F. John-Ferrer

Wo sind sie geblieben


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kommen sie heute nicht mehr. Sie werden den Tag nutzen … also morgen erst.

      Hajek wird von dem unbehaglichen Gefühl beschlichen, dass in der Dunkelheit irgendetwas lauert, dass die Russen sich irgendwo bereitstellen. Weiter vorn in einer Mulde oder drüben im Wald. – Hingehen und kundschaften? – Nein.

      Hajek hat das absolut sichere Gefühl, dass dieser Erkundungsgang sinnlos wäre. Wozu etwas unternehmen, das keine Chance zum Gelingen bietet, nicht die geringste Chance! »Los«, befiehlt er Alsdorf, »ab und zurück. Wir richten hier nichts aus.«

      Sie schlittern den Hang hinunter und gehen zur Straßenhöhe zurück.

      »Na, was gibt’s?«, fragt Unteroffizier Reischach, als Hajek und Alsdorf ankommen.

      »Nichts zu hören und zu sehen«, erwidert Hajek. »Aber wir bleiben hier. Richtet euch für die Nacht ein.« Unteroffizier Tischner denkt an den vor drei Stunden erbauten Unterstand aus Schienenschwellen. Zum Teufel, das wird eine kühle Nacht werden! Aber es ist ja nicht die erste, die man in diesem lausigen Land erlebt!

      In dieser Nacht, die zwei Gruppen des II. Zuges auf dem zugigen, eiskalten Hügelrücken verbringen, passiert nichts. Aber kaum dass der Morgen graut, bricht geradeaus ein dumpfes Dröhnen und Mahlen los, vermischt mit jenem rasselnden Geräusch, das fahrende Panzer verursachen.

      Es schneit noch immer dünn, der Morgen ist fahlgrau, und die Sicht reicht nicht bis zum Wald hinüber. Und dort drüben haben sich die Sowjets für den Angriff bereitgestellt. Die Geräusche, die am Abend vorher von den beiden Landsern vernommen wurden, waren wirklich von Panzern verursacht.

      Jetzt rollen sieben hintereinanderfahrende T 34 wie Elefanten heran, gefolgt von drei flacher gebauten Sturmgeschützen. Infanterie hängt wie Trauben an den Ungetümen. Infanterie trabt in den Zwischenräumen.

      »Panzer!«, brüllt es auf der Straßenhöhe. »Panzer von vorn!«

      »Was hab ich gesagt!«, schreit Alsdorf blass und hysterisch wütend. »Sind das Panzer oder Mistfuhren?«

      Zwei MG beginnen zu schießen. Dauerfeuer. Ein paar Gestalten purzeln aus den Trauben auf den Panzern und bleiben liegen.

      »Rotlicht schießen!«, brüllt Hajek.

      Drei Rotlichter taumeln in den grauen Himmel, flammen auf, bleiben ein paar Sekunden stehen und fallen wie verlöschende Sterne. Der Feind greift an!

      Die Funker brüllen in die Mikrofone, dass Panzer angreifen; die Fernsprecher kurbeln wie verrückt die Sprechapparate: »Feind greift über Straßenhöhe an! Feind greift an!«

      Hajek hat eingesehen, dass zwei MG und patschendes Schützenfeuer sieben T 34, drei Sturmgeschütze und aufgesessene Infanterie nicht aufhalten oder gar zurücktreiben können. Er befiehlt Stellungswechsel.

      Die Leute hasten zum Bahndamm zurück. Ein Melder ist losgerannt und stürzt in das Bahnwärterhäuschen.

      »Herr Leutnant, Herr Leutnant, Panzer greifen an!«

      Warnicke ist vollkommen ruhig, er nickt, schlingt den grauen Wollschal fester um den Hals und geht hinaus, dem Melder auf die Schulter klopfend: »Nur ruhig Blut, mein Junge! Immer ruhig bleiben! Häng dich an mich, ich werde dich noch brauchen.«

      Der Gefechtslärm verstärkt sich. In das langanhaltende Rattern der deutschen Maschinengewehre dröhnen die trockenen Schläge mehrerer Panzerkanonen.

      Und während Leutnant Warnicke die Leute des III. Zuges zwischen ein paar rostenden, halb zerschossenen Güterwaggons in Stellung befiehlt und ermahnt, mit der Munition vorerst sparsam umzugehen, erkennt Feldwebel Hajek, dass die durch die Hügelschneise durchrollenden Sowjetpanzer nach links und rechts auszuscheren beginnen und die Infanterie dicht nachfolgt. Es ist jetzt klar, dass die Sowjets Tscherkassy von rückwärts angreifen wollen.

      Links, dicht hinter der Ruine des Bahnhofes, steht eine 15-cm-Batterie in Stellung. Bisher hat sie nach Osten geschossen, jetzt sind die Kanoniere dabei, die Geschütze um hundertachtzig Grad herumzudrehen und in Feuerbereitschaft zu bringen.

