Sophie Reyer

Mariedl


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sie auf und ab, kauert sich auf den Flur, das lichtlose Knarren der Tür ist zu hören. Maria lauscht ein wenig und beginnt dann wieder einzunicken. Doch plötzlich schreckt sie erneut aus dem Schlaf hoch. Was ist das? Ein Donnern und Dröhnen ertönt, dass ihr ganz bang wird! Mit pochendem Herzen eilt Maria zurück in ihre Kammer, öffnet das Fenster und blickt hinaus. Da, ein Blitz! Er durchzuckt hell und drohend das Firmament. Gottes Hand greift als Leuchtader vom Himmel herab und wischt den Restschlaf aus ihrem Blick. Gott bestraft mich!, denkt Maria, und ihr wird das Herz schwer.

      Regen sprüht sich aus, nasse Rinnsale entstehen auf dem Pflaster des Hofes, das vor ihr liegt. Da muss Maria aufstehen. Und sie hastet mit raschen Beinen zu dem heiligen Ort: der Kapelle. Der Regen klebt ihr das Haar an den Schläfen fest, aber das ist egal. Maria läuft und läuft, atmet schwer, immer wieder zucken die Blitze. Töt’ mich doch, Gott!, denkt das Riesenmädchen, während es zitternd vor der Kapelle zum Knien kommt. Schlammig ist das Gras, es drückt sich in ihre bloßen Füße hinein. Unter ihr schwappt und zischelt es.

      „Verzeih mir, Maria“, flüstert sie. „Ich weiß schon, das soll man nicht tun. Und ich trag’ deinen Namen!“

      Keine Antwort tönt von der Kapelle.

      „Ab jetzt“, wispert Maria in den Regen hinein, „ab jetzt werd’ ich brav sein! Ehrlich!“

      Und mit einem Mal ist eine Stille in ihr.

      5. Große Pulte für große Mädchen

      „Also, das wird nix!“, meint die Lehrerin Rosalie Magd, eine hagere Dame mit hochgebundenem Knödel, und schiebt ihre Brille auf der Nasenspitze zurecht. Es ist der erste Schultag nach den Sommerferien.

      Maria weiß nicht, wo sie hinsehen soll. Sie ist inzwischen zehn Jahre alt, aber aussehen tut sie nicht so, das weiß sie. Maria blickt schuldbewusst auf ihre viel zu langen Glieder.

      „Ich fürchte, mein Kind“, säuselt die Lehrerin, und das Wort Kind klingt wie fremd in ihrem Mund, „wir müssen dir eine eigene Schulbank aufstellen.“

      Mit zitterndem Blick sieht Maria um sich, findet schließlich einen Anknüpfungspunkt: Rosa. Klein, selbstbewusst und gerade sitzt die Schwester da auf ihrer Bank und sieht Maria zuversichtlich an. Wie ein spitzer Pfeil wirkt Rosa.

      „Große Helden brauchen große Bänke“, platzt sie heraus, die Schwester in Schutz nehmend.

      „Dich hat keiner g’fragt, Rosa!“, entgegnet die Lehrerin.

      Maria sieht deren Gesicht an, in dem welk ein Mund liegt. Der Mund der Lehrerin ist ein vertrocknetes Blatt, denkt sie. Aber sie nickt nur und nickt. Steht sofort brav auf, der Lehrerin zu helfen. Das Heben der Schulbank stellt für sie kein Problem dar.

      Mit eingezogenen Schultern, Schildkröte spielend, hievt Maria das Holzpult, das eigentlich für große, also erwachsene Menschen wie die Lehrerin gedacht ist, in den Raum. Platziert sich möglichst weit hinten, sodass sie nicht noch mehr auffällt. Das freilich entgeht der Lehrerin nicht. Sie lüpft ein wenig ihren viel zu langen, kartoffelsackähnlichen Rock und meint mit greller Stimme: „Nicht so weit im Eck, Maria. Wir wollen schon, dass du zu uns gehörst, oder?“

      Die Riesin blickt sich zweifelnd um, schaut wieder in Rosas Gesicht, sieht ihr zuverlässiges Nicken. „Ja!“, meint sie dann flach.

      Bald schon beginnt der Unterricht, und man ist zum Glück mit anderen Dingen beschäftigt. Mit Kreide gilt es, auf die Schiefertafeln zu malen, Rechenaufgaben zu lösen, über das Vieh auf der Weide zu lernen, die Buchstaben nachzumalen, die Rosalie Magd mit ihrer krakeligen Schrift auf die Tafel kritzelt. Maria zieht die Beine ein unterm Pult, macht sich winzig und kippt vornüber in ihre Bücher. Die Buchdeckel sind ein Schutz, ähnlich wie ein Panzer oder die Rüstungen, von denen Rosa mal erzählt hat – so was haben nämlich nur die Ritter! Kaum blickt die Riesin auf in diesen Stunden.

      „Mutterl, geht’s heim?“, will später auf dem Heimweg auch noch dazu eine Frau wissen, als Rosa und Maria über die Äcker zurück zum Hof wandern.

