Charles Dickens

Nikolas Nickleby


Скачать книгу

in Dotheboys Hall starb«, beendete Ralph den Satz.

      »Ich kann mich noch recht gut erinnern, Sir. Ach, meine Frau hatte den Knaben so gern, als ob er ihr eigenes Kind gewesen wäre. Und die Pflege, die sie ihm während seiner Krankheit angedeihen ließ! Toastschnitten und warmen Tee jeden Abend und jeden Morgen, als er nichts mehr anderes genießen konnte! Ein Licht in seinem Schlafzimmer in der Nacht, in der er starb! Das beste Kissen hinaufgeschickt! Doch ich bereue es nicht. Es liegt etwas Erhebendes in dem Gedanken, seine Schuldigkeit getan zu haben.«

      Ralph lächelte gezwungen und musterte die anwesenden fremden Gesichter.

      »Es sind nur einige meiner Zöglinge«, erklärte Wackford Squeers und deutete auf die Knaben. »Dieser Herr, Sir, ist ein Vater, der soeben die Güte hatte, mir ein Kompliment zu machen über den Erziehungsplan in Dotheboys Hall, bei dem hübschen Dörfchen Dotheboys, in der Nähe von Greta Bridge in Yorkshire, wo junge Leute verköstigt, gekleidet, mit Büchern, Wäsche und Taschengeld...«

      »Ja, ja, wir wissen das alles«, unterbrach ihn Ralph mürrisch, »es steht doch in der Anzeige.«

      »Sie haben recht, Sir, es steht in der Anzeige«, entschuldigte sich Squeers.

      »Und verhält sich auch so«, bekräftigte Mr. Snawley. »Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen das zu versichern, Sir, und ich bin stolz auf diese Gelegenheit, es tun zu können, zumal Mr. Squeers ein höchst moralischer, exemplarischer, in jeder Beziehung tadelloser Mann...«

      »Ich bezweifle es doch gar nicht, Sir«, unterbrach Ralph grob. »Aber ich dächte, wir könnten zur Sache kommen?«

      »Mit größtem Vergnügen, Sir«, sagte Squeers. »Du sollst ein Geschäft nie verschieben, sei deine erste Regel. Das legen wir unsern für den Handelsstand bestimmten Zöglingen stets ans Herz. Belling, mein Junge, behalte das stets im Gedächtnis. Hörst du?«

      »Ja, Sir«, hauchte Belling.

      »Ob er wohl das Sprüchlein jetzt noch weiß?« höhnte Ralph.

      »Sag es dem Herrn her«, befahl Squeers.

      »Du sollst...« stotterte Belling.

      »Sehr gut. Weiter.«

      »Dein Geschäft nie ...« fuhr das Kind fort.

      »Sehr, sehr gut«, lobte Mr. Squeers. »Nun?«

      »Ver...« flüsterte Nikolas gutmütig dem Knaben zu.

      »Verrichten«, ergänzte Belling hastig. »Du sollst ein Geschäft nie verrichten.«

      »Schon gut, Bürschchen«, knirschte Squeers und warf dem Jungen einen vernichtenden Blick zu. »Wenn wir's auch jetzt verschieben müssen, so werden wir doch, wenn wir allein sind, ein kleines Geschäft miteinander zu verrichten haben.«

      »Vorderhand wäre es aber vielleicht angezeigter, wenn wir an das unserige gingen«, fiel Ralph ein.

      »Ganz, wie es Ihnen beliebt, Sir.«

      »Wir werden gleich fertig sein. – Ihrer Anzeige zufolge suchen Sie einen tüchtigen Hilfslehrer?«

      »Ganz richtig.«

      »Hier steht er«, sagte Ralph. »Mein Neffe Nikolas, der vor kurzem die Schule verlassen und daher noch alles im Kopf und nichts in der Tasche hat, wäre gerade der Mann, den Sie brauchen.«

      »Ich fürchte nur«, wendete Squeers ein, durch die Bewerbung eines jungen Mannes von Nikolas' Äußerem verwirrt, »ich fürchte nur, er wird nicht recht für mich passen.«

      »Er wird es«, sagte Ralph fest, »ich weiß das besser. Nikolas, du brauchst den Mut nicht gleich sinken zu lassen, denn du wirst in weniger als einer Woche die jungen Aristokraten in Dotheboys Hall unterrichten, wenn Mr. Squeers nicht eigensinniger ist, als ich voraussetze.«

      »Ich fürchte nur, Sir«, wendete sich Nikolas an Squeers, »daß Sie gegen meine Jugend und den Umstand, daß ich nicht Magister bin, etwas einzuwenden haben.«

      »Letzteres fällt allerdings sehr ins Gewicht«, versetzte Squeers mit möglichst ernster Miene, innerlich nicht wenig verblüfft durch den Gegensatz in der Offenherzigkeit des Neffen und dem weltklugen Benehmen des Onkels sowohl, wie durch die unverständliche Anspielung auf die jungen Aristokraten, die sich in seinem Institut befinden sollten.

