Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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Hund. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Newman bereits über die Straße glitt und sich im Augenblick in dem Gedränge verlor.

      »Hübsch ausgedacht«, brummte Mr. Nickleby im Weitergehen vor sich hin, »hübsch ausgedacht. Mein Bruder hat nie etwas für mich getan, und ich habe es auch nicht erwartet; aber kaum ist ihm der Atem ausgegangen, hält man sich an mich. Ich soll jetzt für ein stämmiges Weib, einen erwachsenen Jungen und ein dito Mädchen sorgen. Was gehen sie mich an? Ich kenne sie doch gar nicht.«

      Unter solchen und ähnlichen Betrachtungen schlug Mr. Nickleby den Weg nach dem Strand ein, zog den Brief zu Rat, um hinsichtlich der Adresse nicht fehlzugehen, und machte schließlich vor der Türe eines Hauses ungefähr in der Mitte der sehr belebten Straße halt.

      Es mußte hier ein Miniaturmaler wohnen, denn neben dem Tor war ein großer vergoldeter Rahmen festgeschraubt, auf dem sich auf schwarzem Samtgrunde zwei Porträts in Marineuniform nebst den dazugehörigen Teleskopen – das eines jungen Herrn in Scharlach, der einen Säbel schwang, und das eines Gelehrten mit hoher Stirne, einer Feder, einem Tintenfaß, sechs Büchern und einem Vorhang – befanden. Daneben sah man noch das ungemein ansprechende Bild einer jungen Dame, die in einem riesigen Wuste von Manuskripten las, und die liebenswürdige ganze Figur eines großköpfigen, kleinen Knaben mit Beinen, die perspektivisch zu der Größe von Salzlöffelchen verkürzt waren. Außer diesen Kunstwerken prangten noch viele Köpfe von alten Damen und Herren auf blauem und braunem Hintergrunde, die sich gegenseitig zulächelten – und eine zierlich geschriebene Preisliste mit gepreßtem Rand.

      Mr. Nickleby warf einen verächtlichen Blick auf diese Armseligkeiten und klopfte mit Doppelschlägen an die Türe, bis ihm ein Dienstmädchen mit ungemein schmutzigem Gesicht öffnete.

      »Ist Madam Nickleby zu Hause?« fragte Mr. Ralph ungeduldig.

      »Sie heißt net Nickleby; Sie meinen vielleicht La Creevy?« antwortete das Mädchen und wollte sich eben näher auslassen, als eine weibliche Stimme von einer fast senkrechten Treppe herunter die Frage vernehmen ließ, zu wem der Herr wolle.

      »Zu Mrs. Nickleby«, erwiderte Ralph.

      »Das ist doch im zweiten Stock, Hanna«, fuhr dieselbe Stimme fort. »Was du doch für ein dummes Ding bist. Ist die Herrschaft im zweiten Stock zu Hause?«

      »Es is eben jemand hinausgegangen, aber ich glaube, es war von der Dachstube, aus der man den Kehricht heruntergetragen hat«, versetzte das Mädchen.

      »So sieh nach«, erwiderte das unsichtbare Frauenzimmer. »Zeig dem Herrn, wo die Klingel ist, und sage ihm, er dürfe nicht mit einem Doppelschlag klopfen, wenn sein Besuch im zweiten Stock gilt. Ich kann überhaupt das Klopfen nicht gestatten, wenn nicht die Klingel gebrochen ist, und dann muß es durch zwei einfache Schläge geschehen.«

      »Schon gut«, sagte Mr. Ralph und trat ohne weiteres in das Haus. »Pardon, sind Sie Madame La – wie ist Ihr Name?«

      »Creevy – La Creevy«, versetzte die Stimme, und zugleich tauchte ein gelber Kopfputz über dem Geländer auf.

      »Ich möchte, wenn Sie erlauben, einen Augenblick mit Ihnen sprechen, Madam.«

      Die Stimme ersuchte Mr. Nickleby heraufzukommen, doch dies war bereits geschehen, ehe sie noch ausgesprochen hatte, und als Mr. Ralph im ersten Stock anlangte, wurde er von der Besitzerin des gelben Kopfputzes empfangen, deren Kleid und Gesicht so ziemlich von derselben Farbe waren. Miss La Creevy war eine geziert aussehende jugendliche Dame von fünfzig Jahren, und ihr Zimmer bildete ein passendes Seitenstück zu dem vergoldeten Rahmen an der Türe. Nur daß hier die Kunstproduktion üppiger wucherte und der Raum selbst um ein beträchtliches schmutziger war.

