Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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      »Dem Teufel zuliebe«, antwortete der Baron.

      Die Freifrau aber stieß einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig zu den Füßen des Freiherrn nieder.

      Was konnte der Freiherr tun? Er rief nach der Kammerfrau, eilte in den Hof hinunter, gab zweien der Grünröcke, die es am meisten gewöhnt waren, einen Tritt, verwünschte die übrigen der Reihe nach und hieß sie, sich zum Henker scheren.

      Dies war der erste Sieg der Freifrau über ihren Gemahl, und ich brauche hier wohl weiter nichts mehr zu sagen, als daß er allmählich immer mehr und mehr bei strittigen Fragen den Kürzeren zog oder mit List aus dem Sattel irgendeines alten Steckenpferdes geworfen wurde.

      Mit der Zeit wurde er ein wohlgenährter Achtundvierziger mit Herzverfettung und hielt weder Gelage noch Jagden ab oder sonst etwas, was ihm früher Freude gemacht. Er war zwar immer noch unbändig wie ein Löwe und starr wie Erz, aber fürchterlich unter dem Pantoffel.

      Und das machte noch nicht einmal sein ganzes Mißgeschick aus. Ungefähr ein Jahr nach seiner Vermählung kam ein junges, lustiges Freiherrlein auf die Welt, dem zu Ehren ein großes Feuerwerk abgebrannt und eine Unmasse von Wein getrunken wurde. Im nächsten Jahr erschien ein kleines Freifräulein, das Jahr darauf wieder ein junger Freiherr, und so ging es abwechselnd weiter, bis der Herr Baron Vater einer kleinen Familie von zwölf Kindern war. Bei einem jedem solchen Jahresfeste war die alte Freifrau von Schwillenhausen immer wieder in tausend Ängsten um das Wohl ihres lieben Kindes, der Freifrau von Saufaus; und obwohl man nicht behaupten konnte, daß sie zur Förderung der Genesung ihrer Tochter wesentlich beitrug, so machte sie sich's doch jedenfalls zur Pflicht, auf dem Schlosse Humpenburg so bekümmert wie möglich zu tun und ihre Zeit zwischen spitzigen Bemerkungen über ihres Schwiegersohnes Haushalt und Klagen über das harte Schicksal ihres unglücklichen Kindes zu teilen. Wenn sich dann der Freiherr von Saufaus, dadurch ein wenig gekränkt, zu der Bemerkung aufraffte, seine Gattin sei zum mindesten nicht übler daran als die Frauen anderer Edelleute, so rief die Baronin von Schwillenhausen die ganze Welt zum Zeugen auf, daß niemand als sie Mitgefühl für die Leiden ihrer Tochter empfinde, worauf natürlich sämtliche Verwandten und Freunde bestätigten, daß sie jedenfalls weit mehr Tränen vergieße als ihr Schwiegersohn und daß es keinen hartherzigeren Menschen gäbe als den Freiherrn von Saufaus.

      Der arme Ritter ertrug dies alles, so gut es ging. Und als es nicht mehr ging, verlor er Appetit und Heiterkeit und setzte sich düster und niedergeschlagen in eine Ecke. Aber noch Schlimmeres stand ihm bevor, und als es kam, steigerte sich seine Schwermut. Nach und nach geriet er in Schulden; in seinen Truhen, die die Familie Schwillenhausen für unerschöpflich gehalten hatte, ging es zur Neige, und als seine Gemahlin im Begriffe war, den Stammbaum des Hauses mit einem dreizehnten Reis zu schmücken, machte er die betrübende Entdeckung, daß es mit seinen Mitteln zu Ende sei.

      »Ich sehe nicht«, sagte sich der Freiherr, »wie ich mir weiterhelfen könnte. Es wird wohl das beste sein, ich bringe mich um.«

      Das war ein glorreicher Gedanke. Der Freiherr nahm ein altes Jagdmesser aus einem Wandschrank, wetzte es an seiner Stiefelsohle und fuhr sich damit nach der Kehle.

      »Hm«, sagte er dann und hielt inne, »vielleicht ist es nicht scharf genug.«

      Abermals wetzte er es und wiederholte seinen Versuch, aber diesmal störte ihn das Kindergeschrei, das aus dem Turmzimmer über dem seinen herabtönte.

      »Wäre ich Junggeselle«, seufzte der Freiherr, »so hätte ich es wohl fünfzigmal ausführen können, ohne dabei unterbrochen worden zu sein. »Heda, man bringe mir einen Humpen Wein und die längste Pfeife in das kleine Zimmer hinter der Halle!«

      Einer der Diener kam dem Befehl unterwürfig im Verlauf einer halben Stunde oder darüber nach, und als der Freiherr sich nach dem gewölbten Zimmer verfügte, dessen schwarzgetäfelte und polierte Wände von dem Feuer des im Kamin lodernden Holzstoßes widerstrahlten, standen Humpen und Pfeife bereit, und der Ort sah im ganzen recht behaglich aus.

