Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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glücklich sein werden, hängt von dem Schicksal meines lieben Bruders ab. Hilft mir mein Onkel aber soweit, und schreibt Nikolas nur, daß er gesund und fröhlich ist, so bin ich vollkommen zufrieden.«

      Sie hatte kaum den Satz beendet, als ein Geräusch hinter der spanischen Wand entstand, die zwischen ihr und der Türe aufgestellt war. – Ein Klopfen an das Getäfel ertönte, und gleich darauf trat Mr. Ralph Nickleby ins Zimmer.

      »Ihr Diener, meine Damen«, sagte er, Miss La Creevy und Kate abwechselnd scharf ins Auge fassend. »Sie haben so laut gesprochen, daß ich nicht imstande war, mich bemerklich zu machen.«

      Wenn Ralph einen außergewöhnlich boshaften Gedanken im Herzen trug, so war es seine Gewohnheit, seine Augen einen Moment fast ganz unter den dicken, buschigen Brauen zu verbergen, um dann plötzlich ihre volle stechende Schärfe zu entfalten. Da er überdies jetzt auch noch ein bissiges Lächeln zu unterdrücken suchte, das seine dünnen, zusammengekniffenen Lippen in boshaften Falten umzog, so fühlten die beiden Damen, daß er zumindest einen Teil des Gesprächs, wenn nicht das ganze, mit angehört hatte.

      »Ich war eben im Begriff, die Stiege hinaufzugehen, wollte aber zuerst hier unten vorsprechen, da ich halb und halb vermutete, dich hier anzutreffen«, sagte er zu Kate und warf dabei einen verächtlichen Blick auf das Porträt. »Soll dies ein Bild meiner Nichte sein, Madam?«

      »Gewiß, Mr. Nickleby«, entgegnete Miss La Creevy lebhaft. »Und unter uns: es wird ein sehr feines Porträt werden, obgleich es die Künstlerin selbst sagt.«

      »Nehmen Sie sich nicht die Mühe, es mir zu zeigen, Madam«, lehnte Ralph ab und trat einen Schritt zurück; »ich habe keinen Sinn für Ähnlichkeiten. Ist es halb fertig?«

      »Allerdings. Noch zwei Sitzungen –«

      »Machen Sie's lieber gleich in einer ab, Madam«, unterbrach Ralph, »Kate wird übermorgen keine Zeit mehr haben für dergleichen Abgeschmacktheiten. – Arbeiten, arbeiten, Madam! Wir müssen alle arbeiten. – Haben Sie übrigens Ihre Zimmer schon wieder vermietet?«

      »Ich habe es noch nicht in die Zeitung einrücken lassen, Sir.«

      »So tun Sie es schnell, Madam; meine Schwägerin braucht sie nächste Woche nicht mehr. Keinesfalls werden sie bezahlt werden. – Nun, meine Liebe, wenn du bereit bist, so brauchen wir keine Zeit zu verlieren.«

      Mit einer erkünstelten Freundlichkeit, die ihm noch schlechter stand als sein gewohntes barsches Benehmen, winkte er dem jungen Mädchen vorauszugehen, machte Miss La Creevy eine Verbeugung, schloß die Türe und folgte Kate die Treppe hinauf, wo ihn Mrs. Nickleby mit vielen Hochachtungsbezeugungen empfing. Kurz und mit einer ungeduldigen Handbewegung hemmte er ihren Redefluß.

      »Ich habe eine Stelle für Ihre Tochter gefunden«, ging er ohne Umschweife in medias res ein.

      »Herrlich, herrlich«, jubelte Mrs. Nickleby. »Aber ich habe auch nichts anderes von Ihnen erwartet. Erst gestern morgen sagte ich beim Frühstück zu Kate: Verlaß dich drauf, dein Onkel hat so gut für Nikolas gesorgt, er wird nicht ruhen, bis ihm nicht hinsichtlich deiner ein gleiches gelungen ist. Ja, genau das waren meine Worte. Liebe Kate, ja warum bedankst du dich denn nicht bei deinem –«

      »Bitte, lassen Sie mich fortfahren, Madam«, unterbrach Ralph schroff den Redestrom seiner Schwägerin.

      »Liebes Kind, laß deinen Onkel fortfahren!« ermahnte Mrs. Nickleby.

      »Aber ich bin doch ganz Ohr, Mama«, erwiderte Kate.

