unter den Verschleppten. Die Geschichte berichtet von keinem Verbrechen, das sich jemals gegen so viele Opfer gerichtet hat oder mit solch einer berechnenden Grausamkeit begangen worden ist.
Gleich mir wird es auch Ihnen schwer fallen, in die Gesichter dieser Angeklagten zu blicken und zu glauben, daß Menschen in diesem zwanzigsten Jahrhundert fähig waren, ihren eigenen Landsleuten wie auch ihren sogenannten „minderwertigen“ Feinden solche Leiden, wie wir sie hier beweisen werden, zuzufügen. Die einzelnen Verbrechen und die Verantwortlichkeit der Angeklagten für sie werden von dem Anklagevertreter der Sowjetregierung behandelt werden, soweit sie im Osten, und von dem Anklagevertreter der Französischen Republik, soweit sie im Westen begangen worden sind. Ich weise auf diese Verbrechen hier nur hin, um ihre gewaltig große Zahl als Beweis dafür anzuführen, daß eine feste Absicht zugrundelag, von der alle Angeklagten wußten, und daß es sich um einen amtlichen Plan handelte und nicht etwa um eine launenhafte Politik irgendeines einzelnen Befehlshabers. Ich möchte ferner zeigen, daß die Beständigkeit der Judenverfolgung vom Beginn der Nazi-Verschwörung bis zu ihrem Zusammenbruch die Annahme verbietet, irgend jemand könnte sich in irgendeiner Weise an dem Werk der Nazis beteiligt haben, ohne nicht auch diesem auffälligsten Programmpunkt zugestimmt zu haben.
Die Anklageschrift selbst führt viele Beweise antisemitischer Verfolgungen an. Der Angeklagte Streicher war unter den Nazis der Vertreter der schärfsten judenfeindlichen Gewalttätigkeit. In einem Artikel des „Stürmers“ vom 19. März 1942 beklagte er sich, daß die christliche Lehre einer „radikalen Lösung der Judenfrage in Europa“ hindernd im Wege gestanden habe, und führte begeistert die Proklamation des Führers vom 24. Februar 1942 an als die Lösung des zwanzigsten Jahrhunderts, nämlich daß der „Jude ausgerottet werden wird“. Und am 4. November 1943 erklärte Streicher im „Stürmer“, daß die Juden „aus Europa verschwunden sind und daß das jüdische ‚Reservoir des Ostens‘, aus dem die Judenseuche seit Jahrhunderten über die europäischen Völker gekommen ist, aufgehört hat, zu bestehen“.
Streicher hat jetzt die Dreistigkeit, uns zu sagen, er sei „nur ein Zionist“, – er habe nur die Juden nach Palästina zurückschicken wollen. Aber am 7. Mai 1942 schrieb er in seiner Zeitung „Der Stürmer“:
„Die Judenfrage ist nicht nur ein europäisches Problem. Die Judenfrage ist eine Weltfrage. Ebenso wenig wie Deutschland vor den Juden sicher ist, solange auch nur ein Jude in Europa lebt, ebenso wenig ist in Europa die Judenfrage gelöst, solange Juden die übrige Welt bevölkern.“
Und der Angeklagte Hans Frank, ein Anwalt von Beruf, wie ich mit Beschämung feststellte, faßte in seinem Tagebuch im Jahre 1944 die Nazi-Politik folgendermaßen zusammen: „Die Juden sind eine Rasse, die ausgetilgt werden muß, wo immer wir nur einen erwischen, geht mit ihm zu Ende“ (Dokument 2233-PS, 4. März 1944, Seite 26). Zu einer früheren Zeit hatte er, als er von seiner Aufgabe als Generalgouverneur von Polen sprach, seinem Tagebuch dieses Zeugnis des Zartgefühls anvertraut: „Freilich, in einem Jahre konnte ich weder sämtliche Läuse noch sämtliche Juden beseitigen“ (Dokument 2233-PS, Band IV/1940, Seite 1158).
Ich könnte die Beispiele solchen Nazi-Wütens endlos fortsetzen, aber das soll der Beweisaufnahme überlassen bleiben. Wir wollen uns jetzt den Ergebnissen dieses entarteten Denkens zuwenden.
Die schwersten Maßnahmen gegen die Juden lagen außerhalb jedes Gesetzes, aber auch die Gesetzgebung selbst wurde bis zu einem gewissen Grade benutzt, zum Beispiel in den berüchtigten Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 (Reichsgesetzblatt 1935 Teil I, Seite 1146). Die Juden wurden in Ghettos abgesondert und der Zwangsarbeit unterworfen. Sie wurden aus ihrem Beruf ausgestoßen, ihr Eigentum wurde eingezogen, alles kulturelle Leben, Presse, Theater und Schulen wurden ihnen verboten. Die Verantwortung für sie wurde dem SD übertragen (212-PS, 069-PS); es war eine verhängnisvolle Vormundschaft wie die folgenden „Richtlinien für die Behandlung der Judenfrage“ zeigen:
„Die Zuständigkeit des mit der Endlösung der europäischen Judenfrage beauftragten Chefs der Sicherheitspolizei und des SD erstreckt sich auch auf die besetzten Ostgebiete...
