in die Augen.
»Es tut mir außerordentlich leid, Sie durch meine Unbedachtsamkeit verletzt zu haben«, entschuldigte sich die Nähterin.
»Sie trauern vermutlich um einen nahen Verwandten?«
»Um meinen Vater«, antwortete Kate weinend.
»Um wen, Miss Simmonds?« fragte Miss Knag laut.
»Um ihren Vater«, flüsterte die Nähterin.
»So, um ihren Vater«, wiederholte Miss Knag rücksichtslos. »Wahrscheinlich lange krank gelegen, Miss Nickleby?«
»Unser Unglück kam sehr unverhofft«, schluchzte Kate, sich abwendend, »sonst wäre ich vielleicht jetzt imstande, es leichter zu tragen.«
Das Arbeiterinnenpersonal war, wie immer in solchen Fällen, nicht wenig neugierig gewesen, das Wer, Was, Warum und Wieso von Kate zu erfahren; aber obgleich das Äußere und die Empfindlichkeit des jungen Mädchens diesen Wunsch nur vermehren konnte, so schwiegen doch alle, um ihr nicht wehe zu tun, weshalb denn auch Miss Knag weitere Versuche, Details zu erfahren, vorderhand unterließ und, wenn auch ungern, ihre Gehilfinnen an die Arbeit gehen hieß.
Die Mädchen nähten in stummer Emsigkeit bis halb zwei Uhr fort, um welche Zeit eine gebratene Schöpsenkeule mit Kartoffeln aufgetragen wurde. Als die Mahlzeit vorüber war, ging es wieder an die Arbeit, die schweigend fortgesetzt wurde, bis der Lärm von Wagen, die durch die Straßen rasselten, und laute Doppelschläge an der Türe das Zeichen gaben, daß das Tagewerk der beglückteren Glieder der menschlichen Gesellschaft seinen Anfang nahm. Bald darauf hielt die Equipage einer vornehmen Dame, oder besser gesagt: einer reichen, vor der Haustüre. Kate wurde beauftragt, zusammen mit Miss Knag, natürlich unter dem Vortritt Madame Mantalinis, die Dame mit ihrer Tochter zu empfangen und die bestellten Kleider behufs Anprobe zu bringen.
Kates Rolle bei dieser Feierlichkeit war bescheiden genug, da sich ihre Obliegenheiten darauf beschränkten, die Kleider zu halten, bis Miss Knag sie anprobierte, hin und wieder eine Schleife zu knüpfen oder eine Stecknadel zu befestigen. Zufälligerweise waren gerade die reiche Dame und ihre Tochter an diesem Tage schlechter Laune, und das ging an der armen Kate Nickleby aus. Einmal war sie tölpisch, dann hatte sie kalte, schmutzige oder rauhe Hände, kurz, sie konnte nichts recht machen. Die Damen wunderten sich, wie Madame Mantalini solche Leute nur um sich dulden könne; wenn sie das nächste Mal herkämen, wünschten sie ein anderes junges Mädchen zu sehen, usw.
Kate vergoß bittere Tränen, als sie fort waren, und fühlte zum erstenmal so recht das Demütigende ihrer Stellung. Der Mut war ihr allerdings bei der Aussicht auf Dienenmüssen und saure Arbeit sehr gesunken, aber sie hatte nichts Herabwürdigendes in dem Gedanken, um ihren Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, gefühlt, bis sie sich jetzt auf einmal hilflos rohestem Hochmut ausgesetzt sah. Ein bißchen Philosophie würde sie zwar gelehrt haben, daß das Erniedrigende in einem solchen Falle lediglich auf Seite derer liegt, die so ohne jede Ursache ihrer Laune die Zügel schießen lassen, aber sie war zu jung, um darin einen Trost zu finden, und sie fühlte sich tief gekränkt.
Unter solchen und ähnlichen Auftritten und Beschäftigungen rückte die Feierabendstunde heran, und Kate enteilte, ermattet und entmutigt von den Vorgängen des Tages, dem engen Raume des Arbeitszimmers, um mit ihrer Mutter, die an der Straßenecke auf sie wartete, nach Hause zu gehen. Ein schmerzlicher Abendgang, denn sie mußte ihre wahren Empfindungen verbergen und sich stellen, als teile sie alle die sanguinischen Träume ihrer Mutter.
»Mein liebes Kätchen«, plauderte Mrs. Nickleby redselig drauflos, »ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, wie herrlich es wäre, wenn Madame Mantalini dich mit in Kompanie nähme. Und wie leicht wäre das möglich! Die Schwägerin eines Vetters deines armen Vaters, eine Miss Browndock, ging in Kompanie mit einer Dame, die ein Erziehungsinstitut in Hammersmith hatte, und machte in ganz kurzer Zeit ihr Glück. Ich weiß nicht mehr genau, ob diese Miss Browndock dieselbe war, die zehntausend Pfund in der Lotterie gewann, aber ich glaube beinahe nein. Halt, ich kann mich jetzt wieder ganz genau entsinnen, daß sie es doch war – Mantalini & Nickleby, wie gut das klingen würde! Und wenn Nikolas nur ein wenig Glück hat, so kann er noch als Doktor Nickleby Rektor der Westminsterschule, mit dir in derselben Straße wohnen.«
»Der liebe, gute Nikolas«, rief Kate und nahm den Brief ihres Bruders, den dieser zuletzt aus Dotheboys Hall geschrieben hatte, aus ihrem Strickbeutel. »Wie glücklich können wir nicht trotz all unserem Mißgeschick sein, Mama, wo wir hören, daß es ihm so gut geht, und aus seinem Brief entnehmen, daß er heiter und glücklich ist. Ach, wie tröstet mich das für alles!«
Arme Kate, sie ahnte nicht, auf wie schwachen Füßen dieser Trost stand und wie bald sie enttäuscht werden sollte.
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