die Tore und Türen ein. Ungefähr 150 bis 200 Menschen drangen in das Palais ein, durchsuchten die Zimmer, warfen Akten aus den Fenstern und durchwühlten die Betten in den Zimmern des Palais. Ein Bett wurde angezündet. Bevor das Feuer auf die übrigen Einrichtungsgegenstände des Zimmers und des Palais selbst übergriff, konnte das lichterloh brennende Bett aus dem Fenster geworfen und das Feuer gelöscht werden. Der Bischof befand sich mit dem Erzbischof Groeber von Freiburg und den Herren und Damen seiner Umgebung in der Kapelle beim Gebet. In diese Kapelle drangen ungefähr 25 bis 30 Personen ein und belästigten die dort Anwesenden. Bischof Groeber wurde für Bischof Sproll gehalten, am Rock gefaßt und hin und her gezogen. Schließlich wurden die Eindringlinge gewahr, daß Bischof Groeber nicht der ist, den sie suchen. Sie konnten dann zum Verlassen des Palais veranlaßt werden.
Ich hatte nach der Räumung des Palais durch die Demonstranten eine Unterredung mit dem Erzbischof Groeber, der noch in der Nacht Rottenburg verließ. Groeber will sich erneut an den Führer und Reichsinnenminister Dr. Frick wenden. –
Über den Verlauf der Aktion, die angerichteten Verwüstungen sowie die heute einsetzenden Huldigungen der Rottenburger Bevölkerung für den Bischof werde ich unverzüglich eingehenden Bericht erstatten, nachdem ich soeben im Begriff bin, die Gegenkundgebungen zu unterbinden. ‚Stapoleitstelle Stuttgart.‘
Falls der Führer in dieser Angelegenheit Weisungen zu geben hat, bitte ich diese schnellstens durchzugeben...“ (848-PS).
Später übermittelte Rosenberg an Bormann sein Gutachten über einen Vorschlag des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten, Kerrl, die Protestantische Kirche unter Staatsaufsicht zu stellen und Hitler zu ihrem Oberhaupt auszurufen. Rosenberg wandte sich gegen diesen Vorschlag und deutete an, daß der Nationalsozialismus die christliche Kirche nach dem Kriege völlig unterdrücken werde (siehe auch 098-PS).
Alle pazifistischen und von der Staatskirche abweichenden Sekten, wie zum Beispiel die Ernsten Bibelforscher und die Pfingstvereinigung wurden besonders hart und grausam verfolgt. Die Politik gegenüber der Evangelischen Kirche bestand darin, ihren Einfluß für die Zwecke der Nazis zu benutzen. Im September 1933 wurde Müller zum Bevollmächtigten des Führers ernannt mit der Befugnis, die „Angelegenheiten der Evangelischen Kirche“ in ihren Beziehungen zum Staate zu regeln. Schließlich wurden Schritte unternommen, einen Reichsbischof zu schaffen, der ermächtigt sein sollte, die Kirche zu beaufsichtigen. Ein langer Konflikt folgte. Pastor Niemöller wurde ins Konzentrationslager gebracht, und es gab weitere Eingriffe in die innere Ordnung und Verwaltung der Kirche.
Ein sehr heftiger Kampf richtete sich gegen die römisch-katholische Kirche. Nachdem im Juli 1933 in Rom aus politischer Zweckmäßigkeit ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet worden war, das von der Nazi-Partei jedoch niemals eingehalten worden ist, setzte eine lange und beständige Verfolgung der katholischen Kirche, ihrer Priester und ihrer Anhänger ein. Konfessionelle Schulen und Erziehungsanstalten wurden unterdrückt oder Forderungen der Nazi-Lehre unterworfen, die mit dem christlichen Glauben unvereinbar waren. Der Kirchenbesitz wurde eingezogen, und die gegen das Kircheneigentum entfachte Zerstörungswut blieb ungestraft. Religiöse Erziehung wurde verhindert und die Religionsausübung erschwert. Priester und Bischöfe wurden abgesetzt, Unruhen wurden in Szene gesetzt, um sie zu quälen, und viele wurden in Konzentrationslager gebracht.
Nach der Besetzung fremden Bodens gingen diese Verfolgungen mit größerer Kraft als zuvor weiter. Wir werden Ihnen aus den Akten des Vatikans die ernstesten Proteste vorlegen, die der Vatikan an Ribbentrop leitete, und in denen die Verfolgungen aufgezählt waren, denen die Priesterschaft und die Kirche im 20. Jahrhundert im Nazi-Regime unterworfen waren. Ribbentrop beantwortete sie niemals. Er konnte sie nicht ableugnen, er wagte sie nicht zu rechtfertigen.
Ich komme nun zu den „Verbrechen gegen die Juden“.
VORSITZENDER: Wir werden nun unsere Mittagspause einlegen.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof erklärt eine Gerichtspause von 15 Minuten von 15.30 bis 15.45 Uhr und wird dann die Sitzung bis 16.30 Uhr fortsetzen.
