Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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Menschen, dem neuen Lehrer; wen könnte ich denn sonst meinen?« »Ach, der Knickerboy?!« rief Mrs. Squeers ungeduldig. »Nicht sehen kann ich ihn.«

      »Aber warum denn nicht, meine Liebe?« fragte Squeers erstaunt.

      »Was kümmert's dich? Ist's nicht genug, wenn ich dir sage, daß ich ihn nicht ausstehen kann?«

      »Gerade genug für ihn, meine Liebe, und vielleicht um ein gutes Teil zuviel, wenn er es wüßte«, begütigte Mr. Squeers. »Ich habe doch nur aus Neugierde gefragt, mein Schatz.«

      »Nun, wenn du's also durchaus wissen willst, so kann ich dir's ja sagen. Weil er ein stolzer, hochmütiger, eingebildeter, hochnäsiger Pfau ist.«

      Wenn Mrs. Squeers aufgeregt war, pflegte sie sich einer sehr kräftigen Sprache zu bedienen und überdies eine Menge Beiwörter einzuflechten, von denen einige immer der Bildersprache angehörten, wie z. B. das Wort Pfau und die Anspielung auf Nikolas' Nase, die nicht im buchstäblichen Sinne genommen werden konnte. Auch nahm sie es nicht sonderlich genau, ob die Prädikate zusammenstimmten, wie man aus dem gegenwärtigen Fall ersehen kann, da ein hochnäsiger Pfau gewiß in der Naturgeschichte eine Rarität bedeutet, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt.

      »Hm, aber er ist billig, mein Schatz«, wendete Squeers auf den Wutausbruch hin milde ein, »der junge Mann ist sehr billig.«

      »Warum nicht gar«, brummte Mrs. Squeers.

      »Fünf Pfund jährlich!« bedeutete der Schulmeister.

      »Teuer genug, wo man ihn doch gar nicht braucht.«

      »Aber wir brauchen ihn«, erwiderte Squeers.

      »Ich sehe nicht ein, wieso du ihn mehr brauchen solltest als den verstorbenen. Ich bitt dich, schweig. Kannst du nicht auf die Geschäftskarten setzen lassen: Erziehungsanstalt unter Leitung des Mr. Wackford Squeers nebst tüchtigen Hilfslehrern, ohne daß man einen solchen Mitfresser zu halten brauchte? Kommt das vielleicht nicht alle Tage bei anderen Instituten vor? Es ist rein nicht mehr zum Aushalten mit dir.«

      »So, meinst du«, versetzte Squeers in strengem Ton. »Ich will dir was sagen. Was das Lehrerhalten anbelangt, so werde ich mit deiner gütigen Bewilligung tun, was mir paßt. Ein Sklavenhalter in Westindien hat auch seinen Gehilfen, der darauf zu sehen hat, daß ihm die Schwarzen nicht davonlaufen oder rebellieren, und ich will auch einen Menschen unter mir haben, der das gleiche bei unsern Schwarzen tut, bis einmal unser Bub so weit ist, daß er selbst die Schule leiten kann.«

      »Ich darf, wenn ich groß bin, die Aufsicht in der Schule führen, Vater?« rief Master Squeers junior freudig und vergaß im Übermaß seines Entzückens ganz, seiner Schwester einen heimtückischen Fußtritt zu versetzen, wie er soeben vorgehabt.

      »Ja, das sollst du, mein Sohn«, wiederholte Mr. Squeers gerührt.

      »Teufel, dann will ich's aber den Jungen geben«, rief der vielversprechende Sprößling und griff nach seines Vaters Stock. »Die sollen mir aber quieken, Vater.«

      Es war ein stolzer Augenblick in Mr. Squeers' Leben, Zeuge sein zu können von diesem Ausbruch edler Begeisterung in der Seele seines Kindes, aus dem jetzt schon künftige Größe hervorleuchtete. Er drückte ihm einen Penny in die Hand und machte im Verein mit seiner Mustergattin seinen Gefühlen durch ein lautes beifälliges Gelächter Luft.

      »Er ist ein dummer, aufgeblasener Aff, nichts sonst«, kam Mrs. Squeers wieder auf Nikolas zurück.

      »Angenommen, er ist aufgeblasen«, versetzte der Schulmeister, »so kann er das in der Klasse, die ihm übrigens nicht besonders zu behagen scheint, ja sein, soviel er will.«

      »So?« meinte Mrs. Squeers. »Na, da wird ihm ja der Stolz allmählich vergehen. Meine Schuld soll's nicht sein, wenn es nicht geschieht.«

      – Nun war ein stolzer Hilfslehrer und zumal in einer Yorkshirer Unterrichtsanstalt solches Wunderding, daß Miss Squeers, die sich sonst selten mit Schulangelegenheiten befaßte, sofort neugierig aufhorchte, wer denn dieser Knickerboy sei, der sich so hochmütig benehme.

