William Boyd

Eine große Zeit


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sagte er. »Sehr witzig.«

      »Meine Skulpturen handeln von nackten Körpern. Es hätte also keinen Sinn, Sie in Ihren Kleidern zu zeichnen.« Lächelnd zeigte sie auf die Tür am hinteren Ende des großen Raums. »Sie können sich dort ausziehen.«

      »Gut. Schön.«

      Das Schlafzimmer war klein und schlicht mit weiß getünchten Wänden und einem rauen Dielenboden, auf dem ein Flickenteppich lag. Es gab ein schmales Eisenbett mit einer braunen Decke und eine Kommode mit einem einfachen Waschkrug samt Schüssel. Auf dem Brett des kleinen Fensters, das auf einen unkrautüberwucherten Gemüsegarten hinausblickte, stand ein Einmachglas mit getrockneten Gräsern, das einzig Persönliche in diesem Raum.

      Lysander blieb unschlüssig in der Mitte stehen. Was wurde hier eigentlich gespielt? Kurz überlegte er, ob er nicht einfach die Tür öffnen, hinaustreten und Miss Bull mitteilen sollte, er könne ihrem Wunsch nicht entsprechen und müsse nun dringend gehen. Er wusste jedoch, dass Miss Bull ihn dafür verachten würde. Und er wollte nicht, dass sie ihn für einen Schnösel oder verklemmten Wichtigtuer hielt. Er schob seine Zweifel beiseite und begann, sich auszuziehen.

      Als er nur noch in Strümpfen und Unterhose dastand, verursachte ihm die Kühnheit seines Unterfangens ein gewisses Prickeln. Er warf einen Blick auf seine Sachen, die ordentlich auf dem Bett abgelegt waren. Letzte Chance. Er streifte seine Strümpfe ab und zupfte an der Bundschleife. Kaum war die Unterhose gefallen, wurde ihm im Lendenbereich kalt. Neben der Kommode hing ein Handtuch, das band er sich um die Hüfte und kehrte ins Atelier zurück. Miss Bull saß in einem Rohrsessel, den sie näher an das Podest herangeschoben hatte. Sie streckte ihm etwas entgegen, das wie eine kleine Lederschleuder aussah.

      »Ist mir eben erst eingefallen. Vielleicht hätten Sie lieber ein Cachesexe? Mir ist es egal.«

      »Aber nein. Au naturel – macht für mich keinen Unterschied.«

      Er stieg auf das Podest, spürte den kratzigen Teppich unter seinen Fußsohlen und merkte, dass ihm das Herz auf einmal bis zum Hals schlug.

      »Ich wäre dann so weit«, sagte Miss Bull ruhig.

      Er ließ das Handtuch fallen und richtete den Blick auf das rußige Rohr, das ihm gegenüber aus dem Ofen ragte, dann hörte er nur noch das hurtige Kratzen der Zeichenkohle auf Miss Bulls Skizzenblock. Er straffte die Schultern und nahm sich erneut vor, sich endlich zu entspannen. Er war zwar nicht besonders groß, aber er wusste, dass er dank seiner schmalen Hüften und breiten Schultern eine gute Figur hatte – jedenfalls überhäufte ihn sein Schneider stets mit Komplimenten. »Das klassische männliche Schönheitsideal, Mr Rief. Sie sollten mal meine anderen Kunden sehen. Ein Bild des Jammers!«

      »Könnten Sie sich ganz leicht nach links drehen? Wunderbar.«

      Lysander drehte sich und versuchte, sich als griechischen Olympioniken zu sehen, als Diskuswerfer oder Speerschleuderer, der entkleidet zu den Spielen antrat. Wozu machte man überhaupt so viel Aufhebens vom nackten menschlichen Körper? Allein im Bereich der Kunst war er im Übermaß vertreten – man denke nur an die Akte, die seit jeher gemalt wurden, die unbekleideten Statuen in öffentlichen Parks, Michelangelos David, die unzähligen Venusbilder und Götter und Gladiatoren mit entblößtem Hintern. Er atmete tief ein und ließ seine Finger leicht über die Oberschenkel streifen. Entspann dich, entspann dich, entspann dich.

      »Könnten Sie die Hände in die Hüften stemmen?«

      Das tat er und kniff dabei unwillkürlich die Pobacken zusammen, plötzlich von der Vorstellung ernüchtert, dass Udo Hoff sein Atelier verlassen und das Feld durchqueren könnte, um bei seiner Geliebten nach dem Rechten zu sehen … Daran darfst du gar nicht denken. Lass dir eine Parallelwelt einfallen, deine Parallelwelt … Er blendete sämtliche Gedanken aus.

      Er hörte die Sesselbeine kurz über den Boden schleifen und das Klappern von Miss Bulls Holzschuhen – sie ging weg und kam wieder.