JUSTICE JACKSON: Ich komme jetzt zu dem Abschnitt
3. Verbrechen gegen die Juden:
Die meisten und wildesten Verbrechen, die von den Nazis geplant und begangen worden sind, richteten sich gegen die Juden, deren Zahl in Deutschland im Jahre 1933 etwa fünfhunderttausend betrug. Sie hatten, im ganzen gesehen, Stellungen erreicht, die Neid erregten, und Besitz erworben, der die Habsucht der Nazis reizte. Sie waren wenig genug, um hilflos zu sein, aber zahlreich genug, um als eine Gefahr hingestellt zu werden.
Die Anklage der Judenverfolgung darf nicht mißverstanden werden. Wir legen den Angeklagten nicht anmaßendes Verhalten oder Voreingenommenheit zur Last, wie sie häufig bei der Vermischung verschiedener Völker vorkommen und trotz ehrlicher Bemühung der Regierung leicht zu bedauerlichen Verbrechen und Erschütterungen führen. Ich will vielmehr zeigen, daß das Ziel, dem sich alle Nazis fanatisch ergaben, nämlich alle Juden zu vernichten, Plan und festes Vorhaben war. Diese Verbrechen wurden von der Parteiführerschaft organisiert und gefördert und von den Nazi-Beamten ausgeführt und gedeckt, wofür wir Ihnen überzeugenden Beweis durch schriftliche Befehle der Geheimen Staatspolizei selbst vorlegen werden.
Die Verfolgung der Juden war eine ununterbrochene und vorsätzliche Politik, die sich gegen andere Völker in gleicher Weise richtete wie gegen die Juden selbst. Der Antisemitismus wurde gefördert, um die demokratischen Völker zu spalten und zu verbittern und ihren Widerstandsgeist gegen den Angriff der Nazis zu schwächen. Robert Ley erklärte in der Zeitung: „Der Angriff“ vom 14.5.1944.
„Die zweite deutsche Geheimwaffe ist der Antisemitismus, weil er, wenn er von Deutschland konsequent durchgehalten wird, eine Weltfrage werden wird, mit der sich alle Völker werden auseinandersetzen müssen.“
Der Antisemitismus ist auch zutreffend als „Lanzenspitze des Schreckens“ bezeichnet worden. Das Ghetto war die Versuchstätte, Unterdrückungsmaßnahmen zu erproben. Jüdischer Besitz wurde als erster enteignet, aber der Brauch breitete sich aus und führte zu ähnlichen Maßnahmen gegen „staatsfeindliche“ Deutsche, gegen Polen, Tschechen, Franzosen und Belgier. Die Ausrottung der Juden ermöglichte den Nazis, mit erfahrener Hand in ähnlicher Weise gegen Polen, Serben und Griechen vorzugehen. Das schlimme Schicksal der Juden war ständige Drohung gegenüber dem Widerstandswillen oder der Unzufriedenheit unter anderen Teilen der Bevölkerung Europas – Pazifisten, Konservativen, Kommunisten, Katholiken, Protestanten, Sozialisten. Es war in Wahrheit eine Drohung gegenüber jeder abweichenden Meinung, es bedrohte das Leben aller Nichtnazis.
Die Politik der Verfolgung gegen die Juden begann ohne Gewalttaten, etwa mit der Aberkennung des Staatsbürgerrechts, der öffentlichen Schmähung ihres Glaubens und ihrer Behinderung im Wirtschaftsleben. Sie entwickelte sich schnell zu überlegter und vielfältiger Gewalttätigkeit, zu Absonderung in Ghettos, Verschleppung, Zwangsarbeit, Massenaushungerung und Vernichtung. Die Regierung, die Parteigliederungen, die vor Ihnen als verbrecherische Organisationen angeklagt sind, die Geheime Staatspolizei, die Wehrmacht, private und halböffentliche Vereinigungen und „spontane“ Ausschreitungen, die sorgfältig von amtlicher Stelle gelenkt wurden, sie alle waren an dieser Verfolgung beteiligt. Die Verfolgung richtete sich auch nicht etwa gegen einzelne Juden, die sich persönlich als Staatsbürger schlecht geführt oder mißliebig gemacht hatten. Die offen zugegebene Absicht war die Vernichtung des jüdischen Volkes überhaupt, als Selbstzweck, als Vorbereitungsmaßnahme zum Kriege und als eine Warnung für besiegte Völker.
Die Verschwörung oder der gemeinsame Plan, die Juden auszurotten, wurde so überlegt und gründlich betrieben, daß dieses Ziel der Nazis trotz der deutschen Niederlage und trotz ihrem Sturze weitgehend erreicht worden ist. Nur Reste der europäischen jüdischen Bevölkerung sind in Deutschland, in den von Deutschland besetzten Gebieten und in den Ländern seiner Vasallen oder Mithelfer übriggeblieben. Von 9,6 Millionen Juden, die in dem von den Nazis beherrschten Europa lebten, sind nach amtlichen