Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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anhalten.«

      Da der Kondukteur inzwischen nach Grantham geritten war, um eine andere Postkutsche zu holen, machte der Herr mit dem heitern Gesicht, als die Gesellschaft eine Weile schweigend um das Feuer gesessen hatte, den Vorschlag, eine Bowle Punsch zu trinken.

      »Was meinen Sie dazu, Sir?« fragte er den Passagier, der sich im Innern der Kutsche den Kopf verletzt hatte und einen sehr vornehmen Eindruck machte.

      Der Punsch wurde gebracht, und heitere Gespräche waren bald im Gang.

      Auf den allgemeinen Vorschlag, es möge doch jemand, um die Unterhaltung zu erhöhen, irgendeine nette Geschichte erzählen, erklärte sich der Herr mit dem freundlichen Gesicht endlich lächelnd dazu bereit und begann ohne weitere Ziererei folgende Erzählung zum besten zu geben:

      Der Freiherr von Saufaus

      Der Freiherr von Saufaus auf Humpenburg in Deutschland war ein so liebenswürdiger junger Edelmann, wie man sich nur einen wünschen kann. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß er in einer Burg wohnte, denn das versteht sich von selber; auch brauche ich nicht zu bemerken, daß er in einer alten Burg lebte, denn welcher deutsche Baron hätte je in einer neuen gewohnt? Es hatte mit diesem ehrwürdigen Gebäude in vieler Beziehung so seine Bewandtnis, und es galt für auch weiter nicht besonders befremdlich oder geheimnisvoll, daß es, wenn der Wind blies, in den Schornsteinen rumorte und daß die Strahlen des Mondes durch gewisse kleine Öffnungen in den Mauern schienen und die weiten Hallen und Galerien teilweise hell erleuchteten, während die größere Hälfte der Gemächer in tiefem Schatten lag.

      Es hieß, daß ein Vorfahre des Freiherrn, als es ihm an Geld gebrach, einen Wanderer, der ihn eines Nachts nach dem Weg gefragt, erdolcht habe, und man munkelte, die erwähnten sonderbaren Umstände seien eine Folge dieser Untat. Ich meinesteils kann mir das kaum denken, zumal der Ahnherr des Freiherrn ein sehr frommer Mann war und seine übereilte Tat dadurch sühnte, daß er aus dem Bauholz und den Steinen, die einem weniger wehrhaften Nachbarn gehörten, eine Kapelle errichtete und sich auf diese Weise eine Generalquittung für alle Forderungen, die der Himmel jemals an ihn stellen könnte, erwarb.

      Auf wie viele Ahnen der Freiherr zurückblicken mochte, vermag ich leider nicht anzugeben; eines aber ist sicher, nämlich daß er deren mehr hatte als irgendein Adliger seiner Zeit, und ich wünschte nur, er hätte in unseren Tagen gelebt, dann würde er noch mehr gehabt haben. Es ist überhaupt ein Jammer für die großen Männer vergangener Zeiten, daß sie so früh geboren wurden, denn von einem Mann, der vor drei- oder vierhundert Jahren gelebt hat, kann man nicht erwarten, daß er so viele Vorfahren aufzuweisen hat wie einer in unseren Tagen. Der letzte Mensch, und wäre er auch nur ein Schuhflicker oder sonst ein armer Tropf, wird naturgemäß einen größeren Stammbaum haben als ein Mann von ältestem Adel in unsern Tagen; und das ist doch gewiß etwas, was von rechtswegen nicht sein sollte.

      Also gut, der Freiherr von Saufaus auf Humpenburg war ein hübscher, dunkelhäutiger Mann mit schwarzem Haar und buschigem Schnurrbart, der in hellgrünem Wams und hohen Juchtenstiefeln, ein Horn über der Schulter, ähnlich dem der englischen Postkutschen-Kondukteure, auf die Jagd zu reiten pflegte. Wenn er in dieses Horn stieß, erschienen auf der Stelle vierundzwanzig Mannen von untergeordneterem Range in etwas gröberer grüner Tracht und etwas dicker besohlten Juchtenstiefeln und sprengten mit ihm, lange Spieße in den Händen, dahin, um Eber oder Bär zu hetzen; und wenn der Freiherr dem betreffenden Untier den Knickfang gegeben hatte, wichste er sich mit dem Fett seinen Schnurrbart.

      Es war das ein lustiges Leben für den Freiherrn von Saufaus und ein noch lustigeres für seine Vasallen, die Nacht für Nacht Rheinwein tranken, bis sie unter den Tisch fielen, wo sie dann weiterzechten; und nie gab es wohl fröhlicher lärmende, scherzliebende Gesellen als Saufaus' lustige Schar.

      Doch auch die Freuden an oder unter der Tafel fordern bisweilen eine kleine Abwechslung. Daher sah sich der Freiherr eines Tages nach etwas Anregenderem um, fing mit seinen Kumpanen Händel an und trat zum Zeitvertreib zwei oder drei von ihnen jedesmal nach dem Mittagessen mit Füßen. Aber auch das befriedigte ihn nicht viel länger als eine Woche; dann wich seine gute Laune, und er sah sich nach einer neuen Zerstreuung um.

