Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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sage.«

      Damit eilte sie, um die hervorbrechenden Tränen zu verbergen, mit der Entschuldigung hinaus, sie wolle sich zum Ausgehen ankleiden, während ihre Mutter Mr. Nickleby unter großer Gemütsbewegung mit der umständlichen Beschreibung eines Klaviers aus Rosenholz und einer Garnitur Sesseln mit gedrechselten Beinen und grünen Sitzpolstern unterhielt, die sie in den Tagen ihrer Wohlhabenheit besessen, wobei sie hervorhob, daß von letzteren jedes Stück zwei Pfund fünfzehn Schillinge gekostet habe und nichtsdestoweniger bei der Versteigerung fast um nichts weggegangen sei.

      Diese Reminiszenzen wurden endlich durch Kates Rückkehr abgeschnitten, und Ralph, der während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit ärgerlich dagesessen hatte, verlor nun keinen Augenblick mehr und verließ mit ihr ohne viel Zeremonie das Haus.

      »So, jetzt lauf, so schnell du kannst«, sagte er und reichte ihr den Arm, »du wirst dir damit den Schritt angewöhnen, den du von jetzt an jeden Morgen nötig haben wirst.«

      Mit diesen Worten eilte er mit Kate nach Cavendish Square.

      »Ich bin Ihnen für Ihre Güte wirklich sehr verbunden«, begann das junge Mädchen, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher gegangen waren.

      »Freut mich«, brummte Ralph, »ich hoffe, du wirst deine Pflicht gewissenhaft erfüllen.«

      »Ich will mir alle Mühe geben, Onkel«, versicherte Kate, »wirklich, ich –«

      »Fang nur nicht gleich wieder zu weinen an. Ich kann das ewige Geplärre nicht ausstehen.«

      »Ich weiß, es ist töricht, lieber Onkel«, stotterte die arme Kate. »Ja, das ist es«, fiel ihr Ralph ins Wort, »und sehr affektiert obendrein. Verschone mich mit derartigen Komödien.«

      Das war bestimmt nicht die rechte Art und Weise, die Tränen eines jungen und empfindsamen Mädchens zu trocknen, das im Begriff stand, eine ihm ganz neue Laufbahn unter kaltherzigen und teilnahmslosen Fremden zu betreten, aber der Zweck wurde dessenungeachtet erreicht. Kates Gesicht wurde blutrot, und ihre Brust arbeitete einige Minuten heftig. Dann aber schritt sie mit festerem und entschlossenerem Schritt weiter.

      Es lag ein seltsamer Kontrast in dem Benehmen der beiden. Das furchtsame Landmädchen schlüpfte schüchtern durch das Gedränge und hielt sich fest an ihren Führer, fürchtend, ihn in den Volksmassen zu verlieren, während der ernste, eherne Geschäftsmann mürrisch seines Weges schritt, sich mit den Ellenbogen Bahn brach und hie und da den Gruß eines Vorübergehenden verdrossen erwiderte, der sich sichtlich überrascht nach seiner schönen Begleiterin umsah und sich über das so schlecht zusammenpassende Paar wunderte. Der Gegensatz wäre noch weit auffallender gewesen, hätte man in den Herzen, die so nahe beieinander schlugen, lesen und die reine Unschuld des einen mit der bodenlosen Niedertracht des andern vergleichen können.

      »Onkel«, fing Kate, als sie sich dem Ort ihrer Bestimmung nahe glaubte, furchtsam wieder an. »Ich möchte eine Frage an Sie richten. Werde ich zu Hause wohnen?«

      »Zu Hause?« versetzte Ralph. »Wo ist das?«

      «Ich meine – bei meiner Mutter.«

      »Dein eigentlicher Aufenthalt wird in Madame Mantalinis Hause sein, denn du wirst bei ihr essen und von Morgen bis Abend, hie und da vielleicht auch bis früh, dort bleiben.«

      »Aber ich meine des Nachts?« sagte Kate. »Ich kann die Mutter doch nicht verlassen, Onkel! Ich muß ein Plätzchen haben, das ich Heimat nennen kann, und das ist da, wo sie ist – wie armselig es auch immer sein mag.«

      »Sein mag?« wiederholte Ralph ungeduldig und beschleunigte seine Schritte noch mehr. »Sein muß, willst du wohl sagen. Von einem mögen zu sprechen! Ist das Mädchen toll?« »Das Wort entschlüpfte mir nur so, ohne daß ich den Sinn hineinlegen wollte, den Sie darin finden«, entschuldigte sich Kate.

      »Na, das will ich hoffen«, brummte Ralph.

