Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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      »Auf was soll ich nicht eingehen?« fragte Nikolas und blickte auf. »Zeigen Sie mir in dieser weiten Wüstenei von London nur ein Mittel, durch das ich mir die wöchentliche Miete dieses armseligen Zimmers verdienen könnte. Nur ehrlich muß es sein.«

      »Ich getraue mich kaum, Ihnen mitzuteilen, was es ist«, stotterte Newman.

      »Rücken Sie um Gottes willen schon damit heraus, lieber Freund!« drängte Nikolas. »Bedenken Sie doch meine jämmerliche Lage und lassen Sie mich wenigstens Ihre Meinung wissen. Ich will Ihnen ja gerne versprechen, keinen Schritt zu tun, ohne mich mit Ihnen beraten zu haben.«

      Newman stotterte noch eine Menge der unverständlichsten und verwirrtesten Sätze hervor, dann aber kam heraus, daß Mrs. Kenwigs ihn lang und breit über den Ursprung seiner Bekanntschaft mit Nikolas und über dessen Leben, Schicksale und Familie ausgefragt hätte. Er sei zwar diesen Fragen so lange wie möglich ausgewichen, habe aber endlich doch damit herausrücken müssen, Nikolas sei ein ganz vorzüglicher Lehrer, heiße Johnson und sei gegenwärtig leider in mißlichen Verhältnissen, deren Natur er wohl nicht weiter auseinanderzusetzen brauche. Mrs. Kenwigs hätte hierauf aus Dankbarkeit, Ehrgeiz oder mütterlichem Stolz, oder aus allen dreien mit ihrem Gatten geheime Rücksprache gepflogen und wäre endlich mit der Frage zurückgekehrt, ob nicht Mr. Johnson die vier kleinen Kenwigs in der französischen Sprache, genau wie sie von den eingeborenen Franzosen gesprochen würde, gegen ein wöchentliches Honorar von fünf Schillingen unterrichten möchte.

      »So, jetzt hätte ich Ihnen die Sache vorgetragen«, schloß Newman.

      »Der Antrag ist zwar, wie ich wohl weiß, unter Ihrer Würde, aber ich dachte, er könnte vielleicht –«

      »Vielleicht?« rief Nikolas mit großer Lebhaftigkeit. »Nein, nein, er kommt mir außerordentlich gelegen. Sie können, mein lieber Freund, der würdigen Dame ohne Verzug erklären, daß ich bereit bin anzufangen, sobald es ihr paßt.«

      Newman eilte vergnügt hinunter und kehrte bald darauf mit der Nachricht zurück, sie werde sich glücklich schätzen, Mr. Johnson, sobald es ihm angenehm sei, in der Beletage zu empfangen. Sie habe bereits um eine alte französische Grammatik und französische Konversationshefte geschickt, wie sie auf den Bücherkarren das Stück zu sechs Pence ausgerufen würden, und die erste Unterrichtsstunde könne sodann unverzüglich begonnen werden.

      »Wie befinden Sie sich, Mr. Johnson?« fragte Mrs. Kenwigs, als gleich darauf Nikolas seine Aufwartung machte. – »Gestatten Sie: – Mein Onkel – Mr. Johnson.«

      »Wie geht es Ihnen, Sir?« fragte Mr. Lillyvick in etwas barschem Tone, denn er hatte in der vorigen Nacht Nikolas' Stand nicht gekannt, und allzu große Höflichkeit gegenüber einem Hauslehrer hätte sich für einen Steuereinnehmer nicht geschickt.

      »Wir haben Mr. Johnson als Instruktor für die Kinder gewonnen, Onkel«, erklärte Mrs. Kenwigs.

      »Ich habe das eben von dir vernommen, meine Liebe«, brummte Mr. Lillyvick.

      »Aber ich hoffe«, fuhr Mrs. Kenwigs, sich in die Brust werfend, fort, »daß sie dadurch nicht stolz werden, sondern ihrem Schicksal danken, das ihnen schon durch ihre Geburt eine bessere Stellung anweist als den Kindern gemeiner Leute. Hörst du, Morlina!«

      »Ja, Mama«, entgegnete Miss Kenwigs.

      »Und wenn ihr auf die Straße oder sonst wohin kommt, so verlange ich, daß ihr nicht gegenüber andern Kindern damit großtut«, ermahnte Mrs. Kenwigs. »Wenn ihr schon darüber sprechen wollt, so dürft ihr nur sagen, wir haben einen Privatlehrer genommen, der uns zu Hause Unterricht erteilt, aber wir überheben uns deshalb nicht, denn Mama sagt, das wäre eine Sünde. Hörst du, Morlina?«

      »Ja, Mama.«

      »Also dann vergiß es nicht und tu, wie ich dir sage. – Soll Mr. Johnson jetzt anfangen, Onkel?«

      »Ich bin bereit zuzuhören, wenn Mr. Johnson anzufangen bereit ist, meine Liebe«, erklärte der Steuereinnehmer mit Kennermiene. »Für was für eine Art von Sprache halten Sie das Französische, Sir?«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Nikolas.

