James Fenimore Cooper

Der Kettenträger


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ganz, ganz andere Sache bei dem Paare vor uns«; hier sprach das bewegliche Mädchen wieder mit dem innigsten Gefühl; jeder Ton und jede Modulation ihrer Stimme zeugte von lebhaftester Herzenstheilnahme. »Sie sind schon lange einander geneigt und anhänglich, nicht Bewunderer von einander, wie Ihr Euch ausdrückt, Major Littlepage, sondern einander geneigt und anhänglich: und Eure Meinung von meinem Bruder ist gerade in diesem Augenblick von der höchsten Wichtigkeit für ihn. Ich hoffe, mich Euch endlich verständlich gemacht zu haben?«

      »Vollkommen; und ich bin gesonnen, mich ebenso deutlich auszusprechen. Erstlich protestire ich feierlich gegen Alles, was Ihr von dem andern Paare gesagt habt, mit Ausnahme des Interesses, das wir Beide für den Bruder oder die Schwester fühlen. Sodann erkläre ich, daß Kate Littlepage ganz und gar ihre eigene Herrin ist, soweit es ihren Bruder Mordaunt angeht; und endlich spreche ich aus: daß ich durchaus Nichts in dem Charakter, der Verwandtschaft, dem Vermögen, der Person oder der Stellung ihres Anbeters, Thomas Bayard, von den Hickories, Esquire, sehe oder weiß, was im mindesten nicht ihren Ansprüchen oder Verdiensten entspräche. Ich hoffe, das ist vollkommen befriedigend.«

      »Ganz! und von Grund meines Herzens danke ich Euch dafür. Ich will gestehen, ich habe einige kleine Besorgnisse gehegt wegen Toms politischer Meinungen; aber nunmehr diese beseitigt sind, kann sonst Nichts mehr die mindeste Sorge und Unruhe erregen.«

      »Wie ist es aber möglich, daß Eines von Euch meinen Ansichten ein solches Gewicht glaubte beilegen zu müssen, da Kate doch einen Vater, eine Mutter und eine Großmutter am Leben hat. welche Alle, soweit ich unterrichtet bin, ihre Wahl billigen?«

      »Ha, Mr. Littlepage, Ihr seyd Euch Eurer Wichtigkeit in Eurer eigenen Familie nicht bewußt, wie ich sehe. Ich weiß das besser, als Ihr selbst es zu wissen scheint. Vater, Mutter, Großmutter und Schwester, Alle sprechen in Einem Sinne von Mordaunt. Hört man den General vom Krieg sprechen, so sollte man meinen, er habe eine Compagnie kommandirt und Kapitän Littlepage das Regiment. Mrs. Littlepage ordnet sich Mordaunts Geschmack und Mordaunts Ansichten und Mordaunts Urtheilen sogar in der Haushaltung und in den Saumnähten unter. Kate sagt immer: ›Mein Bruder sagt dies‹, ›mein Bruder schreibt jenes‹, ›mein Bruder thut das und das,‹ und die alte Lady hier auf Toe, die glaubt gewiß, ihre Pfirsichen und Kirschen könnten nicht reifen, wenn nicht Mordaunt Littlepage, der Sohn ihres Sohns, Corny Littlepage – nicht ein einziges Mal entschlüpft ihr der Name ›General‹ – auf der Erde wäre, um steten Sonnenschein darüber zu verbreiten.«

      Gab es je ein Mädchen wie dieses? Und diese Worte sprach sie noch dazu in der ruhigsten, sanftesten, ladymäßigsten Weise, die man sich denken kann. Daß die junge Dame Geist und Laune genug besaß, war unverkennbar; und einen Augenblick war ich im Zweifel ob nicht Beides gepaart sey mit der vollkommensten Charaktereinfalt und der vollkommensten Treuherzigkeit. Spätere Bemerkungen und Vorfälle jedoch machten bald all mein ursprüngliches Mißtrauen wieder rege.

      »Das ist ein lebhaftes Bild von Familienschwäche, das Ihr da so anschaulich hingezeichnet habt, Miß Bayard,« versetzte ich; »und ich werde es nicht leicht vergessen. Was es noch lebhafter und pikanter macht, und ihm um so mehr den Beifall der Welt sichert ist der Umstand, daß Mordaunt so gar wenig die parteiische Vorliebe der Verwandten verdient, die Ihr genannt habt.«

      »Der letzte Zug bildet keinen Bestandtheil meines Gemäldes, Major Littlepage, und ich weise ihn zurück. Was die Welt betrifft, so wird sie nie Etwas davon erfahren! Ihr und ich wir sind nicht die Welt, auch werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach nie für einander die Welt seyn; ich wünschte, daß Ihr dies ganz besonders Euch merktet, da dies der Grund ist, warum ich bei einer so kurzen Bekanntschaft so offen gegen Euch bin. Ich erkläre Euch, Eure Meinung ist für Tom von der äußersten Wichtigkeit, da Eure Schwester ihn nicht heirathen würde, wenn sie glaubte, Ihr dächtet im mindesten schlimm von ihm.«

      »Und sie würde es, wenn ich gut von ihm denke?«

      »Das ist eine Frage, die ein Frauenzimmer für sich selbst beantworten muß. Und jetzt wollen wir Nichts mehr von der Sache sprechen, denn mein Gemüth ist beruhigt, seit ich sehe, daß Ihr keine politische Feindseligkeit gegen Tom hegt.«

