Jakob Streit

Milon und der Löwe


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      «Was gibt es Lustiges? Schreiben die Pompejaner Witze an ihre Häuser?»

      Milon erklärte:

      «Du siehst hier zweierlei Inschriften. Die obere, groß und schön geschrieben, meldet, dass demnächst in der Arena der berühmte Gladiator Satrius Valens kämpfen wird, der bis jetzt als unbesiegbarer Liebling der Götter jeden Feind niederkämpfte. Darunter steht mit ungelenken Buchstaben eine zweite Inschrift als Kommentar dazu: ‹Es ist ein Wunder, o Mauer, dass du unter der Last dieses geschriebenen Unsinns nicht einstürzest!› – Sicher hat dies ein Feind von Satrius Valens daruntergeschrieben, um ihn beim Publikum lächerlich zu machen. – Diese zwei möchte ich kämpfen sehn in der Arena! Es sind Ringkämpfer.»

      Inzwischen war das warme Brot verzehrt, und die beiden gelangten wieder zum Forum zurück, an dessen Säulenhallen sie entlangschlenderten. Auf schattigen Treppenstufen sah Milon einige vornehme Jünglinge sitzen; vor ihnen saß ein Magister, der sie offenbar unterrichtete. Zu Tyrios meinte er:

      «Schleichen wir uns hinter die Säulen, dann können wir vernehmen, was sie lernen!»

      «Mich interessiert das nicht. Ich gehe zurück zur Markthalle, zu den anderen. Fuscus kann bald vom Bade zurückkehren. Vale Milon!»

      Als Tyrios wegging, dachte Milon: Pompeji hat ihm wohl mächtig imponiert, dass er mich plötzlich mit römischem Gruß verabschiedet.

      Unauffällig schlich er in die Nähe der Treppenschule hinter eine der hohen Säulen. Eben vernahm er, wie der Magister vom Kampf der Römer gegen die Barbaren erzählte.

      «Wir Römer sind dazu berufen, alle Völker der Erde unter unsere Macht zu zwingen. Ein Volk, das Rom gehorcht, ist wie ein Schiff, das vom wilden Meer in den Hafen zurückkehrt. Rom ist von den Göttern dazu bestimmt, die Erde zu beherrschen. Jeder Römer muss wissen, dass dies unser Stolz, unser täglicher Gedanke sein muss: das große, ewige Rom!»

      Milon hatte genug gehört. Versonnen schritt er die Säulenhalle entlang in Richtung des Apollo-Tempels, von wo ihn griechische Säulen grüßten. Als er auf den Vorplatz kam, bemerkte er eine Gruppe von Händlern, die miteinander feilschten. Elende Bettlergestalten lungerten auf den Treppenstufen. Einige spielten mit Würfeln und kreischten gelegentlich auf. Weiber gingen herum und priesen Wein und Essbares aus Krügen und Körben zum Verkauf an. Hinter diesem Wirrwarr erhoben sich die schlanken Säulen, die Milon an die Akropolis denken ließen. Aber dort hatten sich nur stille, verhaltene Schritte dem Tempel genähert; niemand wäre es eingefallen, vor einem Tempel zu zechen, zu würfeln, zu handeln. Auf einmal ließ sich der Klang von Bronze vernehmen. Zwei dicke Priester erschienen auf der Tempeltreppe, den Beginn des Opfers zu melden. Nur wenige erhoben sich lässig aus der Menge und erstiegen die Stufen. Nicht Andacht, eine gewisse Neugier ließ Milon in den Vorraum des Tempels treten. Zu gern hätte er einen Blick in den inneren Raum der Celia geworfen, die Marmorgestalt des Apollo von Weitem zu schauen. Er hatte Glück. Die beiden hohen Tore zur Celia standen offen. Er begab sich etwas näher hinzu, als auch in Pompeji üblich war. Aus dem Halbdunkel schimmerte eine weiße Marmorfigur hervor. Es war eine wundervolle griechische Götterstatue, die die Römer sicher aus Griechenland hierher entführt hatten. Nun stand Apollo da drinnen, gefangen in der Dunkelheit, vergessen im geschäftigen Treiben der Stadt.

      «Fort mit dir, elender Sklave!», herrschte ihn plötzlich die Stimme eines Tempeldieners an. Eine Faust stieß in seine Seite. Milon torkelte zwischen den Säulen durch und sprang fluchtartig die Treppenstufen hinunter zurück zum Forum.

      Als er bei seinen Gefährten ankam, zeigten sie schon Unruhe über sein Ausbleiben. Jeden Moment war Fuscus zu erwarten.

      Plötzlich, was war das? Ein dumpfes Rollen wurde hörbar. Milon und Tyrios, die sich auf den Rand eines Brunnens gesetzt hatten, verspürten ein Zittern unter sich. Schon erschollen laute Schreie. Die Erde bebte wieder. Menschen stürzten aus den Häusern. Weiber verließen ihre Verkaufsstände und eilten zu den Tempeln, da sie sich auf geweihtem Boden sicher glaubten. Das Beben wiederholte sich stärker. Allgemeiner Tumult. Durch das dumpfe Rollen der Erde und Schreien der Menschen tönten Aufschläge niederfallender Steine, die aus den Fassaden der Häuser brachen. Fuscus, der gerade zurückkam, rief seinen Sklaven zu:

      «Rettet euch zum Schiff! Fort zum Hafen!»