      »Wollen wir eine Pause machen?«, fragte sie. »Sie haben sich ein weiteres Glas Madeira verdient.«

      Nun konnte er sie ansehen. Da stand sie und reichte ihm lächelnd das Glas. Er bückte sich nach dem Handtuch, hielt es sich locker vor und stieg vom Podest, um ihr das Glas abzunehmen. Erst dann fiel ihm auf, dass er sich das Handtuch nicht umbinden konnte, weil er keine Hand mehr frei hatte – ach, was soll’s, dachte er. Er genoss die Situation – sie hätten ebenso gut am Tresen eines Cafés stehen und miteinander plaudern können. Miss Bull wirkte völlig gelassen. Für sie war es natürlich nur eine von vielen Aktklassen.

      »Sie haben schön stillgehalten.«

      »Danke.«

      »Als wäre es nicht das erste Mal.«

      »Ist es aber. Definitiv.« Er nahm einen großen Schluck Madeira und dann gleich den nächsten – zu süß für seinen Geschmack, aber er brauchte jetzt eine kleine Stärkung.

      »Möchten Sie sehen, was ich gemacht habe?« Miss Bull hielt ihm mit einem eigentümlichen Lächeln den Skizzenblock hin. Es kam ihm so absurd wie selbstverständlich vor, dass er sich nackt in diesem Raum befand, mit nichts als einem Handtuch, um »seine Blöße zu bedecken«, wie es so schön hieß, keinen Meter entfernt von einer jungen Frau, die mit Muselinbluse, Sergerock und Holzschuhen vollständig bekleidet war. Sie nahm ihm das Glas ab und drückte ihm den Block in die Hand.

      Lysander betrachtete die Zeichnung. Sehr plastisch und detailliert, sie hatte die Kohle mit den Fingerspitzen verrieben, um Schattierungen zu erzeugen. Eine kraftvolle, sichere Hand, eine hervorragende Zeichnerin. Es schnürte ihm die Kehle zu, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.

      Er räusperte sich. »Wie würden Sie das bezeichnen? Als ›Männliche Genitalstudie‹?«

      »Ihre Vorhaut ist ziemlich kurz, ist mir aufgefallen«, sagte sie in vertraulich leisem Ton. »Zunächst dachte ich, Sie sind beschnitten, wie Udo.« Sie tat einen Schritt auf ihn zu. »Doch bei näherem Hinsehen habe ich festgestellt, dass Sie das nicht sind.«

      »Nein, ich bin nicht beschnitten«, brachte er mühsam hervor, während sich eine Wärmewelle über seine Brust ausbreitete – erst jetzt zeigte der Madeira Wirkung. Sein Penis regte sich und schwoll an, als reagierte er bewusst auf den Umstand, dass von ihm die Rede war.

      Miss Bull senkte den Blick unterhalb seiner Gürtellinie und schob das herabhängende Handtuch beiseite.

      »Wenn überhaupt, würde ich das als männliche Genitalstudie bezeichnen«, sagte sie. Mit der freien Hand fuhr sie ihm sanft über den Rücken, was ihn erschauern ließ. Ihre Fingerspitzen strichen über seinen Hintern.

      »Wollen wir ins Bett gehen?«, fragte sie, an ihn gelehnt, mit lächelnd erhobenem Kopf, die großen braungrünen Augen von Lachen erfüllt.

      16 Ein teuflischer Plan

      Dr. Bensimon sah Lysander zweifelnd an.

      »Nun, das erscheint mir mehr als außergewöhnlich.«

      »Ich weiß«, räumte Lysander ein und schüttelte den Kopf, nicht minder ratlos.

      »Und alles hat funktioniert?«

      »Völlig problemlos. Ganz normal. Ich habe es sogar wiederholt – nur um mir zu beweisen, dass das kein bloßer Zufall war.«

      »Zwei Mal?«

      »Binnen vierzig Minuten, so in etwa.«

      Lysander dachte daran zurück – zwei Tage nach dem Ereignis war er immer noch verwirrt und verwundert. Sie waren in die kleine Schlafkammer gegangen und wurden dann von einem Strudel erfasst, seine Kleider wirbelten von der Wolldecke hinunter, Miss Bull riss sich Bluse, Rock, Mieder, Unterrock und Schlüpfer vom Leib, dann fanden sie sich im Eisenbett wieder, ihr schmaler, kleiner, straffer Körper wand sich in seinen Armen, seine Erregung wurde heftiger und fordernder. Gewisse Details prägten sich ihm auf Anhieb ein – ihre dunklen Haare, die sich auf dem Kissen ausbreiteten, ihre unerwartet prallen Brüste mit den kleinen kreisrunden Warzen, ihre kohleverschmierten