewegte Mythus, der so häufig und erhaben dargestellte Kultus und die Agonistik, und dabei bedurfte sie keinerlei Vermittler. Hätte sie nicht hie und da Masken gemeißelt, so würden wir z.B. aus ihr kaum erfahren, daß es eine Tragödie gegeben hat105, denn ihre tragischen Darstellungen schöpfte sie unmittelbar aus dem Mythus und war dabei unendlich unbefangener, als wenn sie sich an das gehalten hätte, was ihr die tragische Szena zu bieten vermochte. Komödienszenen und das sonstige Treiben der komischen Schauspieler lehrt uns Pompeji, ja erst die Büchermalerei kennen. Eine bloße "Lektüre", welche hätte auf die Kunst Einfluß haben können, existierte damals vollends nicht. Die Philosophen aber, wenn sie wollten, hätten das Feld frei gehabt zu einer umständlichen, vielleicht sehr verhängnisvollen Ästhetik der bildenden Kunst.
Allein die höchsten Meister der Plastik waren ja zunächst nur Banausen. Der historische Sokrates ging beständig in den Werkstätten aus und ein, um den Banausen zu beweisen, daß sie wirklich nichts als dies seien und nur nie einen Gedanken, ein Urteil wagen sollten, mit welchem ihre Sphäre überschritten würde, "ne sutor ultra crepidam". Der platonische Sokrates exemplifiziert wohl hie und da mit Künstlern, die er nennt107, aber nur in einer Reihe mit dem bekannten "Steuermann" u.a. äußerlichen Tätigkeiten, und geht nie auch nur von ferne auf ihre Kunst oder gar auf ihre individuellen Besonderheiten ein. Sodann war ganz eigentlich Feindschaft gesetzt zwischen Philosophie und Kunst: letztere verherrlichte den Mythus, von welchem erstere das griechische Bewußtsein frei zu machen bemüht war; der Gedanke war der Feind der schönen und überreichen Bildlichkeit, ja er mag sich als deren Konkurrenten gefühlt haben, und sein Stillschweigen war wohl zum Teil das des Neides. Im platonischen Staat gibt es bekanntlich weder Kunst noch Poesie, so wenig als irgend etwas, das auf individueller Entwicklung beruhen würde, etwa mit Ausnahme der Philosophen, welche diesen Staat beherrschen müßten. Aber beiläufig hat Plato über die Kunst deutlicher herausgeredet, namentlich im Buch "von den Gesetzen", welches dem "Staat" gegenüber seine spätere, gemäßigte Utopie entwickelte.
Nach seinem Geschmack ist des Bildwerks überhaupt zuviel auf der Welt, schon weil desA13 Kultus zuviel ist108. Vor allem müßte, nach dem in einem frühern Abschnitte109 erwähnten Gesetze, welches er postuliert, der ganze Hauskultus mit allen ihm entstammenden Stiftungen abgeschafft werden. Schon hiemit aber wäre der Kunst ein fast unermeßliches Gebiet entzogen gewesen. Denn, wie man aus Ciceros vierter Rede gegen Verres lernt, beherbergte das Haus des reichen Griechen eine Menge von Kunstschätzen, die diesem Kultus dienten, und zwar zum Teil Sachen von bedeutendem Metallwerte, und dazu kommen jene Figurinen aus Ton und Erz, deren Schönheit erst unser Jahrhundert wieder vollkommen beachtet; dieses alles wäre gar nicht entstanden, wenn es nach Platos Willen gegangen wäre.
Ferner ärgern ihn die Weihgeschenke, mit welchen denn freilich mancher heilige Raum völlig angefüllt war. Mäßige Menschen, wie er sich seine Normalbürger denkt, sollen auch nur mäßige Anatheme stiften110. Gold und Silber sind sowohl in Tempeln als im Privatbesitz eine giererweckende Sache; Elfenbein, weil einem toten Körper entnommen, kein geeigneter Stoff zum Weihen; Eisen und Erz sind Werkzeuge des Krieges. Von Holz, und zwar aus einem Stück, mag einer stiften, was er will, und ebenso von Stein in die gemeinsamen Tempel (also nicht auf den Hausaltar, nicht in die Feldkapelle). An Gewebe soll nicht