Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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bemerkte die Frau vom Hause, als sich die Türe hinter ihm geschlossen hatte, »ich fürchte, der Bursche wird noch blödsinnig.«

      »Will ich nicht hoffen«, brummte Squeers, »er ist sonst brauchbar und ganz anstellig und für das bißchen Essen und Trinken eigentlich billig. Wäre es aber schließlich auch der Fall, für unsere Zwecke wird er immer noch genug Verstand haben. Aber komm jetzt, wir wollen essen. Ich bin hungrig und müde und will machen, daß ich zu Bett komme.«

      Auf diese Mahnung wurde noch ein Beefsteak für Mr. Squeers hereingebracht, der nicht säumte, ihm volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nikolas zog sich einen Stuhl an den Tisch heran, aber der Appetit war ihm gänzlich vergangen.

      »Wie findest du das Beefsteak?« fragte Mrs. Squeers.

      »Zart wie Lammfleisch«, schnaufte Squeers kauend. »Willst du versuchen?«

      »Nein, nein, ich bin ganz satt«, lehnte die Hausfrau ab. »Was soll der junge Mann bekommen, mein Lieber?«

      »Was er mag«, erwiderte Squeers in einer höchst ungewöhnlichen Anwandlung von Großmut.

      »Also was, Mr. Knickerby?« fragte Mrs. Squeers.

      »Ich möchte mir ein kleines Stückchen von der Pastete ausbitten; nur ein ganz kleines, ich bin nicht hungrig«, antwortete Nikolas.

      »Ist es aber nicht schade, die Pastete aufzuschneiden, wenn Sie nicht hungrig sind?« meinte Mrs. Squeers. »Wollen Sie nicht lieber ein Stückchen von dem Rindfleisch versuchen?«

      »Ganz wie es Ihnen beliebt«, murmelte Nikolas zerstreut, »es ist mir ganz gleichgültig.«

      Mrs. Squeers schien diese Antwort sehr zu gefallen. Sie nickte ihrem Gatten zu, wie um ihm ihre Zufriedenheit darüber auszudrücken, daß der junge Mann sich so gut in seine Stellung zu finden wisse, und legte Nikolas mit ihren eigenen schönen Händen eine Fleischschnitte vor.

      »Bier, Squeerchen?« fragte sie dabei und gab ihrem Manne durch Blinzeln und Stirnrunzeln zu verstehen, daß sie meinte, ob der Hilfslehrer auch welches bekommen solle.

      »Na ja«, antwortete Squeers unter ähnlichen Gebärden. »Ein Glas.« Nikolas erhielt also ein Glas voll und trank es, da er mit seinen Gedanken zu sehr beschäftigt war, in glücklicher Nichtbeachtung dessen, was da verhandelt wurde, aus.

      »Das Beefsteak war ungemein saftig«, lobte Squeers und legte endlich Messer und Gabel aus der Hand.

      »Es ist Mastochsenfleisch«, erklärte die Hausfrau, »ich habe ein schönes großes Stück in der Absicht gekauft -«

      »In was für einer Absicht?« fuhr Squeers auf. »Doch nicht für die -«

      »Natürlich nicht für sie«, beruhigte ihn Mrs. Squeers. »Natürlich für dich, wenn du wieder nach Hause kämest. Wie kannst du nur denken – - Glaubst du vielleicht, ich bin verrückt?«

      Dieser Teil der Unterhaltung war etwas unverständlich, wenn man keine Kunde von dem in der Gegend im Umlaufe befindlichen Gerüchte hatte, Mr. Squeers hasse Grausamkeit gegenüber Tieren so sehr, daß er für seine Zöglinge nur Fleisch von Vieh aufkaufe, das eines natürlichen Todes gestorben sei.

      Als das Abendessen vorüber war, wurde es von einem kleinen Dienstmädchen mit hungrigen Augen wieder abgetragen, und Mrs. Squeers entfernte sich, um die Überbleibsel einzuschließen. Ebenso trug sie Sorge, die Kleider der soeben halberfroren angekommenen fünf Knaben aufzubewahren. Die Kinder wurden mit einem dünnen Süppchen abgespeist und dann Seite an Seite in eine kleine Bettstelle gepackt, wo sie sich aneinander wärmen und von einem besseren Mahle in einem geheizten Stübchen träumen durften, wenn ihre Einbildungskraft diese Richtung einschlagen sollte.

      Mr. Squeers selbst labte sich noch mit einem tüchtigen Glas Grog, der nach dem beliebten Grundsatz, Branntwein und heißes Zuckerwasser genau zu gleichen Teilen, zusammengesetzt war, und seine liebenswürdige Gattin mischte für Nikolas ein kleines Glas voll desselben Getränkes, aber natürlich in wesentlich verdünnterer Lösung. Sodann rückte das Ehepaar dicht an das Feuer, stemmte die Füße auf das Kamingitter und flüsterte vertraulich zusammen, während Nikolas Murrays Grammatik hernahm und geistesabwesend darin blätterte.

