über eine Art von Treppe in das Schiffsinnere hinablassen, wo ein nackter Holzboden und gähnende Finsternis die Sklaven zur Nachtruhe erwartete. Das mitgebrachte Kleiderbündel diente als Kopfkissen. Beim Aufsuchen eines freien Platzes hielten sich Milon und Tyrios bei der Hand, um einander nicht zu verlieren. Bei jedem zweiten Schritt stießen sie an Menschenkörper. Da und dort setzte es einen Fausthieb und einen Fluch, wenn ein Nachtwandler einem Liegenden auf den Magen trat. Endlich hatten alle sich in die Kreuz und Quere gelagert. Das Reden und Fluchen verstummte. Erste Schnarcher gaben ihre Geräusche von sich. Der Geruch von Schweiß und Pech durchdrang stickend die Luft. Milon flüsterte Tyrios zu:
«Unsere Reise beginnt in der Unterwelt; fehlt nur der Höllenhund Kerberos mit den drei Köpfen und dem Schlangenschwanz!»
Die ungewohnte, missliche Lage vermochte nicht, den beiden Jünglingen den Humor zu nehmen. Milon nestelte aus seinem Bündel zwei Honigbrote, die Agaja ihm eingepackt hatte, und reichte eines seinem Gefährten:
«Hier, nimm etwas Götterspeise, so weißt du auch, dass der Hades uns noch nicht verschlungen hat!»
Nach einer Weile flüsterte Tyrios:
«Milon, hast du die Buchstaben lesen können, die auf das Schiff geschrieben sind? Du hast doch bei Alkides die griechischen und die römischen Zeichen gelernt.»
«Ja, ich sah sie wohl, aber ich weiß nicht, was der Name bedeutet. Das Schiff heißt ‹Augusta›. Vielleicht ist es der Name einer römischen Göttin. Vielleicht führt sie uns vom Hades ins Elysium, in die Welt der Seligen.»
Eintönig plätscherten die Wellen ans Schiff; bald breitete sich Schlaf über die müden Sklavenaugen.
Am frühen Morgen herrschte in Piräus ein reges Treiben. Mit der ersten Morgendämmerung war von der «Augusta» ein Aufseher mit zwei Gehilfen an Land gegangen, um oben in Athen die vermissten Sklaven abzuholen. Als sie mit ihnen zurückkehrten, stand die Sonne schon hoch am Horizont. Eine günstige Brise wehte, sodass sich die aufgezogenen Vorsegel meerwärts blähten. An eine Kette gefesselt erstiegen die beiden Verspäteten die Schiffsleiter. Oben wurden sie mit Peitschenhieben empfangen. Der Schiffsherr schnaubte vor Wut und gebot, dass die Geprügelten für die ganze Dauer der Meerfahrt unten im dunklen Schiffsraum angebunden würden. Milon erschauerte bei dem Gedanken, dass er jetzt der Dritte an der Kette sein könnte. Voll Mitleid sah er die Unglücklichen auf einer Leiter ins Dunkle hinuntersteigen.
Wie immer, wenn ein größeres Schiff ausfahren will, versammelte sich eine Menge von Neugierigen in der Schiffsnähe. Rufe ertönten, letzte Kommandos zum Lösen der Taue wurden erteilt. Als das Schiff schon ablegte, eilte ein altes Weib herbei, schwarz gekleidet und hager. Sie goss beim Schiff aus einem kleinen Tongefäß etwas Öl ins Wasser und murmelte Worte in einer halb singenden Weise. Dazu schlug sie beschwörende Zeichen vor sich in die Luft und über das Wasser. Sie flehte zu den Göttern des Windes für gutes Geleit. Das geweihte Öl, das sie ins Wasser goss, sollte den Meergott Poseidon gnädig stimmen, dass er sturmfreie Fahrt gewähre. Dann trat die Alte einige Schritte vom Ufer zurück, beschattete mit der Hand die Augen vor den hellen Morgenstrahlen und rief mit kreischender Stimme zum Römerschiff hinauf:
«Milon! Milon!»
Da löste sich oben aus dem Schiffsvolk die Gestalt eines Jünglings, der behände am hinteren Mast mannshoch emporkletterte und mit einem hellen Tuch winkte, indem er es über seinem Kopf im Halbkreis hin und her flattern ließ.
Das letzte Segel ward aufgezogen, der Anker gelichtet, und sachte glitt die «Augusta» hinaus, dem offenen Meere zu. Die Alte schluchzte einen Augenblick auf, lief einige Schritte dem Schiffe nach, der Ufermauer entlang und flüsterte:
«Armer Milon, wo werden sie dich hinbringen? Deine Agaja wird dich nie mehr sehen.»
