Appetit hatte sich gebessert. Jig war noch immer sehr zart, aber keineswegs mehr so dürr wie noch vor Wochen.
»Charmant wie eh und je, Mister Dreyer«, erwiderte Ada. »Doch zu Ihrem Leidwesen können Sie uns gar nicht aus diesem Garten vertreiben, denn dies ist auch Valeries Grund und Boden. Und jetzt ist es ja auch nicht mehr als Grund und Boden, so wie ich die Dinge sehe.« Sie deutete auf die frisch betonierte Fläche hinter sich.
»Haben Sie etwas damit zu tun?« Derek Dreyer, dessen Gesicht so rot geworden war wie eine Weihnachtskugel, hatte sie jetzt fast erreicht. Unter seinen schweren Schritten erbebte der Boden, auf dem Ada noch immer ungerührt saß und an ihrem Keks knabberte.
»Sehe ich etwa aus wie eine Abrissbirne?« Ada blickte fragend zu ihm auf. »Passen Sie auf, was Sie sagen. Jig haben Sie schon beleidigt, verscherzen Sie es sich nicht auch noch mit mir.«
»Ich dachte, das hätte er längst«, ließ sich plötzlich die vertraute Stimme Teddys vernehmen, der mit Valerie am Arm den Weg vom Gartentor herkam.
Beim Anblick der kalten Betonfläche inmitten des Gartens verlor Valeries Gesicht jede Farbe. »Mein Haus! Mein Haus ist weg! Jemand hat es gestohlen!«
Ada erhob sich von ihrem Kissen, um Valerie in den Arm zu nehmen und ihr zu versichern, dass ein Haus nicht einfach gestohlen werden konnte.
Doch es war Derek Dreyer, der jetzt mit theatralischer Geste das Wort ergriff. »Das ist es ja, was ich dir sagen wollte. Schonend beibringen, nach Möglichkeit. Doch wenn du keinen meiner Anrufe beantwortest, nie zu sprechen bist, dich bei diesem Blunt in seinem Schloss verschanzt …«
»Nur ein kleiner Landsitz«, warf Teddy ein und lächelte bescheiden.
»Ach, halten Sie die Klappe, Blunt. Sie haben dieses komische Kindermädchen auf den Plan gerufen.« Derek deutete auf Ada. »Wie soll ich denn ein vernünftiges Wort mit meiner Frau wechseln, wenn diese Verrückte dabei ist?«
»Ada ist nicht verrückt, Sie fetter, blöder …« Jig, die herbeigeeilt war, gingen die Schimpfwörter aus.
Ada musste grinsen. Die Kleine war einfach zu gut für diese Welt.
»Ich will sofort wissen, was mit meinem Haus passiert ist«, rief Valerie und schien kurz davor, hysterisch zu werden.
»Das will ich dir ja gerade erzählen: Es ist weg!«, brüllte Derek Dreyer.
Die darauffolgende Stille wurde nur vom leisen Glucksen Adas unterbrochen.
»Das ist nicht witzig!«, fauchte Derek. »Ich befand mich auf einer Geschäftsreise. Gerade mal für fünf Tage. Und als ich wiederkam, war das Haus weg. Mitsamt seinem Inhalt. Meine Anzüge, meine Unterlagen, mein Lieblingssessel, alles einfach weg. Und niemand kann mir sagen, was eigentlich passiert ist.«
»Was ist denn mit den Nachbarn?«, fragte Teddy neugierig.
»Die haben den Abriss natürlich genau mitbekommen, dachten aber aus unerfindlichen Gründen, dass schon alles seine Richtigkeit haben wird. Und niemand hat sich den Namen des Abrissunternehmens gemerkt, der ja bestimmt an einem der LKWs gestanden haben muss.«
»Das bezweifle ich«, sagte Ada leise und mehr zu sich selbst als zu einem der Umstehenden.
