Geschöpf von einem Dienstmädchen gesagt hatte, nichts als faustdicke Lügen und Schmeicheleien war. Aber schon die Gelegenheit, ein bißchen Bosheit gegen ihre Freundin loslassen und ihren Mängeln und Schwächen gegenüber Mitleid heucheln zu können, und wäre es auch nur in Gegenwart eines armseligen Dienstmädchens, gewährte ihr eine fast ebenso große Erleichterung, als wenn alles, was zur Sprache gekommen, Evangelium gewesen wäre. Die Macht der Selbstbelügung geht überdies in den Stunden der Aufregung so weit, daß Miss Squeers in edelmütigem Verzicht auf John Browdies Hand sich außerordentlich großmütig und erhaben dünkte und im Geiste auf ihre Nebenbuhlerin mit einer Art göttlich-erhabenen Ruhe herabsehen konnte, die nicht wenig zur Besänftigung ihres Unmutes beitrug.
Als daher, ebenfalls in versöhnlichen Absichten, am andern Morgen die Müllerstochter gemeldet wurde, begab sich Miss Squeers im höchsten Grade christlich gestimmt in das Besuchszimmer.
»Du siehst, Fanny«, begann Tilda, »ich komme wieder zu dir, trotzdem wir uns gestern ein wenig gezankt haben.«
»Ich bedaure dich wegen deiner Leidenschaftlichkeit, Tilda«, erwiderte Miss Squeers, »aber ich bin darüber erhaben, dir etwas nachzutragen –«
»Also, dann maule jetzt nicht weiter, Fanny!« sagte Miss Price.
»Ich bin hergekommen, um dir eine Mitteilung zu machen, über die du dich, wie ich hoffe, sehr freuen wirst.«
»Was könnte das sein, Tilda?« fragte Miss Squeers, warf die Lippen auf und machte ein Gesicht, als ob nichts in Feuer, Wasser, Luft und Erde imstande wäre, in ihr auch nur eine Spur des angedeuteten Gefühls zu erzeugen.
»Als wir gestern fortgingen, hatte ich mit John einen schrecklichen Streit.«
»Das kann mir doch keine Freude machen!« entgegnete Miss Squeers, konnte jedoch dabei ein wohlgefälliges Lächeln nicht unterdrücken.
»Lieber Gott, wie könnte ich auch so schlecht von dir denken? Das ist doch noch nicht alles.«
»So?« sagte Miss Squeers und legte ihr Gesicht wieder in düstere Falten. – »Also, was weiter?«
»Nachdem wir uns lange herumgezankt und erklärt hatten, uns nie wieder sehen zu wollen«, fuhr Miss Price fort, »vertrugen wir uns wieder, und John ging heute aufs Pfarramt, um für den nächsten Sonntag das erste Aufgebot zu bestellen. Wir feiern daher in drei Wochen unsere Hochzeit, und ich teile es dir mit, damit du rechtzeitig dein Brautjungfernkleid bestellen kannst.«
Das war Galle und Honig in einem Becher für Fanny Squeers. Galle insofern, als ihre Freundin schon so bald verheiratet sein würde, und Honig, weil daraus hervorging, daß sie keine ernsthaften Absichten auf Nikolas hatte. Im Ganzen wurde jedoch das Bittere durch das Süße so weit überwogen, daß Miss Squeers sich bereit erklärte, sich das Brautjungfernkleid unverzüglich machen zu lassen, und zugleich der Hoffnung Ausdruck gab, Tilda möge glücklich werden. Freilich könne man so etwas nie mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, und sie möchte ihr auch raten, nicht allzusehr darauf zu bauen, denn die Männer wären sämtlich höchst unbeständige Geschöpfe, und viele verheiratete Frauen wünschten sich in der Ehe von ganzem Herzen die schöne Zeit ihrer Mädchenjahre zurück. Diesen bittersüßen Trostsprüchen fügte Miss Squeers noch einige andere hinzu, die nicht minder edel erdacht waren, ihrer Freundin Lebensmut zu erhöhen.
»Um auf etwas anderes zu kommen«, brach denn auch Miss Price sogleich das Thema ab, »möchte ich gern ein paar Worte betreffs des jungen Nickleby mit dir sprechen.«
»Er ist mir vollkommen Luft«, erklärte Miss Squeers und kämpfte mühsam gegen einen Weinkrampf an, »ich verachte ihn zu sehr.«
»Das kann unmöglich dein Ernst sein. Sei aufrichtig, Fanny, du liebst ihn noch immer?«
Als Erwiderung brach Miss Squeers in einen Strom von Wuttränen aus und rief, daß sie ein elendes, vernachlässigtes, unglückliches, mit Füßen getretenes Wesen sei.