      »Die Menschen, bilde ich mir ein, sind weit weniger geneigt, solche Gefühle und Gesinnungen zu hegen, wenn sie einen Zwist ehrlich und tüchtig ausgefochten haben, als wenn sie nur erst darüber schwatzen. Zudem ist die gewinnende Partei gewöhnlich am wenigsten zum nachtragenden Grolle geneigt, und ihr Erfolg wird die Whigs versöhnlich stimmen. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, keine Einwendung soll von meiner Seite gegen Euern Bruder erhoben werden wegen seiner Meinungen von der Revolution her. Meine liebe Mutter selbst ist während des ganzen Krieges eine halbe Tory gewesen, und Kate hat, wie ich finde, all ihre Menschenliebe und Milde eingesogen.«

      Ein eigenthümliches und wie mich bedünkte, schmerzliches Lächeln flog über Priscilla's süßes Angesicht hin, als ich diese Bemerkung machte; aber sie antwortete Nichts darauf. Sie schien mir jetzt verlangend, den Gegenstand ganz zu verlassen und ich lenkte augenblicklich das Gespräch auf andere Dinge.

      Kate und ich blieben einige Tage in Satanstoe, und Tom Bayard kam täglich auf Besuch, denn die Entfernung zwischen dem Landhals und den Hickories war nicht von Belang. Ich sah die junge Lady zweimal während dieser Zeit; einmal wie ich ausdrücklich in dieser Absicht nach dem Sitz ihres Vaters hinüber ritt, und einmal wie sie zu Pferde herüber kam, um ihre Freundin zu besuchen. Ich gestehe, nie war ich mehr in Verlegenheit, einen Charakter zu verstehen, als bei diesem jungen Frauenzimmer. Sie war entweder Meisterin in der Verstellungskunst, oder unschuldig und einfach wie ein Kind. Es war leicht zu sehen, daß ihrem Bruder, meiner Schwester, meiner Großmutter, und wie ich mir einbildete, den Eltern der jungen Lady selbst Alles daran lag, daß ich mit Pris, wie sie sie Alle nannten, auf möglichst gutem Fuß stände, während ich ihre eigenen Gefühle und Gesinnungen in dieser Hinsicht nicht zu ergründen vermochte. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn ich nicht gern ihre außerordentliche Schönheit angeschaut, wenn ich nicht ihr ausnehmend anmuthiges und weibliches Benehmen bewundert hätte, welches gerade so war, wie man es sich nur wünschen konnte, vollkommen sicher, leicht und bequem, ohne im entferntesten frei oder vorlaut zu seyn und ich weidete mich an jener und bewunderte dieses in demselben Augenblick, wo ich am geneigtesten war ihrer Aufrichtigkeit zu mißtrauen und ihre Natürlichkeit für Vollendung der Kunst zu halten. Es gab Zeiten, wo ich mich versucht fühlte mir einzubilden, diese Pris Bayard sey eine so geschickte und gründliche Schauspielerin, als eine Person von ihrem Geschlecht, ihren Jahren und ihrer Stellung im Leben irgend werden könne, ohne gänzlich zu fallen; und dann kamen auch wieder Augenblicke, wo sie von den besten und seelenvollsten Eigenschaften ihres Geschlechts durchdrungen und erfüllt schien.

      Es ist kaum nöthig zu sagen, daß unter solchen Umständen mein Herz unverwundet blieb, trotz der nicht zu verkennenden Wünsche meiner Verwandten und der großen Vorzüge der jungen Lady. Ein Mann fällt so wenig blindlings in Liebe, wenn er aus Mißtrauen glaubt, es sey Etwas nicht wie es seyn sollte, als er dies je glaubt, wenn er blindlings sich verliebt. Es hat mich oft überrascht und staunen gemacht, wie oft und wie gründlich die Weisesten des sterblichen Geschlechtes Alles darauf anlegen, sich selbst zu betrügen. Wenn einmal der Verdacht rege geworden, so hat man kein Zeugniß mehr nöthig, die Verdammung folgt ganz wie ein logischer Schluß, obwohl auf nichts Besseres gegründet, als auf scheinbaren Zweifel; während anderer Seits, wo Vertrauen einmal besteht, Zeugnisse und Beweise nur gar zu gerne nicht beachtet werden. Frauen insbesondere sind nur allzu geneigt, dem Zug ihrer Empfindungen und Neigungen statt Vernunftsgründen zu folgen, in allen Fällen wo es sich um eine Schuld handelt. Es hält schwer, sie von der Unwürdigkeit derer zu überzeugen, welche mittelst der Beziehungen des Gefühls ihnen angehören, weil die Gefühle bei ihnen gewöhnlich stärker sind als die Denkkräfte. Wie hängen sie z. B. so standhaft an ihren Priestern, wenn die kühleren Köpfe und größere Erfahrung der Männer schon verdammen; und das nur darum, weil ihre Phantasie sich darin gefällt, die Schuldigen mit dem Schmuck und Glanz der Religion zu umkleiden, die sie verehren und die ihr Halt ist! Der müßte ein gescheuter Mann seyn, der die Linie zwischen dem Wirklichen und