Franz Taut

Die schweigenden Kameraden


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auch etwas anderes. Aber sicherlich – sie fühlte es – würde es eine baldige Trennung zur Folge haben. Jede Stunde, seit Fritz sie bei seiner Ankunft in die Arme genommen hatte, war ihr bewusst gewesen, dass ihr Zusammensein nicht von langer Dauer sein würde. Bei der derzeitigen Kriegslage konnte nur ein Narr annehmen, dass man einen von der Ostfront abkommandierten Offizier im sonnigen Dubrovnik unbehelligt Sommerfreuden genießen ließ. Einmal musste seine Abberufung kommen, und jetzt war es wohl soweit.

      Immer wieder schickte sie einen raschen Blick durch den Ausgabeschalter in den Speisesaal, dessen Tische sich nach und nach mit uniformierten Gästen füllten. Außer Fritz Staude und seinem Trupp waren es nur wenige Dauermieter. Die meisten – Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten – kamen von irgendwelchen Stützpunkten an der Küste, um in Dubrovnik einen Zug nach Sarajewo zur Dienst- oder Urlaubsreise zu nehmen. Andere machten auf der Rückreise von der Heimat im Soldatenheim Station. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Immer neue Gesichter, Landser vom Heer, Angehörige der Kriegsmarine oder zumeist ältere Leute der OT, die an der Küste Befestigungsarbeiten durchführten.

      Immer, wenn sie zum Speisesaal schaute, hatte Schwester Elfriede einen bestimmten Tisch im Auge. Es war der Stammtisch des Trupps Staude, der durch ein Pappschild mit der Aufschrift »reserviert« gekennzeichnet war. Unteroffizier Blaisch mit seiner zerschossenen Kinnlade saß bereits dort. Er hatte ein leeres Glas und zwei Weinflaschen vor sich stehen. Auch an den übrigen Plätzen standen Gläser neben dem Gedeck. War das nicht ein Zeichen dafür, dass etwas Besonderes im Gange war? Abschied von Dubrovnik? Sicherlich nichts anderes.

      Elfriede kämpfte die Tränen nieder, die ihr heiß in die Augen stiegen. Drei Wochen. Nie würde sie diese Zeit vergessen, wenn es auch immer nur kurze Stunden verstohlenen Glücks waren, in denen Fritz und sie sich zusammengefunden hatten. Droben in seinem Zimmer, das sie nur heimlich betreten durfte, oder drunten am Strand, wo sie freilich nicht allein waren – mit Ausnahme jenes Sonntagnachmittags, an dem sie in einem Ruderboot zu einer einsamen Stelle an den Klippen gefahren waren. Vor zwei Wochen hatte sie nach Hause geschrieben, sie habe sich mit Fritz Staude verlobt. Erst vor einigen Tagen war die Antwort mit den Glückwünschen der Mutter und der jüngeren Geschwister eingetroffen. »Gib acht, Mädel«, hatte die Mutter geschrieben, »Du weißt ja, was ich meine …«

      Elfriede lächelte in der Erinnerung an Stunden glühender Zärtlichkeit. Alles war fragwürdig geworden, niemand wusste, was der nächste Tag bringen würde. Nur die Liebe zählte. Die zu Hause wussten das nicht, obwohl auch sie gefährdet waren und in ständiger Unsicherheit lebten.

      Unterdessen hatte sich auch der Obergefreite König am Tisch des Trupps Staude eingefunden. Jetzt erschien Wachtmeister Maderspacher, von dem Fritz einmal gesagt hatte, er erinnere ihn an den Wiener Schaukelburschen Liliom aus Molnars Bühnenstück. Gleich darauf kamen die übrigen, der Gefreite und die Kanoniere. Elfriede kannte sie alle beim Namen. Sie wussten, dass sie mit Fritz verlobt war, und begegneten ihr respektvoll, als sei sie bereits seine Frau.

      Nur Fritz fehlte noch. So lange war er noch nie mit seinem Marinefreund draußen geblieben. Bei dem erschreckenden Gedanken, das Schnellboot könnte von einem feindlichen U-Boot angegriffen worden sein, krampfte sich Elfriedes Herz schmerzhaft zusammen. Sie schätzte den draufgängerischen Leutnant Köck nicht. Schon mehrmals hatte sie Fritz gebeten, die überflüssigen Ausfahrten zu unterlassen. Aber Männer waren wie verspielte Kinder. Das Abenteuer lockte sie. Wenn es nicht von selbst auf sie zukam, suchten sie es.

      Doch unvermittelt atmete sie erleichtert auf. Fritz erschien im Speisesaal, winkte seinen Leuten zu, die aufgestanden waren, und hängte Mütze und Koppel an seine Stuhllehne.

      Elfriede vergaß das Umrühren. Gespannt beobachtete sie, wie der Wachtmeister seinem Leutnant ein Blatt Papier reichte. Sicherlich war es die Nachricht, die Maderspacher am Nachmittag in Empfang genommen hatte. Fritz betrachtete das Papier aufmerksam, faltete es zusammen, nickte gelassen und steckte das Formular in eine Tasche seiner Feldbluse. Nachdem er am Tisch Platz genommen hatte, sagte er ein paar Worte zu seinem Trupp. Sein Gesichtsausdruck war ruhig und unbekümmert. Einmal lachte er sogar. Nach der kurzen Ansprache öffnete er eine der Flaschen und schenkte reihum ein.