      »Nickleby«, verbesserte Mr. Squeers und buchstabierte ihr den Namen vor. »Deine Mutter nennt immer die Dinge und Leute mit unrechten Namen.« »Ist doch ganz wurst«, knurrte Mrs. Squeers. »Ich habe ihn beobachtet, als du heute den kleinen Bolder durchwichstest. Er hat dabei ein Gesicht geschnitten, so schwarz wie eine Wetterwolke, und einmal fuhr er sogar auf, als wäre er am liebsten über dich hergefallen. – Ja, ja, ich hab's ganz gut gesehen, wenn er's auch nicht bemerkt hat.«

      »Laß das jetzt, Vater«, unterbrach Miss Squeers, als sich das Oberhaupt der Familie anschickte, eine heftige Antwort zu geben. »Wer ist er eigentlich?«

      »Dein Vater bildet sich ein, er sei der Sohn eines verarmten Gentlemans«, höhnte Mrs. Squeers. »Er wird wahrscheinlich ein Findelkind sein.«

      »Dummes Zeug«, fuhr Squeers auf, »seine Mutter lebt doch noch. Übrigens so oder so, wir machen uns jemand zum Freund, wenn wir ihn hier haben, und wenn's ihn so drängt, den Jungen außer der Aufsicht, die ihm obliegt, noch etwas zu lehren, was stört mich das weiter?«

      »Und ich sage dir, ich kann ihn nun einmal nicht ausstehen«, beharrte Mrs. Squeers auf ihrem Standpunkt.

      »Wenn er dir nicht gefällt, mein Schatz«, lachte der Schulmeister, »so kannst du es ihn ja fühlen lassen. Es ist doch gar kein Grund vorhanden, ihm gegenüber deinen Haß zu verbergen.«

      »Habe ich auch nicht vor, verlaß dich drauf«, brummte Mrs. Squeers.

      Miss Squeers hatte während dieses Zwiegesprächs aufmerksam die Ohren gespitzt, und ihr erstes war, daß sie beim Schlafengehen bei der ausgehungerten Magd umfassende Nachforschungen über das Äußere und das Benehmen des Hilfslehrers anstellte. Die Antworten des Mädchens lauteten so enthusiastisch, besonders hinsichtlich seiner schönen schwarzen Augen, seines gewinnenden Lächelns und seiner geraden Beine – worauf sie einen besondern Wert legte, da das allerdings in Dotheboys Hall eine Seltenheit war –, daß Miss Squeers sehr bald zu der Ansicht kam, er müsse ein höchst merkwürdiger Mensch sein und, wie sie sich bezeichnend ausdrückte, kein Lump. Sie faßte daher den Entschluß, gleich am nächsten Morgen Nikolas persönlich näher in Augenschein zu nehmen. Um ihre Absicht besser ausführen zu können, wählte sie dazu einen Zeitpunkt, wo ihre Mutter beschäftigt und der Vater abwesend war, und ging scheinbar zufällig in die Schulstube, um sich eine Feder schneiden zu lassen. Da sie dort »zu ihrer Überraschung« bloß Nikolas und die Jungen vorfand, errötete sie tief und tat äußerst verwirrt.

      »Ich bitte um Entschuldigung«, stotterte sie, »ich glaubte mein – mein Vater wäre hier – oder könnte hier sein – ich – ach –«

      »Mr. Squeers ist ausgegangen«, sagte Nikolas ruhig.

      »Wird er bald wiederkommen, Sir?« fragte Miss Squeers verschämt.

      »Er sprach von einer Stunde«, antwortete Nikolas, zwar höflich, aber sonst von den Reizen der jungen Dame weiter nicht aus der Fassung gebracht.

      »Höchst ärgerlich«, meinte Miss Squeers und errötete abermals. »Ich danke Ihnen. Es tut mir ungemein leid, eine Störung veranlaßt zu haben. Wenn ich nicht gedacht hätte, mein Vater wäre hier, so würde ich um keinen Preis –, es ist mir wirklich äußerst peinlich –«

      »Wenn das alles ist, was Sie wünschen«, half ihr Nikolas aus der »Verlegenheit«, deutete auf die Feder, die sie in der Hand hielt, und lächelte unwillkürlich über ihre Affektiertheit, »so kann ich vielleicht seine Stelle vertreten?«

      Miss Squeers blickte, wie im Zweifel, ob es auch schicklich sei, sich mit einem wildfremden Menschen so weit einzulassen, nach der Türe und dann in der Klasse umher, trat aber dann, durch die Gegenwart der vierzig Zöglinge einigermaßen ermutigt, zu Nikolas und händigte ihm mit einem entzückenden Gemisch von Schüchternheit und Herablassung die Feder ein.

      »Wünschen Sie sie hart oder weich?« fragte Nikolas und verbiß ein Lachen.

      »Er lächelt wirklich entzückend«, dachte sie.

      »Wie