Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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flüsterte Tilda. »Hm. Ruf doch: ›Herein!‹«

      »Herein«, echote Miss Squeers mit schwacher Stimme.

      »Guten Abend«, sagte Nikolas unbefangen, ohne von seiner Eroberung auch nur eine Ahnung zu haben. »Ich hörte von Mr. Squeers, daß –«

      »Ja, ja. Schon richtig«, fiel Miss Squeers ein. »Papa trinkt den Tee nicht mit uns. – Aber ich denke, Sie werden ihn nicht sehr vermissen«, ergänzte sie mit schalkhaftem Lächeln.

      Nikolas machte große Augen, dachte aber, da er viel zuviel Kummer im Herzen trug, über die Bemerkung nicht weiter nach. Trotz seines Gemütszustandes benahm er sich aber – rein mechanisch –, als er der Müllerstochter vorgestellt wurde, so liebenswürdig, daß die junge Dame vor Bewunderung ganz hingerissen war.

      »Wir warten noch auf einen zweiten Herrn«, sagte Miss Squeers, nahm den Deckel des Teekessels ab und sah hinein, ob der Tee auch nicht zu stark würde.

      Es war Nikolas ziemlich gleichgültig, ob man auf einen oder auf zwanzig Herren wartete, und nahm daher diese Kunde vollkommen uninteressiert hin. Er fühlte sich unendlich bedrückt, und da er keinen besondern Grund einsah, warum er sich hätte angenehm machen sollen, trat er ans Fenster, blickte hinaus und seufzte unwillkürlich.

      Das Unheil wollte, daß Miss Squeers' Freundin, die einen ausgesprochenen Sinn für scherzhafte Einfälle hatte, diesen Seufzer hörte und es sich sofort in den Kopf setzte, das Liebespärchen mit seiner Niedergeschlagenheit zu necken.

      »Wenn nur meine Anwesenheit daran schuld ist«, sagte sie, »so macht das weiter nichts. Ich habe doch dieselbe Krankheit; tut ganz, als ob ihr allein wärt.«

      »Tilda!« säuselte Miss Squeers, bis zu den Haarlocken errötend. »Schäm dich doch.«

      Dann brachen beide in ein nicht endenwollendes Kichern aus und schossen über ihre Taschentücher hinweg schelmische Blicke auf Nikolas. Der geriet zuerst in maßloses Staunen, kam dann aber bei dem unerhört komischen Gedanken, man könne glauben, er sei in Miss Squeers verliebt, und da zudem das Aussehen und Benehmen der beiden jungen Damen unendlich albern war, derartig ins Lachen, daß er bei seinem angeborenen Temperament seine armselige Lage einen Augenblick ganz vergaß.

      »Je nun«, sagte er sich, »wenn ich nun einmal schon hier bin und man von mir aus irgendeinem Grund zu erwarten scheint, daß ich zur allgemeinen Unterhaltung beitrage, so wäre es sehr ungeschickt, wie ein Pinsel dazustehen. Ich will mich daher nach Möglichkeit der Gesellschaft anzupassen suchen.«

      Er trat daher sofort galant auf Miss Squeers und deren Freundin zu, rückte sich einen Stuhl an den Teetisch und begann sich mit einer Ungezwungenheit zu bewegen wie wohl kaum je ein Hilfslehrer im Hause seines Prinzipals, seit dieser lohnende Beruf aufgekommen ist.

      Die jungen Damen waren förmlich berauscht durch Mr. Nicklebys verändertes Wesen, als endlich der erwartete junge Mann anlangte. Seine Haare waren noch naß, da er sich eben erst gewaschen hatte, und ein reines Hemd, dessen Kragen irgendeinem riesigen Altvordern angehört haben mochte, bildete, nebst einer weißen Weste von ähnlichem Umfang, die Hauptzierde seiner Person.

      »Nun, John?« begrüßte ihn Miss Mathilde Price, denn dies war der volle Name der Müllerstochter.

      »No, also wos is?« erwiderte John mit einem Grinsen, das selbst der ungeheure Kragen nicht ganz bedecken konnte.

      »Ich bitte um Entschuldigung«, fiel Miss Squeers ein und beeilte sich, die beiden Herren einander vorzustellen, »Mr. Nickleby – Mr. John Browdie.«

      »Servus«, sagte John, der über sechs Fuß hoch war und ein dementsprechendes Gesicht nebst Rumpf besaß.

      »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir«, sagte Nikolas und richtete unter den Butterschnitten eine schreckliche Verheerung an.

      Mr. Browdie war kein Mann von besonders gesellschaftlichen Talenten. Er grinste daher noch zweimal, um jedem der Anwesenden seinen gewohnten Aufmerksamkeitsbeweis abzustatten, und dann ein drittes Mal ohne besondern Grund und langte dann gleichfalls zu.