Ein etwaiges Vorgehen der örtlichen Zivilbevölkerung gegen die Juden ist nicht zu hindern, soweit sich dies mit dem Gebot der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Rücken der kämpfenden Truppe vereinbaren läßt... Ein erstes Hauptziel der deutschen Maßnahmen muß sein, das Judentum streng von der übrigen Bevölkerung abzusondern, Voraussetzung hierfür ist zunächst die restlose Erfassung der jüdischen Bevölkerung durch Einführung der Meldepflicht und sonstige geeignete Maßnahmen...
Alsdann ist unverzüglich die Kennzeichnung mittels eines stets sichtbar zu tragenden gelben Judensternes durchzuführen und sofort die Freizügigkeit für alle Juden aufzuheben. Eine Überführung in Ghettos unter gleichzeitiger Trennung der Geschlechter ist anzustreben. Das Vorhandensein zahlreicher mehr oder weniger geschlossener jüdischer Niederlassungen in Weißruthenien und in der Ukraine erleichtert diese Aufgabe. Im übrigen sind hierfür Orte auszuwählen, die infolge vorliegender Arbeitsvorhaben die völlige Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft ermöglichen...
Mit Ausnahme dessen, was zur notdürftigen Lebensführung benötigt wird, ist das gesamte jüdische Vermögen zu erfassen, zu beschlagnahmen und endgültig einzuziehen. Soweit es die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen, ist den Juden in diesem Rahmen möglichst frühzeitig die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen durch Anordnung der kommissarischen Verwaltung und sonstige Maßnahmen zu entziehen, damit Vermögensverschiebungen nach Möglichkeit hintangehalten werden.
Eine kulturelle Betätigung wird den Juden völlig verboten werden. Hierzu gehört auch das Verbot der jüdischen Presse, der jüdischen Theater und des Schulwesens.
Das Schächten ist gleichfalls zu unterbinden.“ (212-PS.)
Der Feldzug gegen die Juden in Deutschland steigerte sich zu besonderer Heftigkeit nach der Ermordung des deutschen Legationssekretärs vom Rath in Paris. Heydrich, der Chef der Geheimen Staatspolizei, gab über den Fernschreiber an alle Dienststellen der Gestapo und des SD Anweisung „spontane“ Demonstrationen, die für die Nächte des 9. und 10. November 1938 zu erwarten seien, so zu handhaben, daß die Zerstörung jüdischen Eigentums begünstigt und nur deutscher Besitz geschützt werde. Kein zynischeres Dokument ist je ans Licht gekommen!
Es liegt ferner der Bericht des SS-Brigadeführers Dr. Stahlecker an Himmler vor, und ich zitiere:
„Ebenso wurden schon in den ersten Stunden nach dem Einmarsch, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten, einheimische antisemitische Kräfte zu Pogromen gegen die Juden veranlaßt. Befehlsgemäß war die Sicherheitspolizei entschlossen, die Judenfrage mit allen Mitteln und aller Entschiedenheit zu lösen. Es war aber nicht unerwünscht, wenn sie zumindest nicht sofort bei den doch ungewöhnlich harten Maßnahmen, die auch in deutschen Kreisen Aufsehen erregen mußten, in Erscheinung trat. Es mußte nach außen gezeigt werden, daß die einheimische Bevölkerung selbst als natürliche Reaktion gegen jahrzehntelange Unterdrückung durch die Juden und gegen den Terror durch die Kommunisten in der vorangegangenen Zeit die ersten Maßnahmen von sich aus getroffen hat...
Angesichts der Ausdehnung des Einsatzraumes und der Fülle der sicherheitspolizeilichen Aufgaben wurde von vornherein angestrebt, daß die zuverlässige Bevölkerung selbst bei der Bekämpfung der Schädlinge in ihrem Lande – also insbesondere der Juden und Kommunisten – mitwirkt. Über die Steuerung der ersten spontanen Selbstreinigungsaktionen hinaus, auf die in anderem Zusammenhang noch näher eingegangen wird, mußte Vorsorge getroffen werden, daß zuverlässige Kräfte in die Säuberungsarbeit eingespannt und zu ständigen Hilfsorganen der Sicherheitspolizei gemacht wurden...
Es war überraschenderweise zunächst nicht einfach, dort ein Judenpogrom größeren Ausmaßes in Gang zu setzen. Dem Führer der oben bereits erwähnten Partisanengruppe, Klimatis, der hierbei in erster Linie herangezogen wurde, gelang es, auf Grund der ihm von dem in Kauen eingesetzten kleinen Vorkommando gegebenen Hinweise ein Pogrom einzuleiten, ohne daß nach außen irgendein deutscher Auftrag oder eine deutsche Anregung erkennbar wurde. Im Verlaufe des ersten Pogroms in der Nacht vom 25. zum 26. 6. wurden über 1500 Juden von den litauischen Partisanen beseitigt, mehrere Synagogen angezündet