Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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Wahl treffen können.«

      »Hm«, brummte der Fremde. »Zwanzig Pfund jährlich, glaube ich, Mr. ...«

      »Guineen«, verbesserte der Schulmeister. »Pfund! Was meinen Sie, Mr. Squeers, da ich gleich zwei mitbringe?«

      »Wird sich kaum machen lassen, Sir«, erwiderte Mr. Squeers gekränkt, als ob ihm noch nie früher ein derartiger Antrag gestellt worden wäre. »Doch wir wollen sehen. Viermal fünf ist zwanzig und dies doppelt genommen... Also gut, auf ein Pfund mehr oder weniger soll es uns nicht ankommen. Aber Sie müssen mich bei Ihren Bekannten empfehlen, Sir, damit ich auf diese Weise wieder auf meine Kosten komme.«

      »Sie sind keine starken Esser«, warf Mr. Snawley hin.

      »Oh, das kommt weiter nicht in Betracht«, meinte Squeers, »wir nehmen in unserer Anstalt keine Rücksicht auf falsche Appetite. – Die gesündeste Kost, Sir, die man in Yorkshire nur haben kann, und die besten Lehren in jeder Hinsicht. Alles, was sich ein Knabe nur zu Hause wünschen kann, Mr. Snawley!«

      »Ich lege vor allem auf Sittlichkeit großes Gewicht«, bemerkte Mr. Snawley.

      »Ich freue mich außerordentlich, dies zu hören«, versetzte der Schulmeister stolz und warf sich in die Brust. »Gerade was Moral anbelangt, hätten Sie kein besseres Institut finden können.«

      »Davon bin ich überzeugt, Sir«, erwiderte Mr. Snawley. »Ich habe mich bei einem Herrn, auf den Sie sich beriefen, erkundigt, und erfuhr, Sie seien sehr religiös.«

      »Ich hoffe allerdings, auf den richtigen Pfaden zu wandeln, Sir«, sagte Mr. Squeers bescheiden.

      »Ich hoffe dies von mir gleichfalls. – Aber könnte ich nicht ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen sprechen?«

      »Oh, bitte sehr«, versetzte Squeers grinsend. »Kinderchen, unterhaltet euch inzwischen einige Minuten mit euerm neuen Spielkameraden. Dies ist einer meiner Zöglinge, Sir. Er heißt Belling und ist aus Taunton.«

      »So, so«, sagte Mr. Snawley und musterte den armen Kleinen wie eine Rarität von Kopf bis zu Fuß.

      »Er geht morgen mit mir nach Dotheboys. Der Koffer, auf dem er sitzt, enthält sein Gepäck. Jeder Knabe muß zwei ganze Anzüge, sechs Hemden, sechs Paar Strümpfe, zwei Schlafmützen, zwei Taschentücher, zwei Paar Schuhe, zwei Hüte und ein – Rasiermesser mitbringen.«

      »Ein Rasiermesser?« rief Mr. Snawley »Wozu denn das?«

      »Zum – Rasieren«, sagte Mr. Squeers in gezogenem Tone.

      Es waren zwei einfache Worte, aber in der Art, in der sie ausgesprochen wurden, mußte etwas Bedeutsames liegen, denn der Schulmeister und der Fremde blickten einander einige Augenblicke scharf an und unterdrückten dann ein Lächeln. Snawley war ein wohlgenährter plattnasiger Mann, dunkelfarbig gekleidet, mit langen schwarzen Gamaschen, und seine Mienen trugen den Ausdruck großer Sittenstrenge, so daß dieses Lächeln ohne irgendeinen augenfälligen Grund sich nur um so auffallender ausnahm.

      »Bis zu welchem Alter behalten Sie die Knaben in Ihrer Schule?« fragte er nach einer Pause.

      »Gerade so lange, als ihre Verwandten meinem Geschäftsträger in der Stadt die vierteljährliche Pension vorausbezahlen oder bis die Jungen davonlaufen«, antwortete Squeers. »Wir müssen zur Sache kommen. Kurz und gut, was sind das für Jungen? Natürliche Kinder?«

      »N-nein«, erwiderte Snawley zögernd.

      »Ich glaubte, es wäre so. Wir haben nämlich deren eine große Anzahl. Der Junge dort ist auch eines.«

      »Der Belling?«

      Squeers nickte; der Farbenhändler blickte wieder nach dem Knaben auf dem Koffer hinüber, wandte sich dann um und machte ein Gesicht, als wundere er sich höchlichst, daß das Kind ganz so wie andere aussehe.