      Es war kein Leichtes, durch die aufgewühlte, vor Angst rasende Menschenmenge und die verstopften Gassen hindurchzukommen. Als seitlich aus einem Hause ein dicker Wirt herausstürzte, warf er Milon samt seinem Eierkorb um. Schnell wieder auf den Beinen, bemerkte der Jüngling hinter sich eine gelbe Eierspur auf der Pflasterung. Aber was lag an einigen Eiern, wo es jetzt um Leben und Tod ging! Milon hatte die andern Gefährten verloren und musste sich allein zum Hafen durchkämpfen; den Korb ließ er nicht fahren, wie oft er auch seinetwegen stecken blieb. Endlich erreichte er den Hafen. Fuscus und die anderen drei hatten das Boot zur Abfahrt gerichtet; aber der Herr war noch nicht da. Aufgeregte Schiffer stießen ihre Fahrzeuge vom Ufer, um aufs offene Meer hinaus zu fahren. Hie und da sprangen wild Flüchtende in wegfahrende Boote, um sich zu retten. Das Warten war für Fuscus und die vier Sklaven eine harte Geduldsprobe; aber es war ganz unmöglich, jetzt Pomponianus irgendwo suchen zu gehen. Endlich tauchte er auf. Atemlos kam er dahergelaufen, das Gesicht so von Schweiß und Staub bedeckt, dass er kaum zu erkennen war. Mühsam unterdrückte er seine Aufregung. Mit beherrschender Ruhe befahl er:

      «Losbinden, wegfahren!»

       Vesuvius regiert

      Vorn im Schiff saß der Herr mit erstarrtem Antlitz. Niemand redete ein Wort; nur das Knirschen und rhythmische Klatschen der Ruder beim Eintauchen ins Wasser mischte sich in das ferner werdende Getöse von der Stadt her. Pomponianus beobachtete vom Heck des Schiffes, rückwärts zur Stadt gewendet, den dahinter aufragenden Berghügel des Vesuvius. Eine riesige Wolke hatte sich wie eine mächtige Baumkrone über dem Gipfel gebildet und breitete sich mit Windeseile immer weiter aus. Die Wolke erschien bald weiß, bald schmutzig und fleckig, als ob sie mit Asche und Erde beladen wäre. Wiederum schienen Flammen aus dem Krater zu züngeln, und Blitzschein erhellte gewisse Partien. Milon, dessen Blicke beim Rudern dieselbe Richtung hatten, schaute gebannt auf das unheimliche Geschehen über dem Berge, der, unten von Rauch und Dampf verhüllt, Feuer zu speien schien. Die Wolke näherte sich Pompeji. Plötzlich rief Fuscus, der am Steuer saß, Pomponianus zu:

      «Herr, da fällt Asche in unser Boot; wenn nur nicht Feuer nachfolgt!»

      Tatsächlich fielen leichte und schwere Flocken wie grauer Schnee. Auf der Hand konnte man sie zu Aschenmehl zerreiben. Auf einmal, als ob Hagel fiele, spritzte ums Boot herum Wasser auf. Kleinere Steinstücke prasselten ins Schiff. Bald konnte man drüben am Ufer von Stabiae anlegen neben einem größeren Schiff, das ebenfalls Pomponianus gehörte. Der Herr hatte seine anfängliche Beherrschtheit und Ruhe verloren. Er befahl aufgeregt:

      «Rasch hinauf zur Villa! Wenn die Feuersteine noch heißer und größer fallen, brennt mein ganzes Gut nieder. Helft heruntertragen hier in mein Schiff, was zu retten ist. Wir werden aufs Meer hinausfahren!»

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      Oben in der Villa war ein wirres Durcheinander unter der Familie und Dienerschaft des Pomponianus. Seine Frau stürzte ihm weinend in die Arme, da sie schon um sein Leben gebangt hatte. Er aber wiederholte seine Befehle. Sogleich wurden Kisten und Kasten, Vorräte, Tuchballen und Teppiche hinunter ans Meer in das Schiff getragen. Die Träger mussten ihr Haupt zudecken, da mit der warmen Asche immer mehr Steine herabfielen. Milon bückte sich nach einem größeren Stück, das dicht vor ihm zu Boden fiel. Er nahm es in die Hand und fühlte die verglühende Hitze. Trotz seiner Größe war es seltsam leicht und roch schwefelig. Das war kein gewöhnlicher Stein, von einem Felsen gebrochen, das waren Schlacken aus dem Erdfeuer der Unterwelt, aus der Feuerwerkstatt des Hephaistos. Indes war nicht Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Als er eben seine Bürde ins Schiff hineintrug, bemerkte er, dass ein Vierruderboot, vom Meer herkommend, in der Nähe anlegte. Die Insassen stiegen aus und näherten sich mit raschen Schritten dem Schiff des Pomponianus.

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