      »Merken Sie mal auf, Mr. Squeers«, mischte sich Ralph ein, »ich will die Sache in das rechte Licht stellen.«

      »Wenn Sie die Güte haben wollten.«

      »Wir haben hier einen jungen Mann, einen Jüngling, einen Guckindiewelt oder wie Sie es nennen wollen, von achtzehn oder neunzehn Jahren.«

      »Das sehe ich«, bemerkte der Schulmeister.

      »Und ich auch«, mengte sich Snawley ein, der es für passend hielt, seinem neuen Freund den Rücken zu decken.

      »Sein Vater ist tot. Er selbst weiß nichts von der Welt, ist durchaus mittellos und braucht Beschäftigung«, erklärte Ralph.

      »Ich empfehle ihn daher Ihrem vortrefflichen Institut, das er zum Grundstein seines Glückes machen kann, wenn er es recht anzugehen weiß. – Verstanden?«

      »Alle Welt muß das einsehen«, nickte Squeers, den spöttischen Seitenblick nachahmend, mit dem Ralph seinen arglosen Neffen betrachtete.

      »Natürlich«, bestätigte Nikolas hastig.

      »Sie sehen, er hat mich verstanden«, fuhr Ralph in seiner harten und trockenen Weise fort. »Wenn irgendeine alberne Laune ihn veranlassen sollte, sich diese günstige Gelegenheit zu verscherzen, so hört meine Verbindlichkeit gegen seine Mutter und Schwester im selben Augenblick auf. Sehen Sie ihn einmal an und bedenken Sie, in wievielerlei Weise er Ihnen nützlich werden kann. Es fragt sich, ob er Ihren Zwecken für die nächste Zeit nicht besser entsprechen wird als zwanzig andere, die Sie unter normalen Umständen aufnehmen können. Nun, ist dies nicht der Überlegung wert?«

      »Allerdings«, entgegnete Squeers, ein Blinzeln Ralphs erwidernd.

      »Gut. Dann möchte ich nur noch ein paar Worte allein mit Ihnen sprechen.« Die beiden Ehrenmänner zogen sich sodann zurück, und ein paar Minuten später erklärte Mr. Wackford Squeers, daß Mr. Nikolas Nickleby von Stund an das Amt eines Hilfslehrers in Dotheboys Hall übertragen sei.

      »Sie verdanken es der Empfehlung ihres Onkels, Mr. Nickleby«, betonte er.

      Nikolas drückte in der Überfülle seines Herzens seinem Onkel immer und immer wieder die Hand und wäre am liebsten auf der Stelle vor Squeers auf die Knie gefallen. – »Er sieht zwar etwas wunderlich aus«, dachte er sich, »aber was tut das? Bei Porson und dem Doktor Johnson war es auch der Fall, wie überhaupt bei allen solchen Bücherwürmern.«

      »Morgen früh um acht Uhr geht die Postkutsche ab, Mr. Nickleby«, bemerkte Squeers. »Sie müssen eine Viertelstunde früher hier sein, da wir diese Knaben mitnehmen.«

      »Ich werde nicht ermangeln, Sir«, sagte Nikolas.

      »Ich habe die Fahrt für dich bezahlt«, knurrte Ralph. »Du hast also nichts weiter zu tun, als dich warm anzuziehen.«

      Dies war ein neuer Beweis von Großmut, und Nikolas empfand diese unerwartete Güte so tief, daß er kaum genug Dankesworte finden konnte, und er hatte deren aus der Tiefe seines Herzens noch nicht halb genug hervorgestammelt, als sie sich von dem Schulmeister verabschiedeten und das Gasthaus zum Mohrenkopf verließen.

      »Ich werde morgen hier sein, um dich wohlbehalten abfahren zu sehen«, sagte Ralph. »Daß du dich also beizeiten einstellst!«

      »Ich danke Ihnen so sehr, Sir«, beteuerte Nikolas. »Ich werde Ihre Güte nie vergessen.«

      »Daran wirst du gut tun. Aber mach jetzt, daß du nach Hause kommst, und packe ein, was du zu packen hast. Glaubst du den Weg nach Golden Square finden zu können?«

      »Gewiß. Ich kann mich ja durchfragen.«

      »Dann bring diese Papiere