daß sie ruhig hätte auf einem straffen Seile gehen können.
Der Tanz war überwältigend, besonders, da die Arme dabei mehr in Aktion traten als die Beine, weshalb auch mit frenetischem Beifall nicht gekargt wurde.
»Wenn ich so glücklich wäre, ein – ein Kind zu haben«, meinte Miss Petowker errötend, »das soviel Talent wie das Ihrige zeigte, würde ich es augenblicklich bei der Oper unterbringen.«
Mrs. Kenwigs seufzte und warf einen Blick auf ihren Gatten, der verstohlen den Kopf schüttelte und meinte, man müsse da doch seine Bedenken haben.
»Kenwigs fürchtet –«, erklärte Mrs. Kenwigs.
»Was?« fragte Miss Petowker. »Doch nicht, daß sie durchfallen könnte?«
»Das nicht«, versetzte Mrs. Kenwigs stockend, »aber wenn sie weiter so heranwächst – Denken Sie nur an die vielen jungen Herzöge und Grafen in den Garderoben!«
»Ganz richtig«, bemerkte der Steuereinnehmer.
»Oh«, versicherte Miss Petowker, »wenn sie sich ihres inneren Wertes bewußt ist –«
»Es liegt allerdings viel Wahres in dieser Bemerkung«, gab Mrs. Kenwigs, wieder mit einem Blick nach ihrem Gatten zu.
»Jedenfalls kann ich sagen – freilich ist es nicht die allgemeine Regel –«, stotterte Miss Petowker, »mir sind nie Belästigungen dieser Art passiert.«
Sofort erklärte Mr. Kenwigs galant, daß das natürlich den Ausschlag gebe, weshalb er auch die Sache in ernstere Erwägung zu ziehen gedenke.
Nachdem dieser Punkt abgemacht war, wurde Miss Petowker nochmals in geziemender Form ersucht, »Das Begräbnis des Vampirs« zum besten zu geben. Die junge Dame löste sich zu diesem Zweck die Haare auf und postierte sich in der Zimmerecke, indem sie zugleich ihren unverheirateten Verehrer in die Nähe stellte, damit er bei dem Stichwort: »der letzte Hauch entweicht« herbeieilen und sie in seinen Armen auffangen könne, wenn sie im Wahnsinn stürbe. Die Deklamation wickelte sich sodann ausdrucksvoll und in derartigem dramatischen Feuer ab, daß die kleinen Kenwigs darüber fast die Freisen bekamen.
Immer noch raste der dieser Kunstleistung folgende Beifall, und Newman, der sich seit langer Zeit schon zu so vorgerückter Stunde nicht annähernd so nüchtern befunden, hatte noch immer nicht dazu kommen können, sein Wörtchen, daß der Punsch fertig sei, anzubringen, als sich plötzlich ein hastiges Pochen an der Zimmertüre vernehmen ließ. Mrs. Kenwigs, die sofort ahnte, ihr Kleinstes sei aus dem Bett gefallen, stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
»Wer ist da?« fragte Mr. Kenwigs unmutig.
»Lassen Sie sich nicht stören, nur ich bin's«, sagte Crowl und sah in seiner Nachtmütze zur Türe herein, »das Kleine ist vollkommen wohl. Ich habe beim Heruntergehen einen Blick in das Zimmer geworfen. Es ist fest eingeschlafen und das Mädchen desgleichen, auch glaube ich nicht, daß das Licht die Bettvorhänge so leicht in Brand stecken kann, wenn nicht gerade ein Luftzug in das Zimmer kommt. – Man wünscht Mr. Noggs zu sprechen.«
»Mich?« rief Newman höchlichst verwundert.
»Es ist allerdings eine recht ungeschickt gewählte Stunde, nicht wahr?« versetzte Crowl, der bei der Aussicht, jetzt den warmen Ofen zu verlieren, nicht in der besten Stimmung war. »Und auch die Leute sehen wunderlich genug aus. Sie sind über und über durchnäßt und mit Kot bespritzt. Soll ich sie vielleicht wegschicken?«
»Nein«, rief Newman aufstehend, »Leute? Wie viele sind es denn?«
»Zwei.«
»Wünschen mich zu sprechen? Haben sie wirklich meinen Namen genannt?«
»Ja, Mr. Newman Noggs; so deutlich, wie man sich's nur wünschen kann.«
Newman überlegte ein paar Augenblicke und eilte dann mit der Versicherung hinaus, daß er sogleich zurückkommen werde. Er hielt auch Wort, denn nach ein paar Minuten stürzte er wieder ins Zimmer, nahm ohne ein Wort der Entschuldigung oder Erklärung eine angezündete Kerze und ein Glas heißen Punsch vom Tisch und schoß wie ein Verrückter wieder zur Türe hinaus.
