Staubwolke fuhr daraus und eine Anzahl Früchte fielen nieder. Behände sammelte er sie in einen Korb, den er über sich getragen hatte, und rieb mit einem Tuch die Schalen sauber. Dann brachte er seine Gabe zu den Herrschaften, die dankbar danach griffen und die seltenen Früchte als unerwartetes Geschenk der zur Hölle gewordenen Erde verzehrten.
«Tyrios versteht es immer wieder, sich bei den Herrschaften angenehm zu machen», dachte Milon.
Er hatte inzwischen für das Gesinde ein Strohlager auf dem Aschenboden im Freien hergerichtet. Das Stroh hatte man in der Scheune vorgefunden. Plötzlich trat Fuscus zu ihm und sagte:
«Milon, du gehörst zu der Gruppe, die heute Abend mit mir zurück nach Stabiae muss. Pomponianus will das Schiff mit seinen Gütern nicht unbewacht lassen. Bereite dich zum Rückweg! In Kürze brechen wir auf.»
Wie gerne hätte sich Milon auf das eben bereitete Strohlager hingestreckt nach all den überstandenen Strapazen!
Eine Weile später wanderte Fuscus mit sechs jüngeren Sklaven in Richtung des Meeres, da man dem Ufer entlang den Weg in der Nacht besser zu finden hoffte. Die Sonne sank ins Wasser und erlosch. Fuscus trug die einzige brennende Ampel, deren gläserne Hülle das Ölflämmchen vor den Winden schützte. Am Meerufer lagen viele tote Fische, die von den Wellen über die vom Himmel gefallenen Schlackensteine aufs Trockene geworfen worden waren. Dieses Gestein hatte breite Streifen des Wassers zurückgedrängt und ausgefüllt. Tyrios war zur Bedienung der Herrschaft zurückbehalten worden, und so vermisste Milon seinen Kameraden, mit dem er bis jetzt Freud und Leid geteilt hatte. Wortlos schritten die Sklaven der Ampel nach. Der Stein und Aschenregen hatte ganz aufgehört, nur hin und wieder wirbelte der Wind vom Lande hertreibend Staubwolken auf, die zeitweise das Atmen behinderten. Die Müdigkeit hatte Milon dermaßen überwältigt, dass er oft glaubte, im Gehen einzuschlafen und umzusinken, und doch ging’s unaufhörlich weiter. Einmal wurden sie durch Menschen aufgeschreckt, die das Meerufer als Fluchtweg benutzten. Fuscus hielt die Gruppe an. Was sie erzählten, war entsetzlich.
«Pompeji ist über und über verschüttet! Die Stadt mit einem Leichentuch von Asche bedeckt. Keine lebende Seele ist dort mehr anzutreffen. Tausende sind unter den Trümmern der Häuser begraben. Flüssiges Feuer floss in breiten Strömen vom Vesuvius bis in die Stadt.»
Kein Wunder, dass die Flüchtenden Fuscus abrieten weiterzugehen: «Zurück! Da hinten ist nur Tod und Verderben!»
Fuscus erkundigte sich nach dem Flusse Sarnus. Ein Flüchtling erklärte:
«Über den Sarnus konnten wir uns zu Fuß aus der Stadt retten. Das Flussbett ist vom Steinregen ausgefüllt worden. Das war unsere Rettung. Wir blieben zu lange im Hause, das in der Nähe des Flusses stand und zugeschüttet wurde. Schließlich konnten wir uns einen Ausweg schaffen und uns hinüberretten.»
Fuscus versuchte, sich Mut zu machen:
«Keine Stunde mehr und wir sind bei unserem Schiff. Dort finden wir gute und sichere Lagerstätten!»
Wer beschreibt den Schreck des Fuscus und seiner Leute, als sie sich den Gärten und der Villa des Pomponianus näherten. Mannshoch lagen Asche und Steine. Die Mauern des Hauses auf einer Seite eingestürzt, das Dach völlig in Trümmern. Von Fischteich und Faun nichts mehr zu erblicken. Als sie hinunter zum Schiff kamen, erkannte man es nur an zwei hölzernen Masten, die aus einem riesigen Schutthaufen ragten. Ein einziger Stein- und Aschenhügel hatte sich vom Ufer über das Deck des Schiffes gebildet. Jenseits des Sarnus, wo die Stadt lag, flackerten da und dort noch immer Flammen von ausbrennenden Gebäuden. Glücklicherweise wehte der Wind den Rauch in andere Richtung. Fuscus konnte mit seinen Helfern beginnen, einen Zugang zum Schiff frei zu machen, was beim Schein des spärlichen Windlichtes mühsam vor sich ging.
Es mochte gegen Mitternacht gehen, als sie durch eine Falltür in den Rumpf des Schiffes einsteigen konnten. Im Innern war es völlig unversehrt. Unberührt lagen die Güter und Waren des Pomponianus an ihrem Ort. Kurzerhand legte sich die todmüde Mannschaft auf Säcke und Teppiche, als Letzter Fuscus, der in das Windlicht Öl nachfüllte.
Milon fand nicht so rasch den Schlaf wie seine Genossen, zu sehr bewegte das Erlebte seine Gedanken. Er klaubte aus seinem Gürtel die Münze hervor, die Alkides ihm auf der Akropolis zum Abschied geschenkt hatte, und drückte sie gegen seine Stirn. Seine Lippen wollten danken für die Errettung aus den Schrecken dieses Tages; aber sie fanden die Worte nicht. Ihm war, als wären die Götter Athens nicht mit ihm hierher gezogen. Die Götter der Römer erschienen ihm als Feinde der Menschen, da sie so Entsetzliches zuließen, wie er es heute erfahren hatte. Er versuchte, abgerissene Sätze, die bei den Opfern auf der Akropolis sich in sein Gedächtnis geprägt hatten, zu flüstern. Da stiegen für einen Augenblick die hellen Tempel vor seinem inneren Auge auf. Sachte schob er die Münze in die Gürteltasche zurück. Er fühlte, das Römerreich konnte ihm keine neue Heimat geben. Mit dem Geschmack bitterer Asche auf der Zunge schlief Milon ein.
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