Valerie trat vor und machte ein paar vorsichtige Schritte auf dem Beton, der genau dort ausgebracht worden war, wo einst ihr Zuhause gestanden hatte. »Das kann doch alles nur ein furchtbares Missverständnis sein.«
»Das glaube ich nicht, mein Schatz.« Ada war neben sie getreten und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Gerade diese recht stabile Betonplatte unter unseren Füßen lässt mich vermuten, dass da jemand ganz genau gewusst hat, was er tat.«
Valerie suchte ihren Blick. In ihren Augen schwammen Tränen. »Aber wer würde denn so etwas tun?«
Ada zuckte ratlos mit den Schultern. »Das kann ich dir auch nicht sagen. Sicher ist nur, dass kein Abrissunternehmen in ganz London zugeben wird, diesen Auftrag ausgeführt zu haben. Hier wurde ganze Arbeit geleistet bei dem Versuch, das Experiment ›Schrathaus‹ ein für alle Mal dem Erdboden gleichzumachen. Und um ganz sicher zu gehen, dass auch nichts mehr unter dem Fundament lauert, hat man den Erdboden mit Beton versiegelt. Ich finde das sehr effektiv.«
»Glücklicherweise ist niemand zu Schaden gekommen«, hörte Ada Derek sagen. »Diese Idioten hätten mir wahrscheinlich den ersten Stock auf den Kopf fallen lassen, wenn ich zu Hause gewesen wäre.«
»Sebastian«, flüsterte Valerie und eine Träne purzelte über ihre Wange. »Was ist aus Sebastian geworden?«
Ada verzog das Gesicht und drückte Valerie noch etwas fester an sich, die einen kleinen Laut der Verzweiflung ausstieß. Den Rücken Valeries mechanisch streichelnd, dachte Ada, dass es wohl weder für die Schwarzen Schrate in den Wänden des Hauses noch für ihr erwachsen gewordenes Haustier, Sebastian, irgendeine Rettung gegeben hatte. Dieser Vernichtung konnte niemand entkommen sein.
»Hör auf zu heulen.« Derek klang nun schon etwas zahmer. »Das Haus ist weg, jetzt weißt du es. Aber natürlich werde ich die Verantwortlichen dafür finden und auf jeden Penny verklagen, den sie besitzen. Du wirst sehen: In ein paar Jahren stehen wir beide finanziell besser da als je zuvor und lachen über diese ganze Sache.«
»Ist das das Äußerste an Trost, das Sie zustande bringen?«, wollte Teddy wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Halten Sie sich raus, ich habe mit meiner Frau gesprochen«, erwiderte Derek und lief schon wieder rot an. »Was haben Sie eigentlich mit meinem Sohn angestellt? Sitzt Paul jetzt allein in Ihrer Burg?«
»Landsitz«, korrigierte Teddy. »Natürlich nicht. Er befindet sich in der Obhut zweier ganz reizender Pu…tzfrauen.«
Jetzt war es Teddy, der unter dem warnenden Blick Adas rot anlief. Ihrer Meinung nach hatte es keinen Sinn, den Verstand Derek Dreyers mit so etwas wie der Existenz von Puken zu belasten.
»Das Haus ist mir egal«, rief Valerie jetzt leidenschaftlich aus. »Und auch das Geld, das es wert war. Ich will genau wissen, was hier passiert ist. Ob irgendjemand, irgendetwas …«
»… überlebt hat?«, flüsterte Ada. »Selbst wenn, er könnte ohne die Atemluft der Schrate, ohne die Bedingungen, die in ihren Gängen herrschten, hier draußen nicht überleben. Wäre Sebastian entkommen, wäre auch das sein sicherer Tod gewesen.«
»Ich will das nicht«, erwiderte Valerie unter Tränen. »Ich will eine andere Lösung, einen kleinen Hoffnungsschimmer.«
»Vielleicht tröstet es dich, dass ich noch immer etwas riechen kann.« Auch Teddy flüsterte jetzt, was Derek Dreyer nicht entging.
»Was riechen?«, wiederholte er. »Was geht hier vor? Handelt es sich etwa schon wieder um irgendwelche schwarzen Monster? Valerie, habe ich dir schon gesagt, dass mein Hausarzt glaubt, dass ich in jener Nacht eine stressbedingte Wahrnehmungsstörung hatte?«
»Was auch sonst?« Jig verdrehte die Augen. »Ich möchte nur sagen, dass ich nichts höre. Überhaupt nichts, was darauf hindeutet, dass unter diesem Betondeckel etwas lebt.«
»Aber ich rieche etwas«, beharrte Teddy.
»Hören, riechen, ihr habt doch alle einen an der Waffel.« Derek Dreyer versetzte Jig einen kleinen Stoß und streckte die Arme nach seiner Frau aus, die sofort einen Schritt rückwärts machte. »Liebling, lass uns noch einmal neu anfangen. Wir vergessen das alles hier und ziehen mit Paul in ein hübsches neues Haus mit viel Glas, wie es jetzt modern ist. Lass die Verrückten doch unter sich sein. Du gehörst nicht zu ihnen, du gehörst zu mir.«
Valerie rang um Fassung. Dann straffte sie die Schultern und antwortete: »Sieh doch ein, dass unsere gemeinsame Zeit vorbei ist, Derek. Ich habe mich in den letzten Wochen entwickelt, du aber nicht. Ich kann nicht mehr zurück, nie mehr. Und ich liebe dich nicht mehr.«
Dereks Arme fielen herab, als gehörten sie nicht länger zu ihm. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und verließ den Garten. Einen Augenblick später startete irgendwo auf der Straße