Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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und hämische Bemerkungen über einen gewissen hungrigen armen Schlucker, in die die armseligste aller Kreaturen, das Dienstmädchen, mit schallendem Gelächter einstimmte, hinwarfen. Bis aufs Innerste verletzt zog er sich zurück, legte sich nieder und nahm sich fest vor, mit Mr. Squeers wesentlich bälder abzurechnen, als er vorgehabt.

      Er war am nächsten Morgen kaum erwacht, als man einen Wagen vorfahren hörte. Schon der frohlockende Ton, mit dem Mrs. Squeers ein Glas Branntwein verlangte, verriet, daß ihr Plan gelungen sein mußte. Nikolas getraute sich anfangs kaum, zum Fenster hinauszublicken, aber endlich tat er es doch, und das erste, was er erblickte, war der unglückliche Smike – so durchnäßt, mit Kot bespritzt, elend und verwildert, daß man seine Identität hätte bezweifeln können, wenn nicht seine Kleider, die eine Vogelscheuche verschmäht haben würde, jeden Zweifel beseitigt hätten.

      »Heraus mit ihm!« schrie Squeers, nachdem er sich eine Weile an dem Anblick Smikes geweidet. »Bringt ihn herein, bringt ihn herein!«

      »Vorgesehen«, warnte Mrs. Squeers. »Wir haben ihm die Beine zusammengebunden, damit er uns nicht wieder entkommt.«

      Mit vor Entzücken zitternden Händen löste Squeers die Knoten, und Smike, mehr tot als lebendig, wurde, nachdem man ihn ins Haus getragen, vorläufig in ein Kellerloch gesperrt. Die Nachricht, daß der Ausreißer wieder aufgegriffen und im Triumphzuge zurückgebracht worden sei, verbreitete sich natürlich wie ein Lauffeuer, und die Schule harrte beklommen den ganzen Morgen der Dinge, die da kommen sollten. Jedoch erst am Nachmittag erschien Squeers, gekräftigt durch ein besonders opulentes Mittagessen, in Begleitung seiner liebenswürdigen Ehehälfte und mit höchst bedeutsamer Miene und mit schrecklichen Marterinstrumenten, die wahrscheinlich diesen Morgen erst und speziell für den vorliegenden Fall gekauft worden, ausgerüstet.

      »Sind alle Knaben hier?« brüllte er.

      Es waren alle versammelt, aber keiner hatte den Mut zu antworten. Langsam ließ Squeers seinen Blick die Reihen entlanggleiten, und wo er hinfiel, senkten sich die Augen oder duckten sich die Köpfe.

      »Jeder bleibt an seinem Platze! Nickleby, an Ihr Pult!«

      Mehr als einem der kleinen Zuschauer war aufgefallen, daß auf dem Gesichte des Hilfslehrers ein seltsamer und ungewöhnlicher Ausdruck lag, obgleich er jetzt ohne Widerrede gehorsam seinen Sitz einnahm. Squeers warf einen Blick des Triumphes auf seinen Untergebenen, sah mit der Miene unbeschränktesten Despotismus wieder auf die Knaben und verließ dann das Zimmer, um gleich darauf mit Smike zurückzukehren, den er am Rockkragen oder vielmehr an seinem Jackenüberrest hereinzerrte.

      An jedem andern Orte würde die Erscheinung des abgehetzten, elenden und gänzlich verzweifelten Delinquenten ein Gemurmel des Mitleids und der Einsprache veranlaßt haben. Hier übte sie nur die Wirkung aus, daß die Zuschauer unruhig auf ihren Sitzen hin und her rutschten. Einige der Kühnsten unter den Zöglingen wagten es sogar, einander verstohlene Blicke des Mitleids zuzuwerfen.

      »Hast du etwas zu deiner Entschuldigung vorzubringen? – Natürlich nichts; – oder?« begann Squeers mit teuflischem Grinsen.

      Smike blickte verstört umher, und sein Auge ruhte eine Sekunde lang auf Nikolas, als erwarte er von ihm eine Fürsprache, aber dieser sah unverwandt vor sich hin.

      »Hast du noch etwas zu sagen?« fragte Squeers wiederum und schwang dabei seinen rechten Arm zwei- oder dreimal durch die Luft, als wolle er ihn möglichst gelenkig machen. »Tritt ein wenig zur Seite, meine Liebe. Ich werde ziemlich viel Platz brauchen.«

      »Ach, haben Sie Barmherzigkeit mit mir, Sir«, flehte Smike.

      »So, ist das alles?« höhnte Squeers. »Sei unbesorgt, ich werde schon Barmherzigkeit mit dir haben und dich peitschen, bis dir das Herz stillsteht und ich den Arm nicht mehr rühren kann.«

      »Ha, ha, ha«, frohlockte Mrs. Squeers, »sehr gut, sehr gut!«

      »Ich hab's nicht mehr ausgehalten«, jammerte Smike mit schwacher Stimme und warf abermals einen flehenden Blick um sich.