      »Ist die Alte furt?« fragte er mit vollen Backen nach einer Pause.

      Miss Squeers nickte bejahend.

      Mr. Browdie verzog den Mund zu einem noch liebenswürdigem Grinsen, als sei er der Ansicht, daß jetzt ein wirklicher Grund zum Lachen vorliege, und fing dann wieder an, die Butterbrote mit erneuter Kraft zu bearbeiten. Es war wirklich ein prächtiger Anblick, wie er und Nikolas aufräumten.

      »I glaub, Sö kriegen a nöt alle Tag Butterbrot, was?« fragte er, nachdem er Nikolas eine Weile über den leeren Teller hinweg angestiert hatte.

      Nikolas biß sich erbleichend auf die Lippen und tat, als ob er die Bemerkung nicht gehört hätte.

      »Teifel noch amol«, johlte Mr. Browdie mit einem brüllenden Gelächter, »all'zvüll dean's oam hier nöt auftischen; Sö werden bald nix mehr als Haut und Knochen an eahna habn, wann S' lang gnua hier bleibn, ho, ho, ho.«

      »Sie sind ja sehr witzig«, versetzte Nikolas verächtlich.

      »Na, das wüßt i grad nöt«, grinst Mr. Browdie, »aber der andere Lehrer, zum Teifel, war so dünn wia a Zwürnsfaden.«

      Die Erinnerung an die Schmächtigkeit des letzten Lehrers schien Mr. Browdie einen Riesenspaß zu machen, denn er lachte und lachte, bis er es für nötig fand, sich mit dem Rockärmel die Tränen abzuwischen.

      »Ich weiß nicht, ob Ihr Begriffsvermögen so weit reicht, um Sie einsehen zu lassen, daß Ihre Bemerkungen sehr beleidigend sind, Mr. Browdie«, sagte Nikolas, in dem sich die Galle regte. »Wenn es aber der Fall ist, so haben Sie wohl die Güte, mir zu –«

      »Wenn du noch ein Wort sagst, John«, schrie Miss Price dazwischen und hielt ihrem Bräutigam den Mund zu, »nur noch ein halbes Wort, so werde ich dir es nie verzeihen und nie wieder mit dir sprechen.«

      »No ja, Schatz, i laß eahm doch schon«, sagte der Kornhändler und drückte Miss Mathilde einen herzhaften Schmatz auf, »meinswegn soll er daherreden, was er mog.« Miss Squeers' Aufgabe war es jetzt, Nikolas zu besänftigen, was sie denn auch unter vielen Anzeichen der Furcht und des Schreckens tat. Die Wirkung dieser doppelten Vermittlung war, daß sich Mr. Browdie und der Hilfslehrer mit vieler Würde über den Tisch die Hände reichten; eine so ergreifende Szene, daß Miss Squeers vor Rührung Tränen vergoß. »Was hast du denn, Fanny?« fragte Miss Price erstaunt.

      »Nichts, Tilde, nichts«, schluchzte Miss Squeers.

      »Sie hatten doch nie im Sinn, einander etwas zuleide zu tun«, meinte Miss Price. »Nicht wahr, Mr. Nickleby?«

      »Nicht im geringsten«, versetzte Nikolas, »das wäre recht abgeschmackt gewesen.«

      »So ist's recht«, flüsterte Miss Price ihm zu. »Sagen Sie ihr ein paar freundliche Worte, dann wird sie gleich wieder gut sein. Sollen John und ich derweilen ein wenig hinausgehen?«

      »Um alles in der Welt nicht«, versetzte Nikolas bestürzt, durch diesen Vorschlag nicht wenig in Schrecken versetzt. »Um Gottes willen, warum denn?«

      »Nun, das muß ich sagen«, meinte Miss Price leise und in einigermaßen verächtlichem Tone. »Sie sind mir ein recht sonderbarer Anbeter.«

      »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Nikolas atemlos. »Es fällt mir doch nicht im entferntesten ein, hier den Anbeter zu spielen. Ich verstehe gar nicht, was ich aus all dem machen soll.«

      »Nicht? Nun, dann weiß ich's auch nicht«, versetzte Miss Price spitz, »aber die Männer sind ja bekanntlich alle flatterhaft, sind es von jeher gewesen und werden es immer sein; das wenigstens läßt sich sehr leicht aus dem Ganzen entnehmen!«

      »Flatterhaft?« rief Nikolas. »Wie kommen Sie zu dieser Anschuldigung? Sie wollen doch nicht etwa andeuten, daß Sie der Meinung sind –«

      »O nein, ich habe gar keine Meinung«, entgegnete Miss Price schnippisch. »Sehen Sie sie lieber an, wie nett sie gekleidet ist und wie gut sie aussieht; in der Tat,