„Einen noch“, sprach Cleo zu sich selbst, formte einen Schneeball und warf ihn mit aller Kraft hinüber zum roten Häuschen. Es klirrte genauso ein Klirren, wie wenn Glas zerbricht! Oje, vor Schreck bekam Cleo eine ganz weiße Nase und ein komisches Gefühl im Bauch.
„Vielleicht ist es nicht so schlimm“, überlegte sie sich, „und ich kann es wieder reparieren.“ So beschloss sie, nach dem Essen, in den Nachbarsgarten zu gehen und sich den Schaden anzusehen.
Mama erzählte sie erst einmal nichts davon.
„Sei still“, flüsterte Cleo, doch Zottel winselte vor Aufregung. Die beiden stapften durch den Schnee und standen in wenigen Minuten vor dem roten Haus. Es war ein sehr hübsches Holzhaus, fand Cleo. Sie mochte diese nordischen Holzhäuser mit einer gemütlichen Terrasse vor der Haustür. Gleich nebenan stand ein kleiner Schuppen mit einer grünen Tür und einem winzigen Fenster.
„Kaputt!“, kreischte Cleo entsetzt und Zottel bellte. Tatsächlich, die Glasscheibe war in der unteren Ecke zersprungen. Konnte es wirklich sein, dass ein kleiner Schneeball so etwas anrichten konnte? Cleo stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte ins Innere des Schuppens, doch es war dunkel und sie konnte nichts erkennen. Da tauchte plötzlich etwas Helles auf, das auf und ab sprang, knurrte und bellte.
„Zottel!“ Cleo blickte zur Tür, die einen Spalt offen stand, und genau durch diesen war der kleine Hund in den Schuppen gehuscht. Schnell stieß Cleo die Tür auf und trat in die Dunkelheit. Zottels helles Fells war klar und deutlich zu sehen.
„Was machst du?“, rief Cleo. „Lass das los!“
Zottel hatte etwas im Maul und schüttelte seinen Kopf nach links und rechts. Cleo griff zu und spürte weichen Stoff in ihren Händen. Der Hund hielt das für ein Spiel und zog so kräftig, dass es plötzlich ratschte.
„Kaputt“, stellte Cleo entsetzt fest. „Du hast ein Loch in den Mantel gebissen!“
Zottel ließ endlich los, drehte sich um und verschwand.
„Und ich muss das jetzt reparieren. Das Fenster ist kaputt und der Mantel …“ Cleo hielt den Mantel in die Höhe. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte nun mehr Details erkennen.
„Ach du meine Güte“, rief sie, „er ist groß, rot, hat einen Bindegürtel und eine Kapuze. Das ist bestimmt der Mantel vom Weihnachtsmann!“ Sie wendete das flauschige Ding in ihren Händen und betrachtete es, so gut es eben ging, von allen Seiten.
„Potzblitz“, staunte sie, „Herr Engel ist der Weihnachtsmann!“
Das war ja eigentlich fantastisch, wäre da nicht das Loch in diesem Mantel. Schließlich konnte der Weihnachtsmann doch nicht am Heiligen Abend die Kinder mit einem kaputten Mantel beschenken. Zum Glück hatte Zottel auf der Rückseite zugebissen, dann würde das Malheur nicht gleich auffallen. Er hatte ein Stückchen aus dem Stoff gerissen. Cleo sah auf den Boden, ob sie etwas Rotes sehen konnte, aber wahrscheinlich hatte Zottel es einfach mitgenommen.
Als Cleo am Abend in ihrem Bett lag, hatte sie ein sehr schlechtes Gewissen. Zum Glück war Klaus nicht in den Schuppen gegangen, als er heute nach Hause gekommen war, denn Cleo hatte zwar ihr Bestes gegeben, um ihre Fußspuren zu beseitigen, und der kräftige Schneefall hatte ihr dabei geholfen, aber die Scheibe hatte nach wie vor einen Sprung und der Mantel, den sie ordentlich zusammengelegt an einen Haken gehängt hatte, war immer noch kaputt.
„Wir haben wirklich ein Problem“, flüsterte sie Zottel zu, doch der lag vor ihrem Bett auf dem Rücken und schnarchte. Cleos Blick wanderte zum Fenster, wo Irma saß und zum hellen Mond blickte. Irma war Cleos Puppe, die jeden Abend ihren Platz auf dem Fensterbrett einnahm und in den Garten blickte. Irgendwann fielen ihr die Augen zu, aber davon merkte Cleo nichts mehr, denn sie war dann auch längst eingeschlafen. Irma hatte wunderschöne rote Locken, die ihr bis zur Hüfte reichten. Das Kleid, das sie trug, war ebenso rot und es hatte grüne Pünktchen.