      »Aber meine Frage, Onkel! – Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«

      »Nun, ich habe etwas der Art kommen sehen«, versetzte Ralph, »und habe deshalb, obgleich es ganz und gar nicht nach meinem Sinne ist, entsprechend Vorkehrungen getroffen und Madame Mantalini gesagt, du wünschest als Arbeiterin ›außer Haus‹ unterzukommen. Du kannst daher abends zu deiner Mutter gehen.«

      Das war wenigstens ein kleiner Trost. Kate erging sich in tausend Dankesbeteuerungen, die Ralph gnädig entgegennahm.

      Bald darauf langten sie vor dem Hause der Putzmacherin an. Ein livrierter Diener öffnete die Türe und führte sie eine breite Treppe hinauf in einen reich möblierten Saal voll Modekleidern und Stoffen in größter Auswahl.

      Sie mußten länger warten, als es Mr. Nickleby zu passen schien. Ärgerlich blickte er umher und wollte eben ungeduldig klingeln, als plötzlich ein Herr den Kopf zur Türe hereinsteckte, ihn aber ebenso schnell wieder zurückzog, als er bemerkte, daß jemand anwesend war.

      »Hallo, wer ist da?« rief Ralph.

      Sofort erschien der Herr wieder, ließ eine lange Reihe schneeweißer Zähne sehen und lispelte geziert: »Der Teufel. Wie? Nickleby? Ei, der Teufel!« Er war in einen prächtigen Schlafrock, eine Weste und türkische Beinkleider aus demselben Stoff gekleidet, trug ein rosenrotes seidenes Halstuch und hellgrüne Pantoffeln, und eine schwere goldene Uhrkette baumelte ihm auf der Brust. Sein Backen- und Schnurrbart, beide schwarz gefärbt, waren zierlich gekräuselt.

      »Zum Teufel! Sie werden doch nichts von mir wollen?« sagte er und klopfte Ralph auf die Schulter.

      »Beruhigen Sie sich«, versetzte Ralph sarkastisch.

      »Ha, ha, zum Teufel«, lachte der Herr, drehte sich affektiert auf der Ferse um und wurde dadurch Kates ansichtig, die in der Nähe stand. »Meine Nichte«, stellte Ralph vor.

      »Ach, jetzt erinnere ich mich«, rief der Herr und tippte sich geziert, wie zur Strafe für seine Vergeßlichkeit, mit dem Zeigefinger auf die Nase, »zum Teufel, jetzt erinnere ich mich, warum Sie hier sind. Kommen Sie nur mit, Nickleby. – Wollen Sie mir folgen, mein Kind? Ha, ha, sie folgen mir alle, Nickleby. Zum Teufel! – Haben es immer getan.«

      In dieser geckenhaften Weise plapperte der Herr fort und führte seine Gäste in ein Empfangszimmer im zweiten Stock, das nicht minder elegant möbliert war als der Saal im ersten. Eine silberne Kaffeekanne, ein Eierbecher und eine gebrauchte Porzellantasse auf dem Tisch verrieten, daß man soeben gefrühstückt hatte.

      »Setzen Sie sich, mein Kind«, sagte der Herr, stierte Kate so lange an, bis sie ganz aus der Fassung kam, und verzog dann, entzückt über die gelungene Heldentat, grinsend sein Gesicht. »Diese verwünscht eleganten Zimmer benehmen einem förmlich den Atem. Der Teufel hole diese Paradiese. Ich fürchte, ich muß ausziehen.«

      »Ich würde es unter allen Umständen tun«, brummte Ralph, ärgerlich umherblickend.

      »Ha, ha – Sie sind ein verdammt altmodischer Kauz, Nickleby«, lachte der Herr. »Der verwünschteste, übellaunigste alte Fuchskopf, der je in Gold und Silber gewühlt hat! Hol mich der Teufel.«

      Dann zog der Herr die Klingel, stierte wieder Miss Nickleby an und befahl dem Bedienten, seiner Gebieterin zu sagen, sie möge sogleich herunterkommen. Sodann starrte er abermals Kate an und hörte damit nicht eher auf, bis Madame Mantalini eintrat.

      Die Putzmacherin war eine rüstige, vornehm gekleidete und gut aussehende Frau, aber viel älter als der Herr in den türkischen Beinkleidern, mit dem sie erst seit sechs Wochen verheiratet war. Er hatte ursprünglich Muntle geheißen, seinen Namen aber in Mantalini umgewandelt, da seine Frau mit Recht annahm, ein englischer könne dem Geschäft wesentlich schaden.

      Er hatte eigentlich auf seinen Backenbart hin geheiratet, von dem er bereits mehrere Jahre sorgenlos gelebt, und ihn durch den Zuwachs eines Schnurrbartes, mit dem er nach langer und geduldiger Pflege sein Gesicht verschönert, vervollkommnet. Sein Anteil an der Geschäftstätigkeit beschränkte sich zur Zeit auf das Durchbringen des Geldes, und wenn dies zur Neige ging, hin und wieder auf eine Fahrt zu Mr. Ralph Nickleby, um sich von ihm, nach Abzug der entsprechenden Prozente, Vorschüsse