»Was, zum Henker, geht da vor?« rief Crowl und riß die Türe auf.
»Horchen Sie, was ist das für Lärm oben?«
Die Gäste standen in großer Verwirrung auf, sahen einander bestürzt und verlegen an, streckten die Hälse und lauschten aufmerksam.
15. Kapitel: Was die Veranlassung der im vorigen Kapitel beschriebenen Unterbrechung war
In größter Hast klomm Newman Noggs die Stiegen empor, das dampfende Punschglas in der Hand, das er so unzeremoniell von Mr. Kenwigs' Tisch genommen und dem Herrn Wassersteuereinnehmer sozusagen vor der Nase weggeschnappt hatte. Er trug seine Beute geradenwegs in sein Dachstübchen und fand dort mit wunden Füßen und beinahe schuhlos, naß, kotbespritzt und abgemattet Nikolas Nickleby und Smike nebeneinander sitzen.
Newmans erstes war, Nikolas mit sanfter Gewalt zu nötigen, die Hälfte des fast kochenden Punsches auf einmal hinunterzuschlucken, und sein zweites, den Rest in Smikes Kehle zu gießen, der, mit andern Stimulantien als Schwefelsirup unbekannt, durch die seltsamsten Gebärden seine Überraschung und Freude darüber an den Tag legte, daß der Trank so wärmend und behaglich hinunterglitt.
»Sie sind ja durch und durch naß!« sagte Newman und befühlte den Rock, den Nikolas abgelegt, »und ich – ich – kann Ihnen keinen anderen anbieten«, fügte er mit einem trübseligen Blick auf die abgeschabten Kleider, die er selbst trug, hinzu.
»Ich habe trockene Sachen in meinem Felleisen«, beruhigte ihn Nikolas. »Wenn Sie aber eine so betrübte Miene zu meinem Besuch machen, so werden Sie den Schmerz, den ich bereits fühle, für eine Nacht bei Ihren spärlichen Mitteln bei Ihnen Beistand und Obdach suchen zu müssen, nur noch erhöhen.«
Newmans betrübte Mienen heiterten sich jedoch nicht eher auf, als bis ihn Nikolas bei der Hand faßte und ihm versicherte, welch großer Trost ihm sein Brief in den trüben Tagen in Yorkshire gewesen.
Nikolas hatte mit seinem ursprünglichen Geldvorrat so gut hausgehalten, daß ihm sogar noch etwas davon übriggeblieben war, und so stand bald ein Nachtessen aus Brot, Käse und einem Stück kalten Rindfleischs aus einer benachbarten Garküche bestehend, auf dem Tisch. Dann zog Mr. Noggs seinen einzigen Rock aus und ruhte nicht eher, als bis sich Smike darein gehüllt hatte.
»Nun, vor allem, was machen meine Mutter und Schwester?« fragte Nikolas, nachdem er sich, ebenso wie Smike, gelabt und an das Feuer gesetzt hatte.
»Wohl«, antwortete Newman mit seiner gewohnten Kürze. »Beide wohl.«
»Wohnen sie noch in der City?«
»Ja.«
»Und meine Schwester? Ist sie noch immer in dem Geschäft, von dem sie mir schrieb, sie glaube, daß es ihr dort gut gefallen würde?«
Newman riß die Augen noch etwas weiter auf als gewöhnlich und antwortete nur durch eine Art Japsen, das ebensogut als »Ja« wie als »Nein« gedeutet werden konnte. Im gegenwärtigen Fall bestand die begleitende Geste in einem Nicken, und Nikolas nahm die Antwort daher für eine günstige.
»Bitte, antworten Sie mir jetzt ohne Umschweife«, begann Nikolas wieder nach einer Pause und legte Newman die Hand auf die Schulter. »Was hat mein Onkel aus Yorkshire gehört?«
Newman öffnete und schloß den Mund mehrere Male, brachte jedoch keine Silbe hervor.
»Was hat er gehört?« drängte Nikolas erregt. »Sie sehen, daß ich vorbereitet bin, auch das Schlimmste zu hören, was Bosheit aushecken kann.«
»Morgen früh«, stotterte Newman, »morgen früh sollen Sie alles erfahren.«
»Aber warum erst morgen, warum nicht gleich jetzt?« drängte Nikolas.
»Sie werden besser schlafen.«
»Nein, ich werde nur um so schlechter schlafen«,