Melisande Arven

Kuchen für die Aliens


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Das hieß, dass Äile Ino Mmah nach ssorsischer Ansicht noch nicht sehr alt sein konnte.

      „Das bedeutet bestimmt einen enormen Druck.“

      „Du hast ja keine Ahnung.“ Ino lehnte den Kopf gegen die Wand, ohne sie aus den Augen zu lassen.

      Kaya knautschte ihre Jacke zusammen.

      „Das wird mir ständig gesagt. Dass ich keine Ahnung habe. Obwohl ich so viel kann und so schnell lerne, heißt es immer wieder: Das verstehst du nicht.“ Kaya runzelte die Stirn, weil ihr Tränen in die Augen purzeln wollten. „Wisst Ihr, ich bin Autistin. Eine Inselbewohnerin. Wir ticken anders als andere Menschen. Manchmal komme ich mir vor wie ein Alien unter meinem eigenen Volk.“

      „Was bedeutet das, Autistin und auf einer Insel wohnen?“

      Kaya hielt ein kurzes strukturiertes Referat. Ino Mmah hörte aufmerksam zu und nippte vornehm an seinem Tee. Am Schluss liefen Kaya tatsächlich diese blöden Tränen über die Wangen.

      „Ich finde aber, dass du recht viele und völlig normale Emotionen zeigen kannst“, meinte Ino Mmah und legte den Kopf schief.

      „Das liegt an diesem Schiff“, schniefte Kaya. „Hier gibt es eine bestimmte Strahlung, die sich auf mein Gehirn oder so auswirkt. Solche Versuche mit Bestrahlung hat es schon an Menschen vor mir gegeben. Da sie aber nicht legal sind und keine Erfolge brachten, sind sie strengstens verboten.“ Kaya wischte sich die Wangen trocken. „Mich stören diese ganzen Gefühle eigentlich nur. Sie machen mich uneffektiv und müde.“

      „Was bist du? Eine Maschine?“ Ino Mmah musste lachen. Er beugte sich nach vorne und tippte Kaya gegen das Knie. „Gefühle sind wichtig. Für dich selbst. Und für Freundschaften.“

      „Ich habe keine Freunde. Und meiner Familie gehe ich oft auf die Nerven. Als ich noch in meiner stumpfen Blase existierte, habe ich es einfach nur nicht so mitgekriegt.“

      Ino Mmahs Augen funkelten auf.

      „Du hast keine Freunde?“

      „Nein. Armselig, oder?“

      „Irgendwie schon“, meinte der Prinz wenig hilfreich. Aber er lächelte.

      Kayas Herz machte einen Satz. Wieso fühlte sie sich so davon angetan, wenn er ihr Aufmerksamkeit schenkte? Gerade wollte sie die Jacke anziehen, als ein greller Blitz die Luft durchschnitt und ein heftiger Schlag die Erde erbeben ließ.

      Kaya kreischte auf und riss die Arme über den Kopf. Sie hörte, dass Ino Mmah einen ssorsischen Fluch ausstieß und die Worte: „Zu früh!“

      Bevor Kaya ergründen konnte, was das bedeutete, wummerte ein zweiter Knall durch das Tal und dann zerfetzte Gewehrfeuer Kayas Schreckensstarre. Sie sprang auf. Ein Schatten schob sich über die große Mulde, in der Bugschiff I lag und ihr war sofort klar, dass ssorsische Verstärkung eingetroffen war. Ohne darüber nachzudenken, rannte sie durch den Magnetvorhang. Sofort luden sich ihre Haare auf und knisterten wie Knallfrösche.

      Ein zweites Bugschiff dröhnte über der Lichtung, jagte den Schnee wie in einem Tornado umher und feuerte direkt zwischen das bereits lädierte Tannentrio auf der Anhöhe. Dahinter lag die kleine Einheit von Damian Stoupidis‘ Sonderkommando.

      „Aufhören!“ schrie Kaya trotz der Aussichtslosigkeit und wollte die Rampe hinunter springen.

      „Nein, tu das nicht!“ Prinz Ino war ihr gefolgt und packte sie unsanft am Nacken.

      Kaya wollte ihm panisch die Fäuste entgegenschleudern, als sich plötzlich die Farbe seiner Augen veränderte. Sie wechselte von tiefblau in dunkles Purpur und der Goldschimmer nahm an Intensität zu als wäre sein Blick veredelt worden. Ino Mmahs Finger fühlten sich an Kayas ausgekühlter Haut warm an. Es war das erste Mal, dass er sie direkt berührte.