      »Laß die Lampe da!« befahl der Freiherr.

      »Befehlen sonst noch etwas, gnädiger Herr?« fragte der Diener.

      »Abfahren«, brummte der Freiherr, jagte den Diener hinaus und verschloß die Türe.

      »Ich will noch meine letzte Pfeife rauchen«, seufzte er dann, »ehe ich der Welt Lebewohl sage.«

      Mit diesen Worten legte der Freiherr von Saufaus sein Messer auf den Tisch, goß ein ziemliches Quantum Wein hinunter, warf sich in seinem Stuhl zurück, streckte seine Füße vor dem Feuer aus und blies mächtige Rauchwolken in die Luft.

      Er machte sich dabei allerlei Gedanken über seine gegenwärtige Trübsal, über die entschwundenen Tage seines Junggesellenlebens und über die vierundzwanzig Grünröcke, die sich seitdem nach allen Himmelsrichtungen zerstreut hatten, ohne daß man weiter etwas von ihnen gehört hätte. Sein Geist war mit Bären und Wildschweinen beschäftigt, und er hatte eben das Glas angesetzt, um es bis auf den Grund zu leeren, als er plötzlich zu seinem grenzenlosen Erstaunen bemerkte, daß er nicht allein sei.

      Er war auch wirklich nicht allein, denn ihm gegenüber am Kamin saß mit verschränkten Armen eine runzlige, greuliche Gestalt mit eingesunkenen blutunterlaufenen Augen und einem langgezogenen Leichengesicht, in das das verfilzte schwarze Haar wild herabhing. Der Mann trug eine Art Tunika von dunkler, ins Bläuliche spielender Farbe, die, wie der Freiherr zu seinem Erstaunen bemerkte, von oben bis unten mit Sarggriffen verziert und zusammengehalten war. Die Beine staken in Sargschildern, ähnlich den Schienen einer Rüstung, und über der linken Schulter trug die Erscheinung einen kurzen, dunklen Mantel, der aus den Überresten eines Sargtuches angefertigt zu sein schien. Das Phantom schenkte seinem Gegenüber nicht die geringste Aufmerksamkeit und blickte nur unablässig ins Feuer.

      »Hallo!« rief der Freiherr und stampfte mit dem Fuße auf, um sich bemerkbar zu machen.

      »Nun, was gibt's?« fragte die Erscheinung und drehte ihre Augen dem Ritter zu.

      »Was es gibt?« fuhr der Freiherr auf, dem die hohle Stimme und die glanzlosen Augen keine Furcht einzujagen vermochten. »Diese Frage steht, dächte ich, eigentlich mir zu. Wie bist du hierhergekommen?«

      »Durch die Türe.«

      »Wer bist du?« forschte der Freiherr.

      »Ein Mensch wie du.«

      »Das glaube ich nicht.«

      »Dann laß es bleiben«, höhnte die Gestalt.

      »Auch recht«, brummte der Freiherr.

      Das Phantom blickte den unerschrockenen Ritter eine Weile lang an und lenkte dann ein:

      »Ich sehe wohl, daß man dir nichts weismachen kann. Ich bin kein Mensch.«

      »Also, was bist du denn?«

      »Ein Engel.«

      »Du siehst mir gerade nicht wie ein solcher aus«, meinte der Freiherr verächtlich.

      »Ich bin der Engel der Verzweiflung und des Selbstmordes«, sagte die Erscheinung. »Jetzt kennst du mich.«

      Mit diesen Worten wandte sich das Gespenst zu dem Freiherrn, als habe es dringend mit ihm zu sprechen. Höchst auffallend war, daß es dabei den Mantel zurückschlug und einen Pfahl sehen ließ, der ihm mitten durch den Leib getrieben war. Mit einem Ruck zog es ihn heraus und legte ihn so kaltblütig auf den Tisch, als ob er ein Spazierstock gewesen wäre.

      »Nun«, sagte das Gespenst und schielte dabei nach dem Jagdmesser, »bist du bereit?«

      »Noch nicht ganz«, antwortete der Freiherr. »Ich muß zuvor noch diese Pfeife ausrauchen.«

      »Also mach schnell«, drängte das Gespenst.

      »Du scheinst es ja sehr eilig zu haben«, meinte der Freiherr.

      »Allerdings. In Frankreich und England geht augenblicklich das Geschäft so stark, daß meine Zeit sehr in Anspruch genommen ist.«

      »Trinkst du?« fragte der Freiherr