Kaya hatte sich an dieses Aliengesicht gewöhnt. Ino zeigte keine misslaunige oder wütende Regung. Eine freundliche allerdings auch nicht. Er war einfach nur nachdenklich. Das war es, was Kaya an ihm so faszinierend fand. Er schien ständig in Gedanken versunken und strahlte dabei eine königliche Ruhe aus. Kaya wusste nicht warum, aber es machte sie wahnsinnig neugierig und sie würde so gerne seinen Überlegungen folgen, und in Momenten wie diesen schmerzte sie die Distanz zwischen ihnen.
Kaya nickte dem Prinzen zu und drehte sich wieder um. Sie wollte nicht, dass er ihre Müdigkeit bemerkte. Zwischen ihren steifen Fingern drückte sie das Funkgerät gegen ihren Bauch. Sie trug es immer bei sich. Auch wenn sie irgendwie wusste, dass dieser Stoupidis jedes Gespräch mithörte, das sie mit ihren Eltern führte.
Inos Gestalt hatte sich immer noch nicht bewegt. Er beobachtete sie.
Irgendwann merkte Kaya, dass die Umgebung schwankte. Sie zwang ihre Augenlider nach oben und blinzelte. Ach, Herrje! Der Prinz trug sie in seinen Armen! Sie musste im Cockpit eingeschlafen sein. Hoffentlich war es Ino Mmah gelungen sie aufzufangen, ehe sie auf die empfindlichen Instrumente geknallt war. Wie eine Raupe kam sie sich vor. Die Decke lag um sie herum wie ein fester Kokon und nur ihr Kopf schaute heraus. Sie konnte nicht einmal die Arme bewegen. Eine Tür glitt mit leisem Zischen zur Seite. Kaya wusste, dass sie sich im hinteren Teil des Schiffes befanden. Dort lagen die Kabinen.
„Euer Hoheit.“ Das war Tedes Stimme.
Kaya machte schnell die Augen zu und stellte sich schlafend.
„Nimm sie und pass gut auf sie auf!“
„Ich glaube nicht, dass sie uns schaden kann, Äile.“
Inos tiefes Lachen erschütterte Kayas Körper.
„Das glaube ich dir gerne, wenn wir auf dem Weg nach Hause sind.“
Kaya wurde in Tedes Arme geschoben. Die beiden Ssorsa hatten die kleine Konversation in schneller, flapsiger Weise geführt. Wenn sie sich mit Kaya unterhielten, sprachen sie betont langsam und deutlich. Das war aber gar nicht nötig. Kaya wunderte sich selbst, wie gut sie die Sprache mittlerweile verstand. Das Sprechen fiel ihr mitunter noch schwer, das Zuhören ging gut. Aber deswegen hatte sie auch Ino Mmahs bissigen Kommentar mitbekommen und der tat ziemlich weh. Wofür machte sie das hier alles?
Tede legte sie behutsam auf das Bett. Kaya rollte zur Seite und wollte den Kopf unter der Decke vergraben.
„Tut mir leid“, sagte Tede plötzlich.
Kaya drehte sich erstaunt um.
„Du wusstest, dass ich wach bin?“
Tede kicherte in ihrer hohen Stimme und setzte sich auf die Bettkante.
„Wenn ich etwas über dich weiß, dann, dass du dich niemals gehen lässt.“
Kaya verzog den Mund um ihre Gefühlsregung zu verbergen. Tede schien wenigstens auf ihrer Seite zu sein.
„Kennst du die Hoheiten eigentlich schon lange?“
„Zu lange“, stöhnte die Alienfrau. „Wir sind sowas wie entfernte Verwandte. Allerdings über 1000 Ecken.“ Sie angelte sich ihre Cremedose vom Nachttisch.
Ssorsa pflegten fast wie besessen ihre Haut. Es machte für sie wohl einen großen Teil ihrer Attraktivität aus, geschmeidige Arme zu haben.
„Dann bist du also auch königlich?“
„Von der Blutlinie her verwässert bis zur Unkenntlichkeit, aber… irgendwie schon.“ Tede hielt Kaya die Dose hin. „Mutter besteht allerdings auf unsere Herkunft. Seit ich an meinen Ehemann gebunden bin, noch mehr als früher.“
„Du hast einen Mann?“
„Oh ja!“ Jetzt strahlte Tede über das ganze Gesicht. „Ich habe mich mit Asnibahare Nasganom verbunden. Er ist Sicherheitschef auf der O-Timre. Ein riesiger breiter Kerl und alle Welt nennt ihn Snib.“
„Das ist schön“, lächelte Kaya.