      Eines Abends nach der Jagd, auf der er wieder einen riesigen Bären zur Strecke gebracht hatte, saß er übelgelaunt an der Tafel und musterte mit mißvergnügten Blicken die rauchige Decke der Halle. Er stürzte einen Humpen Wein nach dem andern hinunter, aber je mehr er trank, desto finsterer sah er drein. Die Herren, die die bedenkliche Auszeichnung genossen, in seiner Nähe zu sitzen, suchten natürlich nach Möglichkeit, es ihm im Trinken und in mürrischen Mienen gleichzutun.

      »Ich will's!« schrie der Freiherr plötzlich und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Füllt eure Humpen auf das Wohl der Freifrau von Saufaus.«

      Die vierundzwanzig Grünröcke erblaßten bis auf ihre Nasen, die unverändert rot glühten.

      »Ich habe die Gesundheit der künftigen Freifrau ausgebracht«, wiederholte der Freiherr und blickte wild umher.

      »Die Freifrau von Saufaus soll leben!« brüllten die grünen Mannen, und vierundzwanzig gewaltige Humpen, mit trefflichem altem Rheinwein gefüllt, ergossen ihren Inhalt durch vierundzwanzig Kehlen. Dann lautes Schnalzen von achtundvierzig Lippen und sehnsüchtiges neuerliches Blinzeln nach dem Faß.

      »Die schöne Tochter des Freiherrn von Schwillenhausen!« rief Saufaus. »Wir wollen sie von ihrem Vater zur Ehe begehren, ehe noch die Sonne morgen in ihr Bett scheint. Und wenn er unsere Bewerbung zurückweist, so werden wir ihm die Nase abschneiden.« Die Tafelrunde ließ ein drohendes Murmeln hören, und jeder faßte mit schrecklicher Bedeutsamkeit zuerst nach seinem Schwertgriff und dann nach seiner Nasenspitze.

      Es ist doch etwas Schönes um kindlichen Gehorsam. Hätte die Tochter des Freiherrn von Schwillenhausen erklärt, sie habe bereits ihr Herz verschenkt, oder sich ihrem Vater zu Füßen geworfen, um sie mit Tränen zu benetzen, oder wäre sie nur in Ohnmacht gefallen und dem alten Herrn mit Gefühlsausbrüchen zu Leibe gegangen, so hätte man eins gegen hundert wetten können, daß Burg Schwillenhausen flötengegangen und sein Herr aus dem Fenster geworfen worden wäre. Das Freifräulein verhielt sich jedoch, als am nächsten Morgen ein Bote das Gesuch des Freiherrn überbrachte, ganz gefaßt und zog sich sittsam in ihr Kämmerlein zurück und schaute von dort nach dem angekündigten Freier und seinem Gefolge aus. Sie hatte sich kaum überzeugt, daß der Reiter mit dem großen Schnurrbart der Freier sei, als sie sogleich zu ihrem Vater eilte und ihm ihre Bereitwilligkeit ausdrückte, sich für ihn und den Frieden des Hauses zum Opfer zu bringen; und der ehrwürdige alte Herr umarmte sein Kind und ließ Freudentränen aus seinen Augen rieseln.

      Auf der Burg ging es an diesem Tage gar hoch her. Saufaus' vierundzwanzig grüne Mannen tauschten das Gelübde ewiger Freundschaft mit den zwölf Grünen derer von Schwillenhausen und schwuren dem alten Baron, nicht eher aufzuhören, von seinem Weine zu trinken, bis alles blau wäre; womit sie wahrscheinlich in erster Linie meinten: bis ihre Gesichter dieselbe Farbe erhalten hätten wie ihre Nasen. Als die Zeit des Aufbruchs herankam, schlugen alle einander auf die Schulter, und der glückliche Bräutigam ritt mit seinem Gefolge frohen Mutes nach Hause.

      Sechs lange Wochen hatten die Bären und Eber Feiertag. Die Häuser derer von Saufaus und Schwillenhausen waren vereinigt, die Spieße rosteten und das Horn des Freiherrn wurde heiser, weil es gar nicht mehr geblasen wurde.

      Das waren glückliche Tage für die vierundzwanzig. Aber ach, diese herrliche Zeit hatte bereits ihre Siebenmeilenstiefel angezogen und war im Schwinden begriffen.

      »Mein Bester –« sagte die Freifrau.

      »Meine Liebe?« sagte der Freiherr.

      »Diese rohen, lärmenden Menschen –-«

      »Welche?« fuhr der Freiherr auf.

      Die Freifrau deutete aus dem Fenster, an dem sie mit ihrem Gemahl stand, in den Hof hinunter, wo die nichtsahnenden Grünröcke, den Fuß bereits im Steigbügel, um den Eber zu hetzen, noch einen guten Schluck zu sich nahmen.

      »Mein Jagdgefolge?« fragte der Ritter.

      »Entlasse sie, mein Gemahl!« flüsterte die Freifrau.