»Ich hasse die ganze Welt«, schloß sie ihren Gefühlserguß. »Ich wollte, alle Menschen wären tot.«
»Gott im Himmel, Fanny!« rief Miss Price, nicht wenig entsetzt über dieses freimütige Geständnis menschenfreundlicher Gesinnung. »Sag, daß das nicht dein Ernst ist.«
»Es ist mein voller Ernst«, beteuerte Miss Squeers, knirschte mit den Zähnen und knüpfte Knoten um Knoten in ihr Taschentuch, »und ich wollte, daß ich auch tot wäre.«
»Du wirst in fünf Minuten ganz anders denken«, tröstete die Müllerstochter. »Wäre es nicht viel besser, du würdest ihn wieder in Gnaden aufnehmen, als dich in dieser Weise selbst zu quälen? Und wäre es nicht viel hübscher, du verlobtest dich in aller Form und scharmiertest nach Herzenslust mit ihm?«
»Ich weiß nicht, wie das alles sein würde«, schluchzte Miss Squeers. »Ach Tilda, wie hast du nur so ehrlos und niederträchtig sein können? Ich würde es nie geglaubt haben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.«
»O je, o je«, gluckste Miss Price, »man sollte ja rein glauben, ich hätte zum mindesten einen Mord begangen.«
»Es war fast ebenso schlecht«, versetzte Miss Squeers leidenschaftlich.
»Und alles das, bloß weil ich zufällig hübsch genug aussehe, um die Leute höflich gegen mich zu stimmen?« spöttelte Miss Price. »Ich will dir was sagen, Fanny. Niemand gibt sich sein Gesicht selber, und es ist ebensowenig meine Schuld, wenn das meinige hübsch ist, als es die Schuld anderer Leute ist, wenn man das ihnen nicht nachsagen kann.«
»Halt's Maul!« schrie Miss Squeers in ihren schrillsten Tönen.
»Oder du hast dir's selbst zuzuschreiben, wenn ich dir eine herunterhau', Tilda – was mir hinterdrein doch wieder leid tun würde.«
Durch diese Wortwendung bekam der Ton der Unterhaltung fast einen beinahe persönlichen Anstrich; die Heftigkeit der jungen Damen steigerte sich zusehends und artete schließlich derart aus, daß beide Teile in Tränen ausbrachen und gleichzeitig ausriefen, sie hätten es nie und nimmer gedacht, je eine solche Behandlung erfahren zu müssen. Das führte naturgemäß zu Erörterungen und Gegenvorstellungen, und der Schluß war, daß sie sich in die Arme fielen und einander aufs neue ewige Freundschaft schwuren. Nebenbei bemerkt, war diese ergreifende Zeremonie nicht die erste, sondern bereits die zweiundfünfzigste in diesem Jahr.
Als das gute Einvernehmen wieder völlig hergestellt war, kamen die jungen Damen auf die Anzahl und Beschaffenheit der Kleider zu sprechen, die Miss Price für ihren Eintritt in den heiligen Stand der Ehe notwendigerweise haben müsse, und Miss Squeers wies unwiderleglich nach, daß in dieser Hinsicht bedeutend mehr getan werden müsse, als der Müller aufwenden konnte oder wollte, wenn man nicht jede Standesrücksicht außer acht zu lassen beabsichtigte. Die junge Dame leitete dann das Gespräch durch eine geschickte Wendung auf ihre eigene Garderobe und führte, nachdem sie deren Hauptfinessen eingehend beleuchtet, ihre Freundin in ihr Zimmer hinauf, damit sie sich persönlich überzeugen könne. Hier wurden die Schätze von zwei Kommoden und einem Wandschrank ausgekramt und so lange hin und her probiert, bis es für Miss Price allmählich Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Da sie über die gesehene Pracht ganz entzückt und von einer rosa Schärpe förmlich hingerissen war, erklärte sich Miss Squeers, versöhnlich gestimmt, bereit, sie noch eine Strecke begleiten zu wollen, um noch länger das Vergnügen ihrer Gesellschaft zu genießen. Sie verließen daher beide Arm in Arm das Haus, und während des Spazierganges erging sich Miss Squeers des längeren über die hohen Eigenschaften ihres Vaters, wobei sie zugleich, um ihrer Freundin einen schwachen Begriff von dem hohen Rang ihrer Familie zu geben, sein Einkommen mit zehn multiplizierte.
Es war gerade um die Zeit zwischen Mittagessen und dem Beginne des Unterrichtes, und Nikolas benützte die freie Stunde wie gewöhnlich zu einem Spaziergang. Niedergedrückt schlenderte er durch das Dorf. Miss Squeers wußte dies sonst recht gut, mußte es aber diesmal vergessen haben, denn als sie den jungen Mann auf sich zukommen sah, war sie aufs äußerste überrascht und bestürzt und flüsterte ihrer Freundin zu, ihr sei, als müsse sie in die Erde sinken.
»Sollen wir umkehren oder geschwind in ein Bauernhaus