„Für meine Eltern ist er die größte Enttäuschung.“ Tede nahm noch mehr Creme. Sie duftete ähnlich wie Vanille und Zitrone.
„Sie mögen ihn nicht?“
„Nein. Sie hatten einen anderen für mich im Auge. Mutter hat Snib bis heute nicht in ihr Haus eingeladen.“
„Dein Mann war noch nie bei deinen Eltern zu Besuch?“
„Korrekt. Aber bei uns hat der Ausspruch, nie ins Haus einladen, elementare Bedeutung. Er drückt Verachtung und Missgunst aus.“
„Das tut mir leid, Tede.“ Das war die Wahrheit. Der Schmerz im Gesicht der jungen Pilotin war nicht zu übersehen.
„Irgendwann hoffe ich ihn dir vorstellen zu können.“ Tede tippte freundlich gegen Kayas Stirn.
„Ich wette, du machst dir Sorgen um ihn.“ Kaya zog die Beine an. Ihre Haut duftete jetzt wirklich gut.
„Ich wüsste einfach gerne, wie es ihm geht. Irgendwo da oben.“ Sie sah zur Zimmerdecke hinauf. Über dem Bett spannte sich ein ovales Fenster. Wäre das Licht aus, könnte Kaya den peitschenden Schnee sehen, der es wegen dem heftigen Wind nicht schaffte dort liegen zu bleiben.
„Schlafen wir etwas, ja?“ Tede richtete sich auf und zog ihre Kleidung aus.
Kaya wollte sich nicht daran gewöhnen nackt zu schlafen. Sie schlüpfte in ihren Jogginganzug.
Als die beiden Frauen im Dunklen nebeneinander lagen, knuffte Tede Kaya in die Seite.
„Backst du mir morgen Waffeln?“
Kaya musste grinsen.
„Ihr mögt Süßkram wirklich, was?
„Ist das ein ja?“
„Ist es! Allerdings geht mir bald das Mehl aus. Und das Eierpulver.“
„Oh weh. Dann bricht wirklich der Notstand aus.“ Tede lachte.
Kaya mochte ihren Humor. Sie mochte sie.
Erschöpft kuschelte sie sich ein und versuchte nicht an Ino Mmahs Misstrauen zu denken. In diesem Moment bemerkte sie, dass das Funkgerät fehlte. Wahrscheinlich lag es noch im Cockpit. Naja, zu dieser späten Stunde würden ihre Eltern es nicht versuchen sie zu erreichen.
Sie schrien. Und zwar alle. LIR und Gai klammerten sich sogar aneinander. Prinz Ino hatte die Waffeln fallen lassen und Leu Mmah drehte sich nach dem ersten Schock zu Kaya um.
„Was zeigst du uns da, du kleiner Mensch?“ Seine Stimme klang einige Oktaven höher als sonst.
„Ihr wolltet den sehen.“ Kaya zuckte mit den Schultern.
Jeder im Raum bereute diese Entscheidung wohl zutiefst.
„Soll ich ausmachen?“
„Nein.“ Prinz Ino hob würdevoll seine Waffeln auf und räusperte sich. „Wir haben damit angefangen, also schauen wir bis zum Ende.“
Sowad seufzte. Tede beugte sich zu Kaya.
„Geht es gut aus?“
„Naja….“ Kaya dehnte ihre Worte in die Länge. Konnte man den Ausgang von ‚Alien‘ als Happy End bezeichnen?
Ssorsa kannten Filme nicht. Bei ihnen gab es Theaterinszenierungen im großen Stil und es wurden Gedichtwerke und ganze Epen stimmgewaltig vorgetragen. Trotz ihrer technischen Überlegenheit machten sie sich jetzt wegen eines fiktiven absurden Blockbusters in die Hose. Kaya nahm eine Bewegung an der Treppe wahr. Kammerdiener Cem Semo winkte ihr. Scheinbar wusste er, dass Kaya nicht unbedingt scharf darauf war den Film zu sehen. Trotzdem deutete sie auf die mit angstgeweiteten Augen erstarrte Gruppe, weil bestimmt von ihr erwartet wurde hierzubleiben und gefälligst mitzuleiden.
„Schon gut“, beschwichtigte sie Cem. „Seine Hoheit ist für alle anderen tapfer genug.“
„Schnauze,