      Endlich gähnte Mr. Squeers entsetzlich und meinte, es wäre höchste Zeit, zu Bett zu gehen, worauf seine Gattin und das Dienstmädchen einen kleinen Strohsack und ein paar Decken in das Zimmer schleppten und zu einem Lager für Nikolas herrichteten.

      »Wir werden Ihnen morgen Ihre regelmäßige Schlafstelle anweisen, Nickleby«, sagte Squeers. »Wer schläft in Brooks' Bett, meine Liebe?«

      »In Brooks' Bett?« sann Mrs. Squeers nach. »Jennings, der kleine Bolder, Graymarsh und – wie heißt doch noch der vierte!?«

      »Hm, ja«, brummte Squeers, »Brooks' Bett ist also voll.«

      »Voll?« dachte Nikolas. »Man sollte denken, mehr als voll.«

      »Es muß aber doch irgendwo noch Platz sein«, fuhr Squeers fort, »ich kann mich nur im Augenblick nicht recht besinnen. Aber lassen wir das bis morgen. Gute Nacht, Nickleby. Vergessen Sie nicht, morgen früh um sieben!«

      »Ich werde bereit sein, Sir. Gute Nacht«, erwiderte Nikolas.

      »Ich werde übrigens selbst kommen und Ihnen den Brunnen zeigen. Sie werden immer ein Stückchen Seife auf dem Küchenfenster finden. Das ist für Sie. Und – hm, ich weiß momentan nicht, wessen Handtuch ich Ihnen anweisen soll. Aber Sie können sich ja morgen früh mit etwas anderem behelfen; meine Frau wird dann im Lauf des Tages schon dafür Sorge tragen. Vergiß nicht, meine Liebe.«

      »Ich werde schon dran denken«, entgegnete Mrs. Squeers, »und Sie, junger Mann, sehen Sie darauf, daß Sie zuerst zum Waschbecken kommen, ehe es Ihnen die Jungen schmutzig machen.«

      Dann verschloß sie noch sorgsam die Brandyflasche, damit ihr Nikolas nicht am Ende in der Nacht zuspräche, und entfernte sich mit ihrem Gatten.

      Als Nikolas allein war, ging er in großer Erregung ein paarmal im Zimmer auf und ab. Allmählich wurde er jedoch ruhiger, setzte sich auf einen Stuhl und nahm sich fest vor, alles Ungemach, und möge kommen, was da wolle, eine Zeitlang geduldig über sich ergehen zu lassen, um seinem Onkel keinen Vorwand zu geben, die Hand von seiner hilflosen Mutter und Schwester abzuziehen. Das tat ihm gut; seine Verzagtheit ließ nach, und so sanguinisch sind die Träume der Jugend, daß er sogar zu hoffen begann, es würde sich die Sache in Dotheboys Hall vielleicht doch noch besser machen, als sie sich jetzt anließ.

      Er wollte sich eben, wieder ein bißchen ermutigt, auf sein Lager werfen, als ihm der versiegelte Brief aus der Rocktasche fiel, den ihm Newman Noggs so geheimnisvoll in London zugesteckt hatte.

      »Himmel, was für eine wunderliche Handschrift«, sagte Nikolas und betrachtete das merkwürdig bekritzelte Papier. Nach vieler Mühe gelang es ihm endlich, folgendes zu entziffern:

      Mein lieber junger Herr! Ich kenne die Welt. Ihr Vater kannte sie nicht, sonst würde er mir keine Wohltaten erwiesen haben, wo er doch so offenkundig nicht auf Rückerstattung rechnen durfte. Auch Sie kennen sie nicht, sonst hätten Sie sich nicht zu einer solchen Reise verpflichtet.

      Wenn Sie je eines Obdachs in London bedürfen sollten (nehmen Sie mir diese Worte nicht übel, ich glaubte auch einst, nie eines solchen zu bedürfen), so können Sie meine Wohnung bei dem Wirte zur Krone, Golden Square, Silver Street, erfragen. Es ist das Eckhaus in Silver und James Street und hat auf beide Straßen hinaus einen Eingang. Sie können abends kommen. Einst schämte sich dessen niemand, doch das ist jetzt gleichgültig – die Zeit ist vorüber.

      Entschuldigen Sie die schlechte Schrift. Ich weiß heute kaum mehr, wie ein sauberer Anzug aussieht, geschweige denn, wie man Briefe schreibt.

      Newman Noggs

      PS. Wenn Sie nach Barnard Castle kommen, im »Königskopf« ist gutes Bier. Sagen Sie, daß Sie mich kennen, und man wird Ihnen dafür nichts anrechnen. Sie können dort von Mr. Noggs, Wohlgeboren, sprechen, denn ich war damals ein Gentleman. Auf mein Wort, ein Gentleman.

      Als