      »Halten Sie es für eine gute Sprache, für eine schöne Sprache, für eine vernünftige Sprache?«

      »Für eine schöne Sprache gewiß«, versetzte Nikolas, »und da es für alles eine Bezeichnung hat und auch eine gewandte und ausdrucksvolle Konversation zuläßt, so möchte ich sie auch eine verständige nennen.«

      »Hm«, meinte Mr. Lillyvick kopfschüttelnd. »Halten Sie es auch für eine heitere Sprache?«

      »Ganz gewiß.«

      »Dann muß es sich seit meiner Zeit sehr geändert haben. Hm. Ja. Recht sehr«, sagte der Steuereinnehmer.

      »War es denn zu Ihrer Zeit eine traurige?« fragte Nikolas, mühsam ein Lächeln unterdrückend.

      »Allerdings«, entgegnete Mr. Lillyvick mit einiger Heftigkeit. »Ich spreche von der Zeit des letzten Krieges. Es mag meinetwegen eine heitere Sprache sein, denn ich möchte niemand gern widersprechen, das aber kann ich behaupten: ich hörte die französischen Gefangenen, die doch als Eingeborene sich darauf verstehen müssen, in einer so traurigen Weise miteinander sprechen, daß mir schon vom Zuhören ganz elend wurde. Ja, ja, das ist mir wenigstens fünfzigmal passiert.«

      Mr. Lillyvick hatte sich in seiner Ereiferung in einen solchen Unwillen hineingeredet, daß es Mrs. Kenwigs für zweckmäßig erachtete, Nikolas heimlich einen Wink zu geben, um Gottes willen nichts darauf zu erwidern. Auch bedurfte es so manchen Schmeichelwortes von seiten Miss Petowkers, bis der vortreffliche alte Herr wieder ruhiger wurde und sich herabließ, das Schweigen durch die Frage zu unterbrechen:

      »Wie heißt ›das Wasser‹ auf französisch?«

      »L'eau«, antwortete Nikolas. »Da haben wir's«, meinte Mr. Lillyvick den Kopf schüttelnd. »Lo was? Nein, ich halte nichts – nicht das mindeste von dieser Sprache.«

      »Wollen wir die Kinder nicht anfangen lassen, Onkel?« drängte Mrs. Kenwigs.

      »Meinetwegen können sie ruhig anfangen, meine Liebe«, gestattete der Steuereinnehmer unzufrieden. »Ich habe nicht die Absicht, ihnen etwas in den Weg zu legen.«

      Auf diese gütige Erlaubnis setzten sich die vier kleinen Kenwigs in eine Reihe, alle mit den Zöpfen auf einer Seite, und Morlina obenan, während Nikolas das Buch zur Hand nahm und mit den einleitenden Erklärungen begann. Miss Petowker und Mrs. Kenwigs sahen in bewunderndem Schweigen zu. Nur hie und da flüsterte die glückliche Mutter, Morlina werde in kürzester Zeit alles begriffen haben, und Mr. Lillyvick betrachtete die Gruppe mit finsteren Blicken, einer Gelegenheit harrend, die ihm zu neuen Erörterungen über diese traurige Sprache Anlaß geben könnte.

      Mit schwerem Herzen und bösen Ahnungen stand Kate einige Minuten vor der festgesetzten Zeit im Hause Madame Mantalinis in einem Zimmer, das durch eine Flügeltüre von dem Salon getrennt war, und wartete, bis man sie holen kommen werde. Das Gemach enthielt nicht viel Sehenswertes, außer höchstens ein in Öl gemaltes Brustbild, das Mr. Mantalini darstellte, wie er sich ungezwungen am Kopfe kratzte – wahrscheinlich, damit der Brillantring am Zeigefinger voll zur Geltung komme. Im anstoßenden Zimmer hörte man jetzt Stimmen, und da die Unterhaltung ziemlich laut und die Wand sehr dünn war, erkannte Kate ohne Mühe, daß sie Mr. und Mrs. Mantalini angehörten.

      »Wenn du so odiös und abscheulich eifersüchtig sein willst, Schätzchen, so wirst du dich selber sehr elend, schrecklich elend, verteufelt elend machen.«

      Sodann ließ sich ein Ton vernehmen, als ob Mr. Mantalini Kaffee schlürfe.

      »Ach, ich bin schon elend«, ächzte Madame Mantalini, augenscheinlich sehr übel gelaunt.

      »Dann bist du eine undankbare, abscheuliche, verteufelte kleine Zauberin«, entgegnete Mantalini.

      »Das bin ich nicht!« schluchzte Madame.