Sabine Prigge

Nicht ohne Jasper


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fragte sie. „Ich muss dir auch was erzählen. Wir können zusammen mit Japper in den Wald gehen. Und dann machen wir ein Picknick. Was hältst du davon? Wir nehmen Apfelsaftschorle mit und Obst. Ich glaube, wir haben sogar noch ein bisschen Kuchen vom Wochenende.“

      Hanna schniefte. „Das klingt gut“, sagte sie. „Ich glaube, Mama wollte heute Nachmittag sowieso zum Friseur. Ich frage, sobald ich zu Hause bin und dann rufe ich dich an. Was willst du mir denn erzählen?“

      Es klingelte zum Ende der Pause, keine Zeit mehr zum Reden. Die nächsten zwei Stunden paukten sie Mathe. Kim mochte Mathe nicht besonders gerne, konnte es aber trotzdem ganz gut. Überhaupt fiel ihr das Lernen leicht. Sie ging jetzt in die sechste Klasse und schrieb meist gute Noten, ohne sich übermäßig anstrengen zu müssen. Eine Streberin war sie trotzdem nicht. Streber schnippten beim Aufzeigen mit dem Fingern, wussten alles besser, ließen nie jemanden abschreiben und keiner konnte sie leiden. Die meisten Jungen und Mädchen aus der Klasse mochten Kim gerne. Sie war immer freundlich und lachte gerne. Aber an gemeinsamen Aktivitäten, wie Städtebummel, Gesprächen über Jungen oder dergleichen nahm sie nie teil. Ihre Freundin Hanna und der Hund genügten ihr.

      Hanna kam dann am Nachmittag tatsächlich. Sie sah sehr blass aus. Zuerst machten sie zusammen Hausaufgaben. Hanna fiel das Lernen schwerer als Kim, vor allem in der letzten Zeit, seit der Trennung der Eltern. Kim half ihr, so gut es ging. Als sie endlich Hefte und Bücher weglegten, wurde es Zeit für Jasper.

      „Jetzt muss er aber dringend raus“, sagte Kim mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.

      Morgens vor der Schule ging sie immer ein kleines Stück mit ihm. Mittags ließ Frau Hansen ihn zur Türe raus. Jasper lief dann zum nächsten Baum, hob sein Bein und kehrte wieder um. Nachmittags, wenn Kim ihn abholte, wurde er für seine Genügsamkeit belohnt. Mindestens eine Stunde liefen sie durch Wald und Wiesen, jeden Tag, bei Wind und Wetter. Die Eltern fanden das in Ordnung, wussten sie ihre Tochter doch gut beschützt.

      An diesem Tag schien die Sonne. Die beiden Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein konnten, zogen los. Hanna hatte lange gelockte dunkle Haare, trug einen roten Rock, dazu ein weißes Top. Kim, etwas kleiner als sie, sah mit den kurzen Jeans und dem blauen T-Shirt eher wie ein Junge aus.

      Hanna begleitete Kim oft bei ihren Wanderungen mit Jasper. Im Gegensatz zu Kim blieb sie aber lieber auf den Wegen. Dabei ließ es sich überall so wunderbar rumstromern. Kim ging oft querfeldein. Nie hatte sie Angst, dass sie sich verlaufen könnte, Jasper war bei ihr. Er führte sie immer sicher zurück.

      Lange gingen die Mädchen schweigend nebeneinander her, jede in Gedanken versunken. Jasper blieb in der Nähe, spürte er doch die gedrückte Stimmung. Erst im Wald begann Kim zu sprechen.

      „Papa hat eine neue Stelle“, sagte sie.

      „He, das ist doch prima“, freute sich Hanna. „Dann ist er endlich nicht mehr arbeitslos.“

      „Ja“, erwiderte Kim. „Das ist so prima, dass wir bald nicht mehr in Neustadt wohnen werden.“

      „Bitte?“ Hanna war sicher, sich verhört zu haben.

      „Er hat eine Stelle in einem Krankenhaus in der Nähe der holländischen Grenze und deshalb ziehen wir dorthin.“

      Hanna hielt Kim am Arm fest und schaute sie an. „Kim, sag, dass das ein Scherz ist.“

      „Würde ich gerne, aber es ist leider keiner.“

      „Kim, das kannst du nicht machen. Nicht du auch noch. Wenn du weggehst, habe ich hier nichts mehr außer streitenden Eltern. Bitte sag das deiner Mutter und deinem Vater. Sag, dass ich dich hier brauche.“ Die großen braunen Augen glitzerten verdächtig.

      Kim schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass ihr mich braucht! Du, Japper und Frau Hansen … und ich brauche euch auch. Und deshalb werde ich nicht gehen! Meine Eltern können dort wohnen, wenn sie wollen, aber ohne mich!“

      „Wie willst du das anstellen?“, fragte Hanna ungläubig, aber etwas beruhigt.

