fragte Truman.
«Natürlich, Kumpel.»
«Letztes Mal hast du mir einen Hund versprochen.»
Arch nickte. «Tja, das liegt an deiner Großcousine Jenny. ‹Keine Hunde in meinem Haus!›», machte er ihre Stimme nach. «Aber von ‹keine Flugzeuge› hat sie nichts gesagt. Also warum probierst du es nicht mal aus, bevor es ohne dich abhebt? Das ist das beste Flugzeug auf dem Markt!»
Er setzte Truman die Kappe und die Brille auf den Kopf. «Und du siehst auch um Längen besser aus als dieser Lindy!»
Truman kletterte in sein Flugzeug und drückte vorsichtig die Schalter im Cockpit. Alles sah aus, wie er es sich in einem richtigen Flugzeug vorstellte. Es fühlte sich gut an. Daraufhin zog er die Brille über die Augen, reckte er den Daumen hoch und gab seinem Vater das Zeichen für den Start.
«Aktivierung!», rief er.
Arch machte eine große Show daraus, den Propeller zu drehen, und Truman fuhr los. Er strampelte mit dem Flugzeug auf die Straße, als könnte es wirklich fliegen. Er stellte sich vor, genug Geschwindigkeit aufzunehmen, sodass die Räder tatsächlich vom Boden abhoben und er auf einmal in der Luft schwebte und hinaus in die ungestüme, blaue Ferne flog.
Da! Großcousin Bud auf seinem Baumwollfeld! Und da, die Hatter-Mühle mit Edison, der ins tiefe Wasser springt. Und da ist Billy Eugene, der feige Mistkerl.
Truman würde ihn und seine Kumpel im Sturzflug angreifen und vertreiben. In seiner Fantasie hatte er so viel Spaß, dass Truman nicht einmal bemerkte, wie Arch und Lillie Mae davonfuhren.
9.
Ein geheimer Plan
Danach war Truman sehr lange düster gestimmt. Nelle konnte ihn nicht einmal dazu bewegen, zum Spielen rauszukommen. Sie bat ihn, mit seinem Dreirad-Flieger fahren zu dürfen, aber er lehnte es rundheraus ab. Er war nicht böse, sondern wollte nur niemand sehen. Wochenlang blieb er in seinem Zimmer.
Sook ertrug es kaum, Truman so zu sehen, und versuchte alles, um ihn aus dieser Stimmung zu holen. Anfangs saß sie an seinem Bett und fütterte ihn wie einen kleinen Spatz, der aus dem Nest gefallen war. Später erzählte Sook ihm, wenn es still war, von der Grasharfe, die sie als Kind gehört hatte. So nannte sie die Geräusche, die der Wind machte, wenn er durch die leicht hügeligen Wiesen mit dem hohen Gras wehte. Dann flüsterte sie leise in sein Ohr, bis er einschlief.
Großcousine Jenny machte sich auch zunehmend Sorgen. «Solange ich am Leben bin und mich um dieses Haus kümmere, wirst du ein Dach über dem Kopf haben, junger Mann. Dir wird es weder an Kleidung noch an Essen im Bauch mangeln. Und deine Mama verdient nicht, dass du sie liebhast.»
Sein Großcousin Bud nahm ihn immer wieder mit zu seinem kleinen Baumwollfeld auf der anderen Seite des Hügels. Einfach damit er hin und wieder rauskam. Normalerweise gingen sie schweigend, während Truman niedergeschlagen auf Buds Schultern saß. Buds Schnurbart kitzelte ihn an den Beinen. Diesmal sagte Bud allerdings etwas.
«Das Leben ist ein verdammt hoher Hügel, auf den man klettern muss, kleiner Kumpel. Aber wenn’s dir zu steil wird, dann gehst du einfach auf alle Viere und krabbelst weiter. Früher oder später hast du den Buckel dann hinter dir», sagte er keuchend.
Sie schafften es hinauf und über den Hügel.
Auf dem Stück Baumwollfeld blieb Truman still vor der Hütte von Buds einzigem Arbeiter, Black John White (der so genannt wurde, damit man ihn nicht mit dem Tabakladenbesitzer White John Black verwechselte). Während Bud und Black John die Pflanzen begutachteten, machte Johns Frau für Truman warme Biscuits mit dunkler Soße, aber auch das heiterte ihn kaum auf.
Als eines Tages die Sonne unterging und das Gras rund um ihr Haus von Grün in Orange verwandelte, fragte Truman: «Bud, wie kommt es, dass ich kein richtiges Zuhause habe wie andere Kinder?»