      »Gut, Kind, gut. Aber wenn du so ganz Ohr bist, so laß deinen Onkel doch ausreden«, eiferte Mrs. Nickleby. »Du weißt, die Zeit deines Onkels ist kostbar, mein Kind, und wie sehr es auch dein Wunsch sein mag, das Vergnügen, ihn bei uns zu sehen, zu verlängern, so dürfen wir doch nicht so selbstsüchtig sein und müssen in Erwägung ziehen, was für hochwichtige Geschäfte er in der City hat.« »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Madam«, sagte Ralph mit einem mühsam unterdrückten Hohnlächeln. »Der Umstand, daß man in Ihrer Familie nicht an Geschäfte gewöhnt ist, führt, wie ich sehe, zu einer großen Verschwendung von Worten, so daß man, wenn einmal wirklich von einem Geschäft die Rede ist, gar nicht dazu kommen kann.«

      »Ich fürchte, das ist nur zu wahr«; seufzte Mrs. Nickleby. »Ihr seliger Bruder –«

      »Mein seliger Bruder«, fiel Ralph bissig ein, »hatte keine Ahnung von einem Geschäft. Ich glaube, er kannte nicht einmal die Bedeutung des Wortes.«

      »Ich fürchte, Sie haben auch darin recht«, seufzte Mrs. Nickleby abermals und drückte ihr Schnupftuch an die Augen. »Hätte er mich nicht gehabt, ich wüßte nicht, was aus ihm geworden wäre.«

      - - Der plumpe Köder, den Ralph bei der ersten Begegnung hingeworfen hatte, wirkte noch immer. Bei jeder kleinen Entbehrung und Unbequemlichkeit, die Mrs. Nickleby an ihre jetzt beschränkteren Lebensverhältnisse erinnerte, knüpfte sich für sie ein ihr die Laune vergällender Gedanke an ihre verlorenen tausend Pfund Mitgift. Und doch war sie nicht selbstsüchtiger als manche andere und hatte ihren Mann viele Jahre lang innig geliebt. So reizbar wird der Mensch durch plötzliche Verarmung. –

      »Das Jammern hilft hier gar nichts, Madam«, sagte Ralph; »von allen nutzlosen Dingen ist das allernutzloseste, einem entschwundenen Tag eine Träne nachzuweinen.«

      »Ja, ja, so ist es«, schluchzte Mrs. Nickleby, »so ist es.«

      »Da Sie schon die Folgen des In-den-Tag-Hineinlebens an Ihrer eigenen Börse und Person so schwer empfinden, Madam«, fuhr Ralph fort, »so hoffe ich, Sie werden Ihren Kindern die Notwendigkeit einer rastlosen Tätigkeit um so mehr ans Herz legen?«

      »Natürlich. Natürlich«, beteuerte Mrs. Nickleby. »Habe ich doch so traurige Erfahrungen gemacht. – Liebes Kind, führe das in deinem nächsten Brief an Nikolas so genau wie möglich aus, oder erinnere mich daran, wenn ich ihm schreibe.« Ralph schwieg eine Weile und fuhr dann, als er sah, daß er die Mutter soweit auf seiner Seite hatte, falls die Tochter gegen seinen Vorschlag etwas einzuwenden haben sollte, fort:

      »Die Stelle – kurz und gut –, die ich für Kate ausgesucht habe, ist bei einer Putzmacherin.«

      »Bei einer Putzmacherin!?!« rief Mrs. Nickleby.

      »Bei einer Putzmacherin, Madam«, wiederholte Ralph. »Ich brauche einer Frau, die soviel Lebenserfahrung hat wie Sie, nicht erst zu sagen, daß Putzmacherinnen in London ein schönes Geld verdienen, sich Equipagen halten und es zu großem Reichtum bringen.«

      Das Wort Putzmacherin hatte in Mrs. Nickleby zunächst Erinnerungen an gewisse geflochtene, mit Wachstaffet ausgelegte Weidenkörbe erweckt, die sie zuweilen in den Straßen hatte hin- und hertragen sehen, aber als Ralph fortfuhr, verschwand dieser Eindruck rasch und machte desto glänzenderen Bildern von großen Häusern im Westend, feinen Equipagen und Leibrenten Platz. Sie nickte daher freudig und gab, augenscheinlich sehr zufrieden, ihre Zustimmung zu erkennen.

      »Was dein Onkel gesagt hat, ist vollkommen richtig, Kate«, erklärte sie ihrer Tochter. »Als ich kaum verheiratet war und mit deinem armen Vater nach London kam, erinnere ich mich noch recht gut, daß mir eine junge Dame einen Basthut mit weiß und grünem Besatz und grünem Seidenfutter in ihrem eigenen Wagen, der in vollem Galopp vorfuhr, ins Haus brachte. Ich weiß zwar nicht ganz bestimmt, ob es ihr eigener Wagen oder eine Droschke war, aber ich erinnere mich noch recht gut, daß das Pferd beim Umwenden tot niederfiel und daß dein armer Vater noch meinte, es hätte vierzehn Tage keinen Hafer zu fressen bekommen.«

      So grell diese Reminiszenz die glänzende Lage der Londoner Putzmacherinnen beleuchtete, so schien sie doch keinen besonderen Anklang zu finden, denn Kate ließ den Kopf sinken, und Ralph legte unverkennbare Zeichen äußerster Ungeduld an den Tag.

      »Die in Rede stehende Dame«, fiel er hastig ein, »heißt Mantalini. Madame Mantalini. Ich kenne sie. Sie wohnt unweit Cavendish Square. Wenn Ihre Tochter also geneigt ist, sich um die Stelle zu bewerben, so kann ich sie gleich hinführen.«

      »Und du, hast du deinem Onkel nichts zu sagen, mein Kind?« fragte Mrs. Nickleby.

      »Sogar