      In Maria kriecht die Schamesröte hoch. Sie spürt, wie ihre Wangen heiß werden. Mutterl! Sie nennt sie Mutterl, denkt, dass sie eine erwachsene Frau ist!

      „Ich bin ja selber noch Schülerin!“, antwortet Maria da und bemüht sich, die tiefe raue Stimme möglichst frisch und hoch klingen zu lassen – vergebens! Wie sehnt sie sich danach, eine Stimme zu haben wie die anderen Mädchen, die mit ihren Brezelzöpfen. Piepsig sind sie, hell und klar, und wenn sie lachen, dann klingt es unschuldig und kitzelig.

      Rasch gehen Rosa und Maria weiter. Dass diese beschämende Begebenheit später eine beliebte Anekdote sein wird, weiß Maria jetzt noch nicht – und auch nicht, dass sie aus ihren vermeintlichen Schwächen bald schon Kapital schlagen wird. Denn: Alles kann verwandelt werden! Aber noch ist Maria bloß Kind, das von der Welt in einen zu großen Körper hineingeworfen wurde, die Seele winzig, krümmt sich zusammen in dem viel zu großen Raum, zieht sich zurück von allen und allem. Die Riesin Maria ist eine Schnecke. Nur die Musik tröstet und das Rauschen des Windes. So auch jetzt, als sie mit Rosa, den Lederranzen geschultert, neben dem Feldweg schlendert.

      „Ob diese Frau wohl Gast beim Sonklarhof war?“, überlegt Rosa, die merkt, dass ihre Maria ein wenig zerknirscht aussieht.

      In diesen Tagen nämlich ist der Sonklarhof, in dem immer wieder gern die Fremden einkehren, ein wichtiges Gebäude. Lang bereits steht er da, dieser Holzhof mit dem kleinen Erker und den ausladenden Hintergärten, hat der Vater einmal erzählt. Das ist lang, weiß auch Maria, denn sie kann die Jahre nicht an ihren Fingern abzählen!

      Jetzt gehört der Gasthof der Anna Klotz, die sehr eingebildet ist. Vollbusig und leuchtend kennt jeder im Dorf diese rotwangige Anna mit den sinnlichen Lippen.

      „Eingeheirat’ hat sie sich bei den Reichen!“, hat Theresia einmal abschätzig über sie gesagt. „Und sie denkt, sie weiß alles. Bloß weil der Mann Postmeister, Meisterschütze und ein fanatischer Alpinist ist!“, erinnert sich Maria an die Worte der Mutter.

      „Na, was meinst?“, reißt Rosa Maria aus ihren Gedanken.

      „Glaubst, war die ein Gast beim Sonklarhof?“

      Maria zuckt nur mit den Schultern und sieht weiter auf den Weg.

      Zum Glück kommen sie bald schon an einer Quelle vorbei. Maria hat die Quellen lieb, denn sie muss da immer an die Gottesmutter denken, die doch die Quelle des Lebens ist, wie alle sagen! So sieht sie verträumt dem Fluss des Wassers zu. Welle springt hier über Welle, überschlägt sich. Das Wasser hat seinen eigenen Rhythmus, einen Rhythmus des Friedens, der groß ist und gütig. Eine Art der Musik, die immer wieder sich selbst überspringt und die einen nach innen zieht, ganz hin zu sich selbst! Es braucht keine Worte, denkt Maria und blickt in die Sonne, die zwischen den Blätterdächern aufflammt. Ganz dünnhäutig ist ihr Zuhören. Das Wasser nichts als eine zerbrechliche Membran, die sich leicht zerdrücken ließe – und dann wieder doch nicht. So wie sie selbst irgendwie, denkt die Riesin: groß und grobschlächtig, aber innen ganz sanft, mit einem Herzen aus Glas. Sie sieht in die Wipfel, in den Himmel hinein, und der Blick wogt von Ferne zu Ferne. Das Ufer, die Lippe der Quelle, wispert geheimnisvoll.

      „Was träumst denn schon wieder?“, murrt Rosa, während sie den elterlichen Hof erreichen.

      „Ach nix“, entgegnet Maria, als sie die Küche betritt und ihren Ranzen ablegt.

      Rosa natürlich kann ihren Mund nicht halten, und schon bald weiß es ein jeder. Freilich zuerst die Mutter, dann Hansl, Bernadette, Anna und Seppl, ja sogar der Vater hat’s gehört: „Eine eigene, größere Schulbank haben s’ aufgestellt, nur für die Moidl!“, ruft Rosa aus.

      Maria schämt sich, aber die Mutter hat zum Glück anderes zu tun. „Ach ja?“, meint Theresia nur und knetet weiter ihre Knödel.

      „Ich will auch eine eigene große Bank!“, ruft Seppl, der Letztgeborene, dessen rundes Gesicht ein heller Haarkranz umgibt, laut.

      „Stimmt das wirklich?“,