      »Direktbeschuss!«, brüllt ein Offizier durch das Megafon. »Feuer frei!«

      Hajek versucht, zwei Züge beisammen zu halten, um ein massiertes Abwehrfeuer zu haben.

      »Auf die aufgesessene Infanterie halten!«, brüllt er den MG-Schützen zu und rennt von Gruppe zu Gruppe. »Auf die Infanterie halten, Leute! Das ist wichtig! Die Panzer können wir mit MG nicht aufhalten!«

      In dem Augenblick, als die Sowjetpanzer und die drei Sturmgeschütze fächerartig auseinandergeschwärmt sind und den Angriff beginnen, verstärkt sich plötzlich das feindliche Artilleriefeuer jenseits des Dnjepr. Lage auf Lage rauscht in die Stadt hinein, reißt schwarze Sprengpilze hoch und wirbelt Trümmer durcheinander. Schwere Kaliber schlagen auf dem Bahngelände ein.

      Der Morgen ist erfüllt vom Krachen und Bersten, vom Reißen der Granaten, vom wilden Hämmern der Maschinengewehre, vom Krachen der feindlichen Panzerkanonen, in dem das Schützenfeuer der deutschen Grenadiere kläglich untergeht.

      Der Tanz hat begonnen. Es ist das geschehen, was man allgemein befürchtet hat: Tscherkassy wird von zwei Seiten angegriffen. Und während das II. Bataillon mit zwei Kompanien nach Norden und Osten abzuschirmen versucht und sich mit verbissener Wut verteidigt, sieht sich Leutnant Albert Warnicke vor die Tatsache gestellt, mit einer dezimierten und nur mit Handfeuerwaffen ausgerüsteten Kompanie einen überstarken Gegner aufzuhalten. Sieben T 34 mit nachfolgender Infanterie und drei Sturmgeschütze sind ausgeschwärmt und greifen Tscherkassy aus westlicher Richtung an. Die 15-cm-Batterie kommt gar nicht dazu, den Feind im Direktbeschuss abzuwehren und ein paar der heranwalzenden Ungetüme abzuschießen. Die Kanoniere packen ihre Karabiner und laufen in die Trümmer zurück, um sich von dort aus zur Wehr zu setzen.

      Anscheinend zu spät prescht ein Pak-Zug heran und geht hinter den Bahngleisen zwischen Ruinenmauern und Trümmern in Stellung. Die Panzerjäger sind fixe Burschen. Es dauert nur Sekunden, bis der erste Schuss das Rohr verlässt. Beim vierten bleibt der erste Panzer liegen und beginnt zu qualmen. Aber sechs andere rollen weiter und schießen wie wild. Aus dem Getöse bricht matt klingendes Geschrei.

      Bis auf hundertfünfzig Meter sind Panzer und Infanterie herangekommen. Sie machen es nach dem Schema: Schieß du, ich fahre! Während jeweils drei Panzer stehend feuern, rollen die drei anderen mit Höchstfahrt weiter, halten und schießen, der nachfolgenden Infanterie Feuerschutz gebend.

      »Feuer auf Infanterie!« Leutnant Warnicke, selber hinter einem MG liegend, schreit den Befehl. Dann drückt er den Finger auf den Abzug und visiert die beweglichen Punkte an, die hinter oder neben den Panzerungetümen laufen.

      Auch Hajeks Zug schießt auf die feindliche Infanterie. Als plötzlich ein zweiter Panzer mit einer grellen Stichflamme auseinanderbirst, ertönt da und dort heiseres Freudengebrüll.

      »Pak! Wir haben Pak! Wir schaffen es!«

      Das feindliche Artilleriefeuer verlegt sich zurück. Die Panzer vor dem Bahngelände rollen weiter vor. Sie feuern zwischen die Waggons, aus denen Mündungsblitze zucken. Das Dauerfeuer eines MG verstummt jäh. Ein anderes meckert in irrem Takt weiter.

      Unteroffizier Reischach liegt bei der zweiten Gruppe und hilft dem MG-Schützen beim Einlegen des Gurtes. Plötzlich schmeißt sich jemand neben Reischach.

      »Egon, das hat keinen Sinn. Feuer einstellen. Wir müssen die Brüder ein Stück in die Stadt reinlassen und dort packen.«

      Es ist Hajek. Seine hellen Augen im wettergebräunten Gesicht funkeln. Die Bartstoppeln scheinen sich gesträubt zu haben.

      »Wohin?«, fragt Reischach.

      »In die Trümmer! Nähe Bahnhofsgebäude!«

      »Ist das Restaurant geöffnet?«, witzelt Reischach, aber Hajek rennt bereits geduckt zur nächsten, zur übernächsten Gruppe und fordert die Leute auf, sich in die Trümmer zurückzuziehen und sich die Panzer vorzunehmen.

      Dort, wo die Güterwaggons stehen, prasselt noch immer ein MG. Der III. Zug