Das weiße Tuch erlosch auf dem Schiff. Da sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, setzte sich die Trauernde auf ein Gewirr von Schiffstauen nieder und jammerte still in sich hinein. Jedes Mal, wenn sie das Haupt erhob und auf das Meer schaute, war die «Augusta» ferner und kleiner geworden. Ein Fischerweib, das eben mit einem ledernen Beutel voller Fische vorüberging, die sie in Athen verkaufen wollte, erkannte in der Alten eine ihrer Kundinnen. Sie trat zu ihr:
«Agaja, was tust du hier im Piräus und weinst? Wollen deine Füße dich nicht mehr heimtragen? Komm, Agaja, ich geleite dich. Wir haben denselben Weg.»
Etwas beschämt, dass eine Bekannte sie hier in ihrer Erbärmlichkeit erkannte, erhob sich die Alte. Die Anteilnahme des Fischerweibes an ihrem Schmerz besänftigte sie, und sie erklärte:
«Ich habe unsere Knaben Milon und Tyrios zum Schiff gebracht. Sieben Jahre habe ich Milon auferzogen wie mein eigen Kind. Nun hat ihn unsere Herrin nach Rom verkauft. Dort fährt er auf dem Schiff dahin. Ich selber bin als Dienerin bei meinem verstorbenen Herrn alt geworden und kehre wieder zurück nach Delphi, woher ich stamme, zu meinem Bruder.»
Während sie sich auf den Weg machten, fuhr Agaja fort:
«Gerne geh ich mit dir zusammen nach Athen zurück. Lass mich zuvor in meinem kleinen Ölgefäß etwas von dem Wasser des Meeres mitnehmen, auf dem Milon jetzt seine weite Reise tut. Ich werde es täglich mit betenden Händen umschlingen.»
Mit diesen Worten begab sie sich wenige Schritte ans Ufer hin, tauchte das Gefäß ein und schob es wie ein kostbares Andenken unter ihren Arm. So wanderte Agaja mit dem Fischweib Richtung Athen. Von Zeit zu Zeit hielt sie an, um auf dem Meere das immer ferner schimmernde Segelschiff zu erspähen, bis es sich im letzten Glitzern der Wellen auflöste.
Geheime Fracht
Tagelang war die «Augusta» unterwegs und segelte mit guten Winden um die Küsten des Peloponnes. Milon und Tyrios wurden mit einigen anderen Sklaven angelernt, an Masten und Tauen hochzuklettern, um die Segel bei wechselnden Winden anders zu legen oder einzuziehen. Dadurch bekamen sie auch Zutritt zum ständig bewachten Hinterdeck, wo die großen, rätselhaften Ballen, mit Tüchern und Stricken zusammengebunden, lagen. Niemand wollte wissen, was sie verhüllten. Verschiedene Vermutungen wurden geäußert. In einem war man sich einig, dass es kostbares Raubgut der Römer war, das sie aus Griechenland entführten. Waren es doch kaiserliche Soldaten, die sowohl am Tage wie in der Nacht Wache hielten.
Eines Abends, als Tyrios und Milon auf ihren Holzpritschen lagen im Innern des Schiffes, flüsterte Tyrios seinem Freund zu: «Die Nacht ist vom Mond erhellt, da ist’s mir nicht ums Schlafen. Wollen wir versuchen, auf das Hinterdeck zu schleichen, um zu erforschen, was sich in den Ballen für geheime Fracht befindet? Ich bin mehr als neugierig, was in diesen Tüchern und Fellen verhüllt mit uns übers Meer fährt.»
«Wir könnten durch die hintere Luke hinaufsteigen, die der Steuermann benutzt», schlug Milon vor. «Er sitzt aber auch zur Nachtzeit, wenn nicht alle Segel eingezogen sind, am Steuer. Er könnte uns bemerken beim Aussteigen.»
Tyrios erwiderte:
«Einer von uns müsste zuerst nur den Kopf zur Luke hinausschieben, um den Steuermann eine Weile zu beobachten. Er geht doch auch am Tage, bei Windstille, öfters hin und her und sitzt gern weiter vorn beim Wächter. Komm, Milon, wir wollen eine erste Erkundung unternehmen. Meine Haare sind dunkel. Ich strecke meinen Kopf ohne viel Gefahr, gesehen zu werden, zur Luke hinauf.»
Tyrios kroch von seiner Lagerstatt in den hinteren Schiffsraum, Milon ihm nach. Da es im Schiff alleweil irgendwo knackte und ächzte im Holzwerk, achtete niemand darauf, wenn die beiden gelegentlich im Vorwärtstasten an ein Brett oder an einen Pfosten stießen. Ein schwacher Schimmer verriet die Luke des Steuermanns. Tyrios stemmte sich aufwärts. Milon gewahrte, wie er sich plötzlich hinaufschwang. Nach einer kurzen Weile streckte Tyrios den Kopf durch die Öffnung hinab und flüsterte: «Komm nach! Der Steuermann ist weiter vorn beim Wächter!»
Als sich nun auch Milon hinaufschwang und in der kühlen, frischen Nachtluft auf Deck kauerte, überzeugte er sich ebenfalls, dass der Wächter und der Steuermann weiter vorn auf den Planken saßen und plauderten. So schien keine Gefahr zu bestehen, die geheimen Schätze anzuschleichen und zu erforschen. Die