      „Keine Ahnung.“ Kim zuckte mit den Achseln. „Vielleicht kann ich bei Frau Hansen wohnen. Irgendetwas wird mir einfallen. Oder wir haben Glück und es passiert was, dass Papa die neue Stelle doch nicht kriegt. Es ist ja noch ein wenig Zeit.“

      „Ein wenig?“, fragte Hanna. „Wann soll es denn losgehen?“

      „Am 1. Juli fängt mein Vater an. Zuerst nimmt er nur ein Zimmer für sich. Aber sobald er eine Wohnung für uns gefunden hat, ziehen wir um. Sie hoffen, dass es noch in den Ferien klappt, damit ich das Schuljahr gleich an der neuen Schule beginnen kann.“

      „So bald schon“, flüsterte Hanna. „Du musst dir wirklich etwas einfallen lassen, Kim. Ich werde dir helfen, ganz bestimmt, wenn du nur hierbleibst. Allein mit meinen streitenden Eltern, ohne meine beste Freundin, das ist eine Horrorvorstellung.“

      Beim Abendbrot sprachen die Eltern über die bevorstehende Zeit. Es musste einiges organisiert werden. Kim hörte nicht hin. Ihre Gedanken kreisten um Hanna und Jasper.

      „Kim, hallo, ich rede mit dir!“ Sylvie Heinrich legte ihre Hand unter Kims Kinn und drehte deren Kopf zu sich. „Jemand zu Hause?“, fragte sie. „Das Ganze geht auch dich an.“

      „Ach nee“, antwortete Kim, zog ihren Kopf weg und schaute ihrer Mutter böse in die Augen. „Auf einmal! Die Entscheidung habt ihr getroffen, ohne mich zu fragen, und jetzt geht es mich etwas an? Wisst ihr was: Es interessiert mich nicht. Macht doch, was ihr wollt!“

      „Kim, jetzt reicht’s!“, mischte sich ihr Vater ärgerlich ein. „Du bist kein kleines Kind mehr. Und du bist unfair. Es gibt doch keine andere Lösung! Deine Mutter hat in der letzten Zeit nur noch gearbeitet, um uns einigermaßen über Wasser zu halten. Aber sie wird einfach nicht gut genug bezahlt, das Geld reicht vorne und hinten nicht. Unsere Ersparnisse sind fast aufgebraucht. Wir müssen dahin, wo ich Arbeit habe, damit wir ein vernünftiges Leben führen können. Es tut mir sehr leid, dass wir dich von deinem Jasper trennen müssen. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, aber ich sehe keine.“

      „Nein“, erwiderte Kim trotzig. „Ihr denkt doch auch gar nicht darüber nach. Es geht nur um eure Probleme.“

      „Es geht um unsere und deine Probleme, Kim“, sagte ihre Mutter, um einen sanften Tonfall bemüht. „Und ich möchte, dass du jetzt zuhörst. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.“

      Trotzig schob Kim die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Mensch Kim“, seufzte Sylvie Heinrich. „Es dauert nur noch zwei Wochen, bis Papa seine neue Stelle antritt. Du hast noch nicht einmal gefragt, wo er wohnen wird. Interessiert dich denn gar nichts mehr?“

      „Wo wird er wohnen?“, fragte Kim in einem gelangweilten Tonfall, der ihren Vater fast zur Explosion brachte. Beschwichtigend legte seine Frau ihre Hand auf seinen Arm.

      „Er wird vorübergehend im Wohnheim des Krankenhauses ein Zimmer beziehen“, erklärte sie. „An den Wochenenden kommt er zu uns.“

      Kim horchte auf. „Können wir das nicht immer so machen?“

      „Was?“

      „Du und ich bleiben hier und Papa kommt an den Wochenenden.“

      „Na, vielen Dank“, erwiderte ihr Vater. „Toller Vorschlag. Jeden Freitag nach Feierabend drei bis vier Stunden durch den Berufsverkehr und sonntags wieder zurück. Außerdem möchte ich nicht dauerhaft in einem kleinen Zimmer leben. Nein, kommt nicht infrage. Wir drei gehören zusammen und das nicht nur am Wochenende.“

      „Das sehe ich genauso“, bestätigte seine Frau. „Ich möchte Papa die ganze Woche haben, nicht nur am Wochenende, und dir würde er doch auch fehlen, wenn du erst mal wieder deinen Trotz abgelegt hast.“

      „Erwachsene denken nur an sich“, zischte Kim. „Ihr wollt zusammenbleiben, aber mich trennt ihr von Jasper und von Hanna. Das ist so gemein.“

      „Ja,