Bud, der normalerweise die Ruhe selbst war, legte die Hände auf Trumans Schultern und sah ihm direkt in die Augen: «Tru, das hier ist dein Zuhause. Du bist blutsverwandt mit mir, mein Großcousin zweiten Grades über drei Generationen. Aber Blutsverwandtschaft ist nicht die wichtigste Verwandtschaft. Weißt du, welche das ist?»
«Nein, Sir.»
«Die Verwandtschaft der Liebe. Die kommt von Herzen. Und deshalb ist hier dein Zuhause. Du hast jedes Recht, Trübsal zu blasen. Das kann ich dir nicht verübeln. Aber wenn du dich mal umsiehst, dann wirst du es sehen – du bist ja schon zu Hause, kleiner Kumpel.»
Nelle fühlte sich einsam ohne ihren Freund. Um sie aufzuheitern, nahm A. C. sie mit auf den Golfplatz. Das gefiel ihr, weil sie sich dann wie eine Erwachsene vorkam. Sie war sein Caddy und durfte gelegentlich unter A. C.s Aufsicht einen Ball schlagen. Ihr Vater trug immer einen dunklen Anzug mit Weste, sogar auf dem Golfplatz. Das war schon eine Schau bei seinen ziemlich abgehackten Schlägen. Zwischen den einzelnen Löchern unterhielten sie sich.
«Ich versteh nicht, wieso Tru nicht mehr mit mir spielen will, A. C. In so einer Verfassung habe ich ihn noch nie gesehen», sagte sie.
«Tja, hab einfach Geduld, dann wird er schon kommen. Die Situation mit seinem Vater kann nicht leicht für ihn sein.»
Nelle hatte ihn das schon so lange fragen wollen. «Hast du ihn mal einsperren lassen?»
A. C. wählte seine Worte sorgsam. «Nein. Der Richter hat entschieden, keine Zeit damit zu vergeuden, dass er aufgespürt wird. Er glaubt, dass Arch schon bald wieder was anstellen wird. Und wenn er das tut, wird das Gericht immer noch da sein.»
«Armer Truman», sagte Nelle. «Es muss schrecklich sein, einen Lügner als Vater zu haben.»
A. C. legte eine Hand auf ihre Schulter. «Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet, mein Kind.»
«Was soll das denn heißen?»
«Es heißt, sei nicht voreilig mit deinem Urteil; warte, bis du die ganze Wahrheit kennst. Trumans Vater mag nicht vertrauenswürdig sein, aber ich glaube, er versucht, auf die einzige Weise für den Lebensunterhalt seiner Leute zu sorgen, die er kennt.»
«Das macht es für Tru nicht leichter», murmelte sie.
Ihr Vater blieb stehen und nahm das nächste Loch in Augenschein. «Nein, das tut es nicht. Aber was du tun kannst, ist, einfach nett zu Truman sein. Er braucht jemand auf seiner Seite. Manchmal ist eine kleine Geste der Freundschaft entscheidend.»
Schon bald hatte Nelle einen Plan geschmiedet, um ihren Freund aufzuheitern. Aber sie brauchte für ihr Projekt einen Flügelmann und suchte sich dafür einen von Trumans jüngsten Verwandten aus: Big Boy. Er sollte ihr helfen, Truman wieder zum Leben zu erwecken.
Big Boy war der Sohn von Lillie Maes Schwester Mary Ida. Sein richtiger Name lautete Jennings, deshalb bevorzugten alle seinen Spitznamen. Er und Truman waren gleich alt und er wohnte auf einer Farm ein kleines Stück außerhalb von Monroeville. Er war nicht besonders groß, aber bei seiner Geburt hatte er schon fünfeinhalb Kilo gewogen. Sein Wachstum hatte sich mit der Zeit verlangsamt, und mit sieben war er von durchschnittlicher Größe. Er trug eine Brille mit Gläsern so dick wie Colaflaschen-Böden, was seine Augen eulengroß wirken ließ. Als er von Nelles Plan hörte, wurden seine großen Augen sogar noch ein wenig größer.
«Dann soll das so eine Art Geheimversteck werden?»
«Mehr als das, Big Boy. Es wird unser Hauptquartier», sagte sie stolz.
«Hauptquartier wovon?», fragte er.
«Mensch, von unserem Detektivbüro natürlich. Das Einzige, was Truman aus seiner Stinklaune holen wird, ist ein gutes altes Rätsel, das es zu lösen gilt.»
«Aber in Monroeville gibt es doch gar keine Rätsel», sagte Big Boy. «Außer vielleicht