      »Ja, ja, so ist's«, bestätigte Squeers. »Aber Sie wollten wegen Ihrer Knaben etwas sagen.«

      »Ja. Hm«, erwiderte Snawley, »die Sache verhält sich so, daß ich nicht ihr eigentlicher Vater, sondern ihr Stiefvater bin, Mr. Squeers.«

      »Ach, so stehen die Sachen!« rief der Schulmeister. »Das erklärt natürlich alles. Ich konnte mir nicht vorstellen, was zum Henker Sie veranlassen konnte, die Jungen nach Yorkshire zu schicken. Ha, ha, ha, jetzt verstehe ich.«

      »Sehen Sie mal, ich habe die Mutter geheiratet«, fuhr Snawley fort, »und es kostet viel, die Kinder zu Hause zu erziehen, und da meine Frau einiges Vermögen besitzt, so fürchte ich, sie könnte es vielleicht für die Jungen verschleudern, was ihnen, wie Sie wissen, doch nur schaden würde. Weiber haben doch keine Einsicht.«

      »Verstehe schon«, wehrte Squeers ab, warf sich in seinem Stuhl zurück und winkte mit der Hand.

      »Und dies«, nahm Mr. Snawley seine Rede wieder auf, »hat mich zu dem Wunsch veranlaßt, sie in einer möglichst entfernt liegenden Kostschule unterzubringen, wo es keine Vakanzen gibt, damit das unzweckmäßige Nachhausekommen der Kinder, das sonst alle Jahre zweimal zum großen Nachteil der Erziehung stattfindet, wegfällt und sie ein wenig abgeschliffen werden. Sie verstehen?«

      »Die Zahlungen regelmäßig, ohne irgendwelche weiteren Erkundigungen?« forschte Squeers.

      »Natürlich. Nur wünsche ich, daß dabei streng auf Sittlichkeit gesehen wird.«

      »Versteht sich.«

      »Ich hoffe, es ist nicht gestattet, daß sie zuviel nach Hause schreiben?« fragte der Stiefvater zögernd weiter.

      »Nie. Nur zu Weihnachten, wo alle in gleicher Weise ihren Angehörigen melden müssen, daß sie sich noch nie so glücklich befunden hätten und wünschten, nie wieder abgeholt zu werden.«

      »Sehr gut, sehr gut«, erwiderte der Stiefvater, sich die Hände reibend.

      »Und wenn wir uns gegenseitig schon so gut verstehen«, fuhr Mr. Squeers fort, »werden Sie mir wohl die Frage gestatten, ob Sie mich auch für einen wirklich moralischen, exemplarischen und untadelhaften Mann im Privatleben betrachten und ob Sie in meine Person als Erzieher und was makellose Rechtlichkeit, Uneigennützigkeit, Religiosität und Tüchtigkeit anbelangt, vollkommenes Vertrauen setzen?«

      »Gewiß«, versicherte der Stiefvater, das Grinsen des Schulmeisters erwidernd.

      »Sie würden also vielleicht auch nichts dagegen haben, wenn ich mich gelegentlich auf Sie berufe?«

      »Nicht das mindeste.«

      »Sie sind ein Mann nach meinem Sinn!« rief Squeers und nahm eine Feder zur Hand. »Das nenne ich mir ein Geschäft, wie ich es liebe.« Nachdem er Mr. Snawleys Adresse notiert hatte, schrieb er noch freudestrahlend eine Quittung über den Empfang der ersten Vierteljahresrate und war kaum mit diesem Geschäft zu Ende, als im Nebenzimmer eine Stimme »nach Mr. Squeers« fragte.

      »Hier bin ich«, antwortete der Schulmeister. »Was steht zu Diensten?«

      »Nur eine Geschäftssache«, sagte Mr. Ralph Nickleby eintretend, wobei ihm Nikolas auf den Fersen folgte. »Diesen Morgen stand eine Annonce unter Ihrem Namen in den Zeitungen.«

      »Gewiß, Sir. Wenn's gefällig ist, näher zu treten«, versetzte Squeers und deutete in das Zimmer mit dem Kamin. »Wollen Sie Platz nehmen?«

      »Ich dächte schon«, brummte Ralph, ließ seinen Worten die Tat folgen und legte seinen Hut vor sich auf den Tisch. »Dies ist mein Neffe, Sir, Mr. Nikolas Nickleby.«

      »Wie befinden Sie sich, Sir?« fragte Squeers höflich.

      Nikolas verbeugte sich, murmelte, daß er ganz wohl sei, und schien ein wenig erstaunt über das Äußere des Eigentümers von Dotheboys Hall zu sein, wozu er übrigens auch alle Ursache hatte.

      »Vielleicht erinnern Sie sich meiner noch«, begann Ralph nach einer Weile und sah den Schulmeister scharf an.

      »Ich glaube, Sie bezahlten mir einige Jahre lang bei meinen halbjährigen Besuchen in der Stadt eine kleine Rechnung, Sir«, versetzte Squeers.