      »Schlaf nicht, Elfriede«, sagte die rundliche Schwester Lisbeth, »sonst brennt dir das Essen an, und die Herren Landser meutern.«

      Elfriede atmete befreit auf. Lisbeths stichelnde Bemerkung beachtete sie nicht. Die Hauptsache war für sie, dass Fritz allem Anschein nach von der Mitteilung, die der Wachtmeister ihm ausgehändigt hatte, nicht betroffen schien. Demnach waren alle ihre Befürchtungen Hirngespinste gewesen, entstanden in der überreizten Stimmung, in der sie sich unerklärlicherweise befand.

      Das Eintopfgericht war zur Ausgabe bereit. Der Kessel wurde vom Feuer gehoben und neben dem breiten Anrichteschalter abgestellt.

      In langer Reihe wanderten die Gäste mit ihren Tellern heran, empfingen ihren Schlag und kehrten zu den Tischen zurück. Wenn wenig Betrieb war, trugen Schwestern das Essen auf. Aber an diesem Abend war der Speisesaal beinahe überfüllt. Elfriede stand mit der Schöpfkelle am Ausgabeschalter. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil ihre Hand nicht ganz ruhig war. Einem Obermaat hatte sie schon etwas Brühe über die Hose geschüttet. Der junge Marinemann quittierte ihre Entschuldigung mit einem Lachen.

      »Nicht so wichtig, Kindchen«, sagte er.

      Es gab keine Rangunterschiede beim Essensempfang. Ein Hauptmann kam mit seinem Teller heran, ein Marinezahlmeister, ein Wehrmachtspfarrer. Alle bedankten sich höflich und fanden ein freundliches Wort. Auch die Landser, die naturgemäß in der Überzahl waren.

      Elfriede wartete auf Fritz Staude, aber ehe sein Tisch an der Reihe war, wurde sie von Schwester Lisbeth abgelöst.

      »Sollst ’rüberkommen zur Oberschwester«, sagte das kleine rundliche Ding mit kaum verhohlener Schadenfreude. »Die Alte steht kopf. Hat keine Ahnung, wie sie das Volk, das mit dem Abendzug eingetrudelt ist, unterbringen soll.«

      Die Neuangekommenen waren Ersatzleute für das in weit auseinanderliegenden Stützpunkten stationierte Sicherungsregiment. Elfriede fiel die Aufgabe zu, in dem nahezu voll belegten Hotel Platz für den Offizier, der den Transport führte, sieben Unteroffiziere und vierzig Mann zu schaffen.

      Die Oberschwester, die händeringend und völlig aufgelöst in ihrem Büro saß, ordnete an, dass der Offizier, ein Oberleutnant, zu Leutnant Staude ins Zimmer gelegt werden sollte. Die Verteilung der übrigen Neuzugänge überließ sie Schwester Elfriede.

      Erst gegen neun Uhr war Elfriede endlich frei. In der Halle entdeckte sie einen von Staudes Leuten und fragte ihn nach dem Leutnant. In seinem Zimmer, das er nun nicht mehr allein bewohnte, konnte sie Fritz nicht treffen.

      »Leutnant Staude hat Sie schon gesucht, Schwester«, sagte der Landser, einer der beiden Kanoniere. »Er ist draußen im Park. Wissen Sie schon, dass wir abrücken?«

      »Sie rücken ab?«, fragte Elfriede mit zitternden Lippen. »Für immer?«

      Kanonier Wiese schüttelte grinsend den Kopf.

      »Nee, keine Bange nicht! Nur so ’n kleiner Betriebsausflug. König bleibt mit dem Kübelwagen hier.«

      »Oh«, brachte Elfriede stockend hervor, »ach so. Ja, dann. Sie haben mir einen schönen Schrecken eingejagt, Herr Wiese.«

      Sie wandte sich von dem jungen Soldaten ab, den sie beim Briefschreiben unterbrochen hatte.

      Die Nacht war ungewöhnlich hell. Von zahllosen Sternen umgeben schwebte die goldene Sichel des abnehmenden Mondes wie ein leuchtendes Segel am unendlich hohen rauchfarbenen Himmel. Tief unten, zwischen den Silhouetten bizarr verzweigter Bäume, schimmerte das Meer, eine weite opalisierende Fläche, übergossen mit fahlem, grünlichem Licht, das auch auf den steinernen Mauern der Stadt und den steil im Osten aufragenden Felshängen lag. Ein leiser Wind strich flüsternd durch die Zweige exotischer Sträucher und Bäume.

      Elfriede ging auf die Oleanderbüsche zu. Die rosa Blüten, die noch vor einigen Wochen einen betäubenden Duft verströmt hatten, waren in der Sommerhitze verdorrt.

      Eine Gestalt löste sich aus den Schatten, in die das Mondlicht