James Fenimore Cooper

Der Kettenträger


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Priscilla über dem gewöhnlichen Maß steht.«

      »Ueber dem gewöhnlichen Maß ihrer Classe meint Ihr, natürlich?«

      »Gewiß – sie ist mehr als die meisten jungen Damen unserer besten Familien.«

      »Ist sie liebenswürdig und freundlich?«

      »Wie Anneke selbst.«

      Das wollte viel heißen, da unsere ältere Schwester, wie dies oft in Familien vorkommt, als das Musterbild aller Tugenden bei uns galt, und Annekens Gemüthsart wirklich die liebenswürdigste Heiterkeit selbst war.

      »Ihr gebt ihr ein glänzendes Zeugniß, das wenige Mädchen ansprechen dürften. Ist sie verständig und wohlunterrichtet?«

      »So sehr, daß ich mich oft schämen muß, wenn ich mich mit ihr vergleiche. Sie hat eine treffliche Mutter, Mordaunt; und ich habe Euch oft sagen hören, daß die Persönlichkeit der Mutter Euch gar sehr bestimmen würde bei der Wahl einer Gattin.«

      »Das muß gewesen seyn, als ich noch sehr jung war, Kind, und ehe ich zum Heere ging, wo wir mehr die jungen als die alten Frauen ins Auge fassen. – Aber warum eine Gattin? – Ist es denn eine ganz zwischen den alten Leuten abgemachte Sache, daß ich dieser Priscilla Bayard einen Heirathsantrag machen müsse, und seyd Ihr auch in den Plan eingeweiht?« Kate lachte ganz herzlich, aber wie mir schien, bestätigte ihre Miene einigermaßen, was ich gesagt hatte.

      »Ihr antwortet mir nicht, junge Lady, und Ihr müßt mir erlauben, Euch zu erinnern, daß ein ausdrücklicher Vertrag zwischen uns besteht, einander in allen Fällen mit Offenheit zu begegnen. Dies ist ein Fall, wo ich ganz besonders die Bedingungen des Vertrags streng eingehalten sehen möchte. Existirt wirklich ein solches Projekt?«

      »Nicht als vollständig erörtertes und angelegtes Projekt – nein, gewiß nicht? Nein, tausendmal nein. Aber ich werde Gefahr laufen, eine meiner liebsten Hoffnungen zu vereiteln, wenn ich Euch ehrlich heraussage, daß Ihr meiner lieben Mutter, Tante Mary und mir selbst keine größere Freude machen könntet, als wenn Ihr Euch in Pris Bayard verliebtet. Wir Alle lieben sie und wir wünschten, daß Ihr auch mitthätet, weil wir wissen, daß Eure Liebe wahrscheinlich zu einer Verbindung führen würde, die uns Alle, mehr als ich sagen kann, erfreuen würde. So: jetzt könnt Ihr Euch nicht über Mangel an Offenheit beklagen, denn ich habe schon oft behaupten hören, daß die Wünsche befreundeter Personen, vorlaut ausgesprochen, sehr leicht junge Männer gerade gegen die Person einnehmen, von der man wünscht, sie möchten sie bewundern und lieben.«

      »Eine Regel, die im Allgemeinen wohl wahr seyn dürfte, aber bei mir ist keine Einwirkung, weder eine gute, noch eine schlimme, zu besorgen. Aber was sind denn die Gesinnungen der Bayards in Betreff dieser Sache?«

      »Wie sollte ich das wissen? – Natürlich ist nie gegen irgend Eines von der Familie die Sache entfernt erwähnt worden; und da Keines von ihnen Euch kennt, ist es unm– das heißt, keine Erwähnung – ich meine – wenigstens nicht gegen mehr als Eines von der Familie. Ich glaube, unbestimmte Andeutungen mögen gefallen seyn gegen Eines – aber –«

      »Aus Euerm Munde, gegen Eure Freundin Pris?«

      »Nie!« sagte Kate mit Nachdruck. »Ein solcher Gegenstand könnte zwischen uns nie zur Sprache kommen.«

      »Dann ist es vermuthlich der Fall gewesen zwischen den alten Ladies – den beiden Müttern?«

      »Ich denke nicht. Mrs. Bayard ist eine zurückhaltende Frau, und Mama hat ein ausnehmendes Schicklichkeitsgefühl, wie Ihr selbst wißt, das ihr so etwas zu thun nicht gestatten würde.«

      »Sollte der General daran denken, in meiner Abwesenheit einen Contrakt über mich abzuschließen?«

      »O nein – Papa kümmert sich sehr wenig um solche Dinge. Seit seiner Rückkehr nach Hause hat er, wie er uns sagt, nur immer der Mama wieder den Hof gemacht.«