      »Ehüm«, begann Miss La Creevy, zimperlich hinter ihren seidenen Halbhandschuhen hüstelnd, »Sie wünschen wohl ein Miniaturporträt? Ihr Gesicht ist sehr markant, Sir. Sind Sie früher schon gesessen?«

      »Sie sind, wie ich sehe, hinsichtlich meines Hierseins im Irrtum, Madam«, versetzte Mr. Nickleby in seiner gewohnten plumpen Weise. »Ich habe kein Geld übrig, um es für Miniaturbilder wegzuwerfen, Madame, und Gott sei Dank auch niemand, dem ich eines schenken könnte, im Fall ich welches besäße. Da ich Sie gerade auf der Treppe sah, so wollte ich Ihnen nur einige Fragen über die hier wohnenden Mieter vorlegen.«

      Miss La Creevy hüstelte abermals, diesmal um ihre Enttäuschung zu verbergen, und sagte: »Ach so.«

      »Ich vermute aus den an Ihre Magd gerichteten Worten«, fuhr Mr. Nickleby fort, »daß der zweite Stock Ihnen gehört, Madam?«

      Miss La Creevy erwiderte, daß dem allerdings so sei, aber da sie die Zimmer des zweiten Stockes zur Zeit nicht brauche, so pflege sie sie zu vermieten. Und gegenwärtig seien sie an eine Dame vom Lande mit ihren beiden Kindern vergeben.

      »An eine Witwe, Madam?«

      »Ja, an eine Witwe.«

      »Eine arme Witwe, Madam?« forschte Ralph mit starker Betonung des kleinen Beiworts, das so viel in sich begreift.

      »Hm, allerdings, ich fürchte, sie ist arm«, versetzte Miss La Creevy. »Ich kenne zufällig die näheren Umstände, Madam«, fuhr Ralph fort. »Mit einem Wort, ich bin ein Verwandter und möchte Ihnen raten, die Familie nicht länger zu behalten.«

      »Wäre nicht zu hoffen«, entgegnete Miss La Creevy mit einem weiteren Husten, »daß, im Falle die Dame nicht imstande sein sollte, ihre Zahlungsverbindlichkeiten einzuhalten, ihre Familie ...«

      »Nein, nein, Madam«, unterbrach Ralph hastig, »daran ist nicht im entferntesten zu denken.«

      »Dann allerdings«, erwiderte Miss La Creevy, »erhält die Sache freilich ein ganz anderes Gesicht.«

      »Richten Sie sich jedenfalls darnach, Madam«, sagte Ralph, »und treffen Sie demgemäß Ihre Vorkehrungen. Ich bin der einzige Verwandte, den die Familie hat, und halte es für meine Pflicht, Sie in Kenntnis zu setzen, daß ich ihre verschwenderische Lebensweise nicht unterstützen kann. Auf wie lange hat sie sich bei Ihnen eingemietet?«

      »Es ist nur wochenweise gemietet worden, und Mrs. Nickleby hat für die ersten acht Tage vorausbezahlt.«

      »Dann werden Sie gut tun, ihr sofort zu kündigen. Das beste ist, wenn sie wieder aufs Land zurückgeht. Hier ist sie nur jedermann im Wege.«

      »Allerdings«, erwiderte Miss La Creevy, sich die Hände reibend, »wäre es sehr unpassend für eine Dame wie Mrs. Nickleby, wenn sie Zimmer mieten würde, ohne die Mittel zu besitzen, sie auch zu bezahlen.«

      »Natürlich, natürlich, Madam«, bekräftigte Ralph.

      »Und da ich vorderhand, hm, nur eine einzeln lebende schutzlose Dame bin«, fuhr Miss La Creevy fort, »so könnte ich einen Verlust an Mietzins nicht verschmerzen.«

      »Selbstverständlich nicht, Madam«, stimmte Ralph bei.

      »Immerhin«, fuhr Miss La Creevy, augenscheinlich zwischen Gutmütigkeit und ihrem Vorteile schwankend, fort, »kann ich durchaus nichts gegen die Dame sagen. Wenn sie auch ungemein niedergedrückt zu sein scheint, so ist sie doch sehr gefällig und freundlich, und auch die jungen Leute sind so artig und wohlerzogen, daß man nicht leicht ihresgleichen heutzutage findet.«

      »Ganz gut, Madam«, knurrte Ralph und wandte sich zum Gehen, da ihm dies der Armut gespendete Lob nicht behagte, »ich habe meine Schuldigkeit getan und vielleicht noch mehr, als ich hätte tun sollen. Ich bin es natürlich gewohnt, daß mir die Menschen dafür keinen Dank wissen.«

      »Ich für meine Person bin Ihnen jedenfalls sehr verbunden, Sir«, versicherte Miss La Creevy mit einem zierlichen Knicks. »Übrigens, würden Sie mir nicht vielleicht die Gunst erweisen, einige Proben meiner Porträtmalerei anzusehen?«

      »Sehr gütig, Madam«, lehnte Mr. Nickleby ab und machte sich in großer Eile davon, »aber da ich noch einen Besuch eine Treppe höher abzustatten habe und meine Zeit knapp bemessen ist, so bin ich in der Tat außerstande ...«

      »Ich werde mich jederzeit glücklich schätzen, wenn Sie etwa im Vorübergehen wieder