      »So. Du hast es nicht mehr ausgehalten?« knirschte Squeers.

      »Es ist also nicht deine Schuld, sondern vermutlich die meinige?«

      »Du niederträchtiger, undankbarer, schweinsköpfiger, viehischer, störrischer, kriecherischer Hund«, keifte Mrs. Squeers, nahm Smikes Kopf unter den Arm und versetzte ihm bei jedem Beiwort einen Rippenstoß. »Was willst du damit sagen?«

      »Tritt ein wenig zur Seite, meine Liebe«, mahnte Squeers, »wir wollen sehen, ob wir's herauskriegen.«

      Die Dame, durch ihre Anstrengung bereits atemlos geworden, gehorchte stillschweigend, und Mr. Squeers packte den Delinquenten. Ein furchtbarer Hieb fiel auf den Ärmsten nieder, der sich sofort unter dem Streich zusammenkrümmte und vor Schmerz winselte. Wieder holte Squeers aus, aber ehe er zuschlagen konnte, sprang Nikolas Nickleby plötzlich auf und rief mit einer Stimme, daß der Saal dröhnte, Halt.

      »Wer hat da ›Halt‹ gerufen«, keuchte Squeers und stierte mit blutunterlaufenen Augen wild um sich.

      »Ich«, sagte Nikolas und trat vor. »Das geht so nicht weiter.«

      »Geht so nicht weiter?« kreischte Squeers außer sich.

      »Nein!« donnerte Nikolas.

      Sprachlos ob dieser Verwegenheit ließ der Schulmeister Smike los, wich ein paar Schritte zurück und starrte Nikolas mit wutverzerrter Miene an.

      »Ich sage, das geht so nicht weiter«, wiederholte Nikolas, ohne sich einschüchtern zu lassen. »Ich dulde es einfach nicht.«

      Die Augen quollen Squeers fast aus den Höhlen, und ein paar Sekunden schnappte er buchstäblich nach Luft.

      »Sie haben meine ruhige Fürsprache für den Jungen nicht beachtet«, sagte Nikolas, »und auch meinen Brief keiner Antwort gewürdigt, in dem ich Sie für ihn um Nachsicht bat und Ihnen meine Bürgschaft anbot, daß er von jetzt an ruhig hier bleiben würde. Sie können mir daher dieses öffentliche Einschreiten nicht zum Vorwurf machen und haben es nur sich selbst zuzuschreiben.«

      »Scher dich an deinen Platz, du Bettler!« raste Squeers, außer sich vor Wut, und packte Smike von neuem.

      »Sie Schurke!« rief Nikolas drohend. »Wenn Sie ihn anrühren, geschieht es auf Ihre eigene Gefahr. Nehmen Sie sich in acht! Mir kocht das Blut, und ich werde, wenn es darauf ankommt, noch mit zehn solchen Kerlen wie Sie fertig. Hüten Sie sich! Bei Gott, ich stehe für nichts, wenn Sie mich aufs Äußerste treiben.«

      »Zurück!« schrie Squeers und holte mit seinem Stock aus.

      »Ich habe eine lange Reihe von Beleidigungen zu rächen«, erwiderte Nikolas zornrot, »und meine Erbitterung ist aufs höchste gesteigert durch den beständigen Anblick feiger Grausamkeiten, die man in dieser scheußlichen Höhle an hilflosen Kindern verübt. Sehen Sie sich vor! Wecken Sie den Teufel nicht in mir, oder ich weiß nicht, was geschieht!«

      Mit einem schrecklichen Wutausbruch und einem Schrei, ähnlich dem Aufheulen eines wilden Tieres, sprang Squeers vor, spie Nikolas an und versetzte ihm mit dem Stock einen Hieb quer über das Gesicht, daß sofort eine rote Wulst hervorquoll. Eine Sekunde lang war Mr. Nickleby wie betäubt, dann drängten sich alle Gefühle von Wut, Haß und Verachtung in seinem Herzen zusammen; mit einem Satz war er bei dem Schurken, packte ihn an der Kehle, entriß ihm den Stock und zerbleute ihn, bis er blutüberströmt um Gnade winselte.

      Die Zöglinge, mit Ausnahme des jungen Squeers, der seinem Vater zu Hilfe eilte und den Feind von hinten angriff, rührten weder Hand noch Fuß. Mrs. Squeers ihrerseits hängte sich unter gellendem Hilfegeschrei an den Rockschoß ihres Gatten und bemühte sich vergeblich, ihn den Händen seines wütenden Gegners zu entreißen, während Miss Fanny, die in Erwartung einer ganz andern Szene durch das Schlüsselloch gespäht hatte und gerade im Augenblick der beginnenden Schlacht hereingestürzt kam, um mit Tintenfässern nach dem Kopf des Hilfslehrers zu werfen, nach Kräften auf Nikolas loshämmerte.

      Dieser achtete in der Hitze des Gefechtes natürlich kaum darauf – nahm, als ihm der Arm endlich erlahmte,