      »Gewiß hat doch Tante Mary nicht Worte gefunden zu einer solchen Andeutung?«

      »Ei wahrhaftig, sie! Die arme liebe Tante Mary; sie mischt sich wenig in andrer Leute Angelegenheiten und Sorgen. Wißt Ihr wohl, Mordaunt, Mama hat mir vor Kurzem ihre ganze Geschichte erzählt, und den Grund, warum sie so viele treffliche Anträge abgewiesen hat. Ich glaube gewiß, wenn Ihr sie bittet, erzählt sie sie Euch auch.«

      »Ich weiß die ganze Geschichte schon vom General, Kind. Aber wenn dieser Sache gegen Eines von der Familie Bayard Erwähnung gethan worden ist, und weder mein Vater, meine Mutter, noch Tante Mary von unsrer Seite darauf hingewiesen haben, und weder Mr. Bayard, noch seine Gattin, noch seine Tochter andererseits es sind, gegen welche etwas darauf Bezügliches geäußert worden ist, so bleibt Niemand mehr übrig, als Ihr und Tom, welche ein solches Gespräch können gepflogen haben. Ich bitte Euch, diesen Punkt mit Eurer gewohnten Offenheit zu erklären.«

      Das Angesicht von Kate Littlepage glühte wie Scharlach. Sie war förmlich gefangen, obgleich ich die Wahrheit schon von dem Augenblick an geahnt hatte, wo sie so stotterte und stockte, indem sie ihre erste Angabe berichtigte. Ich will gestehen, ich hatte meine Freude an des Mädchens Verwirrung, sie machte sie so äußerst lieblich aussehen; und ich war beinahe ebenso stolz auf sie, als ich sie zärtlich liebte. Die liebe, liebe Kate; von ihrer Kindheit an hatte ich meine eigne Freude und Kurzweil mit ihr, obgleich ich mich keines harten Wortes, keines unfreundlichen Gefühls erinnere, das je unser Verhältniß im mindesten getrübt hätte. Ein anziehenderes und reizenderes Studium, als das Angesicht meiner Schwester während der nächsten Minute darbot, stellte sich nie dem Auge eines Mannes dar; und ich erfreute mich desselben mit um so größerem Genusse, als ich lebhaft überzeugt war, daß sie, trotz ihrer argen Verwirrung, doch sich nicht verletzt oder unangenehm berührt fühlte. Angeborne Freimüthigkeit, märchenhafte Sittsamkeit, ihre Gewohnheit, ganz offen mit mir zu verkehren, und der Wunsch, dies auch ferner so zu halten, kämpften in ihrem lieblichen Gesicht und bildeten eines der einnehmendsten Gemälde weiblichen Gefühls, wovon ich je Zeuge gewesen. Endlich triumphirte die Neigung zur Offenheit und die Liebe zu mir über eine konventionelle Schüchternheit; die natürliche Farbe kehrte wieder, in kaum merklich erhöhter Lebhaftigkeit, auf die Wange zurück, auf der sie zuvor zu brennen geschienen hatte; und Kate sah mich mit einer Miene an, welche all' das schwesterliche Vertrauen und die Liebe verrieth, die sie wirklich für mich fühlte.

      »Ich hatte nicht die Absicht, Dir einen Umstand mitzutheilen, der, wie ich weiß, für Dich vom größten Interesse seyn wird, denn ich hatte vorausgesetzt, meine Mutter werde mir die Verlegenheit ersparen, Dir davon zu sagen; aber jetzt habe ich keine andere Wahl, als zu Ausflüchten zu greifen, die ich nicht liebe, oder gemäß unserer althergebrachten Offenherzigkeit mit Dir zu sprechen.«

      »Und der langen Rede kurzer Sinn, meine liebe Schwester, ist wohl: daß Du mit Mr. Bayard verlobt seyest!«

      »Nein, so weit ist es noch nicht, Bruder. Mr. Bayard hat seinen Antrag gemacht, und ich habe meine Antwort verschoben, bis Du ihn erst kennen gelernt hättest. Ich möchte meine Hand nicht versagen, Mordaunt, bevor Du meine Wahl gebilligt.«

      »Ich fühle das Kompliment, Katrinke, und werde es gewiß in entsprechender Weise erwiedern. Verlaß Dich darauf, Du sollst es zu rechter Zeit erfahren, wenn ich im Sinne habe zu heirathen, und sollst darüber gehört werden.«

      »Es ist ein Unterschied zwischen den Ansprüchen und Rechten eines ältern und einzigen Bruders und denen eines jungen Mädchens, das, wenn es seine Wahl trifft, auf den Rath von Freunden Viel geben, ihnen viel Vertrauen schenken soll.«

      »Du wirst nicht mehr blos ein junges Mädchen seyn, wenn diese Zeit kommt, sondern selbst eine verheirathete Frau, befugt und im Stande, aus eigner