      Kaya gab nichts darauf. Diesmal holte sie aus und stieß seinen riesigen Körper von sich weg. Im Laufen schlüpfte sie in ihre Jacke. Schnellfeuerwaffen knatterten los, ein Heulen wie das einer Sirene gellte in ihren Ohren. Kaya erklomm die Anhöhe. Dahinter stieg Rauch auf. Das Bugschiff hatte nicht angehalten. Es entschwand im Schneesturm und war bald nicht mehr zu sehen. Es hatte gnadenlose Zerstörung angerichtet. Kaya schlitterte den Abhang hinab, gerade in dem Moment, als jemand die letzte unbeschädigte kanonenähnliche Waffe in Stellung brachte. Ein Schuss in Richtung Bugschiff I wurde abgefeuert und holte Kaya von den Füßen. Eine Ladung Schnee begrub sie unter sich und sie vergaß wo oben und unten war.

      „Fräulein Michaels!“

      Sie hörte die Stimme. Der Boden bebte erneut.

      „Fräulein Michaels, stehen Sie auf!“

      Kaya stemmte sich mit aller Kraft hoch. Sie biss die Zähne zusammen und befahl ihrer Rationalität die Oberhand zu gewinnen. Verdammt, wo war ihre weltfremde Abgebrühtheit, wenn sie sie brauchte?

      „Strecken Sie die Hand aus! Ich helfe Ihnen.“ Selbst in dieser Lage brüllte Herr Lichtenauer im breitesten Dialekt.

      Kaya wedelte halb blind mit dem Arm und im nächsten Moment wurde sie von starken Armen gepackt. Lichtenauer hatte sie auf einen Hoover gezogen, der eine tollkühne Wendung machte, dass der Schnee davonstob, und brauste röhrend davon. Kaya schaffte es irgendwie sich die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Sie wagte es nicht zurück zu schauen. Wilde Gedanken wirbelten in ihr herum. Hatte es Tote gegeben? Wohin flog das zweite Bugschiff? Was war mit den Ssorsa in der Talmulde? Mein Gott, war Tede gerade mit dem Schiff explodiert? Und hatte Prinz Ino sie und all ihre Bemühungen verraten? Was hatte dieser durchdringende Blick von ihm zu bedeuten, als seine Iris wie dunkle Amethyste begonnen hatte zu leuchten?

      Damian Stoupidis rannte zum Haus der Familie Michaels. Er hatte eigentlich gar nichts von dem verstanden, was Leutnant Weiß durch den Funk geschrien hatte, aber die Hintergrundgeräusche ließen gewisse Rückschlüsse zu. Stoupidis stolperte durch die Tür.

      „Hey da! In den Keller! In den Keller, sofort!“

      Die hübsche Brünette mit der runden Brille sah ihn nur verständnislos an. Stoupidis packte ihren Arm und riss sie vom Sofa hoch.

      „Wo sind Ihre Eltern?“

      „Ich… ich weiß nicht.“

      „Was geht hier vor?“ Herr und Frau Michaels rannten von irgendwoher herein.

      „Keller! Jetzt! So schnell Sie können.“ Stoupidis ließ Rebekka Michaels nicht los und eilte zur Treppe.

      „Warum um alles in der Welt?“ kreischte die Mutter.

      „Meine Nackenhaare haben sich aufgestellt. Jedes einzelne davon“, brüllte Stoupidis ungeduldig. „Tun Sie, was ich sage! Wenn es stimmt, was ich vermute, haben die grünen Lurche uns gerade den Krieg erklärt.“

      „WAS? Wo ist Kaya?“

      „Gehen Sie runter! Ich kümmere mich darum.“

      „Verdammt, Stoupidis!“ brauste Herr Michaels auf.

      „Schützen Sie ihre Familie hier, indem Sie mit guten Beispiel vorangehen, Mann!“ würgte Stoupidis ihn ab, warf die Tür zu und rannte ins Wohnzimmer zurück.

      Dann hörte er das Dröhnen aus der Luft. Die Scheiben des Hauses vibrierten. Stoupidis hastete durch die Küche zum Hinterausgang.

      „Bernbauer! Feuern Sie aus allen Rohren, sobald Objekt in Sicht!“ wetterte er durch sein Funkgerät und ärgerte sich, dass seine Einheit dank dieser Mistkerle gezwungen war, Technologie aus dem letzten Jahrhundert zu benutzen. Scheiß-Satellitenfressende-Alienclowns!

      „Roger“, becherte die Stimme des Soldaten zurück.

      Stoupidis schaffte es ins Freie und konnte jetzt den großen Schatten sehen, der aus dem Nichts aufzutauchen schien. Die umliegenden Bäume wurden durch die Wucht der Druckwelle fast bis zum Boden gepresst. Die Fensterscheiben des Hauses zerbarsten. Blaues Licht bündelte sich im Rumpf des Raumgleiters.

      „Schei….!“ Stoupidis machte einen Satz und hechtete in den