„Ich hab’s!“ Plötzlich saß Cleo in ihrem Bett und ihr Aufschrei kam so schrill, dass Zottel in Sekundenschnelle auf ihr Bett sprang, um nach dem Rechten zu sehen. Cleo hatte die rettende Idee und zum Glück hatte Irma noch viele weitere Kleider!
Die Zeit bis zum Heiligen Abend verging wie im Flug. Klaus verbrachte nun viel Zeit mit Mama, Cleo und Zottel. Sie gingen gemeinsam auf den Weihnachtsmarkt, spielten am Abend Mensch ärgere dich nicht und am vierten Adventssonntag gingen sie gemeinsam in die Kirche. Da zündete Mama eine Kerze für Cleos Papa an.
„Er hat überhaupt nichts gesagt“, dachte Cleo zufrieden, denn das Schuppenfenster war längst repariert und Klaus hatte es nicht mal erwähnt.
Als es dann endlich Weihnachten war, sagte Mama nur kurz, dass Klaus wohl erst spät am Abend zum Essen vorbeikäme.
„Das hab ich mir gedacht“, grinste Cleo, doch Mama blickte sie nur verwundert an. Zottel wusste genau, was sie meinte. „So ist das mit den Erwachsenen“, zwinkerte sie ihrem Vierbeiner zu, „sie hören irgendwann auf, an Weihnachten zu glauben und dann merken sie nicht mal, wenn der Weihnachtsmann nebenan wohnt.“
Das Weihnachtsfest wurde wunderschön, ganz genauso, wie Cleo es sich gewünscht hatte. Ein festlicher Weihnachtsbaum stand im Zimmer, überall leuchteten Sterne, Mandelduft lag in der Luft und die vier Kerzen auf dem Adventskranz flackerten um die Wette. Jetzt fehlten nur noch die Geschenke.
„Die bringt heute der Weihnachtsmann persönlich“, lächelte Mama. In diesem Moment ging die Tür auf und der Weihnachtsmann trat mit einem großen Sack über der Schulter ins Zimmer. Mit dem langen Rauschebart im Gesicht war Klaus kaum wiederzuerkennen, doch Cleo ließ sich nicht täuschen.
Nachdem sie ihr Gedicht aufgesagt hatte, bückte sich der Weihnachtsmann, um die Geschenke aus dem Sack zu holen. Dabei drehte er sich ein bisschen und Cleo erblickte den rot gestreiften Flicken mit den grünen Pünktchen auf seinem Mantel.
Cleo blickte verschmitzt zu Irma, die auf dem Sofa saß und von dort die Bescherung beobachtete. Sie trug ein wunderschönes blaues Kleid.
*
Wunder-Weihnachtsbaum
Heute darf Juliane zum allerersten Mal mit ihrem Vater zum Marktplatz, um einen Weihnachtsbaum auszusuchen. Ihre Mutter und die Großmutter Lina bleiben zu Hause und bereiten alles Wichtige für den Weihnachtsabend vor. Aber Weihnachten wäre nicht Weihnachten, wenn nicht ein prächtig geschmückter Tannenbaum im Wohnzimmer stehen würde. Deshalb läuft Juliane nun mit ihrem Vater an diesem Weihnachtsmorgen durch die Straßen der kleinen Stadt. Der Marktplatz ist schon voller Menschen. Einige haben den richtigen Baum bereits gefunden und tragen ihn fort.
„Juli, wie gefällt dir der hier“, ruft der Vater und wirbelt ein kleines Bäumchen, das er an der Spitze festhält, im Kreis herum. Juliane zuckt nur mit den Schultern. So klein hatte sie sich den Baum nicht vorgestellt.
„Aber Schatz, einen ganz großen Baum kriegen wir doch gar nicht nach Hause. Unser Zimmer ist auch nicht groß genug für so einen Riesen!“ Der Vater lächelt tröstend, aber Juliane schnieft nur durch die Nasenlöcher. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie ganz anderer Meinung ist. Sie steckt die Hände in die Manteltaschen, dreht sich um und geht in Richtung Marktbrunnen.
„Schnief, schnief“, wimmert es im Tannenzweig. Juliane bleibt stehen, lauscht und blickt dann schnell zu Papa. Hat er sich mit ihr einen Spaß erlaubt? Nein, Papa ist nicht zu sehen.
„Schnief, schnief.“
„Hallo“, flüstert Juliane etwas zögerlich. Dann holt sie tief Luft und geht zu der Tanne, aus der die Schnieflaute ertönen. „Hallo!“ Juliane ist jetzt fest entschlossen, das Geheimnis des Schniefens zu lüften. Sie biegt die Tannenzweige auseinander. Zum Glück hat sie dicke Handschuhe an, sonst hätten die Nadeln sie ganz schön gepikst. Erst kann sie gar nichts erkennen.
„Schnief.“
„Hallo,