Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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Wohlgefallen, daß Nikolas sie ordentlich beneidete.

      »Wenn Sie je Gelegenheit haben sollten, Kate irgendeinen kleinen Liebesdienst zu erweisen, nicht wahr, Sie werden es tun?« fragte er, ihr die Hand reichend.

      »Sie können sich darauf verlassen«, versprach die gutmütige Porträtmalerin. »Gott sei mit Ihnen, auf daß es Ihnen wohl ergehe, Mr. Nickleby.«

      Nikolas kannte die Welt nur wenig, glaubte aber, es könne jedenfalls nicht schaden und es werde Miss La Creevy für die Seinigen günstig stimmen, wenn er ihr einen Kuß gäbe. Er versetzte ihr daher drei oder vier in einer Art scherzhafter Galanterie, und Miss La Creevy legte dagegen kein stärkeres Mißfallen an den Tag, als daß sie ihren gelben Turban zurechtrückte und erklärte, das sei doch wirklich unerhört, und sie hätte nicht geglaubt, daß so etwas überhaupt möglich wäre.

      Als dieses Tête-à-tête sich in so befriedigender Weise abgewickelt hatte, verließ Nikolas eilig das Haus. Es war erst sieben Uhr, als er einen Mann auftrieb, der ihm seinen Koffer trug. Neugierig betrachtete er die geschäftigen Vorbereitungen für den kommenden Tag, die in jeder Straße und vor jedem Hause getroffen wurden, und dachte sich, wie hart es für ihn sei, so weit reisen zu müssen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wo doch so viele Menschen in London durchkamen. Als er endlich vor dem Mohrenkopf in Snow Hill anlangte, den Träger entlohnte und seinen Koffer wohlbehalten im Postbureau eingestellt hatte, sah er sich in den Kaffeezimmern nach Mr. Squeers um.

      Er fand den Schulmeister gerade beim Frühstück, und die drei bereits erwähnten Knaben sowie zwei andere, die Squeers durch einen glücklichen Zufall inzwischen noch aufgetrieben hatte, saßen in einer Reihe auf einer Bank gegenüber. Mr. Squeers hatte eine kleine Kaffeekanne, eine Platte mit gerösteten Brotschnitten und ein Stück kaltes Rindfleisch vor sich und war im Augenblick beschäftigt, das Frühstück für seine Zöglinge zu bereiten.

      »Das soll für zwei Pence Milch sein, Kellner?« fragte er und sah in einen großen blauen Krug, den er ein wenig schräg vor die Augen hielt, um einen genauen Einblick über die enthaltene Flüssigkeit zu gewinnen.

      »Jawoll, das is für zwei Pence«, antwortete der Kellner.

      »Was doch die Milch in London für ein teurer Artikel ist«, seufzte Mr. Squeers. »Also dann füllen Sie mir den Krug mit warmem Wasser, William.«

      »Bis an den Rand, Sir? Na, da wird die Milch ja ersaufen.«

      »Soll sie«, versetzte Mr. Squeers. »Es geschieht ihr ganz recht, warum ist sie so teuer. Haben Sie ein dickes Brot und Butter für drei bestellt?«

      »Wird gleich da sein, Sir!«

      »Ach, hat weiter keine Eile. Wir haben noch Zeit genug. – Haltet eure Lüste im Zaum, Jungens, und giert mir nicht nach Speise und Trank«, ermahnte Mr. Squeers und sprach dabei seinem Roastbeef kräftig zu, als er auf einmal seinen neuangestellten Hilfslehrer erblickte.

      »Setzen Sie sich, Mr. Nickleby«, lud er Nikolas ein. »Sie sehen, wir sind hier beim Frühstück.«

      Nikolas konnte zwar nicht sehen, daß jemand anders als Mr. Squeers frühstückte, verbeugte sich aber mit geziemendem Respekt und machte ein möglichst heiteres Gesicht.

      »Ist das die Milch mit Wasser, William?« fragte Squeers. »Schön, vergessen Sie das Brot und die Butter nicht.«

      Bei dieser abermaligen Erwähnung der Butterbrote machten die fünf Knaben wieder heißhungrige Augen und folgten mit ihren Blicken sehnsüchtig dem Kellner, während Mr. Squeers die Wassermilch kostete.

      »Ah«, rief er dann, mit den Lippen schnalzend, »das ist ja eine treffliche Milch. Denkt an die vielen Bettler und Waisen in den Straßen, die froh wären, ihr Jungens, wenn sie so etwas bekämen. Der Hunger ist eine leidige Sache, nicht wahr, Mr. Nickleby?«

      »Allerdings sehr leidig«, gab Nikolas zu.

      »Wenn ich ›eins‹ zähle«, wendete sich Mr. Squeers an seine Zöglinge und stellte den Krug vor die Kinder hin, »so kann der Knabe, der zunächst dem Fenster sitzt, einen Schluck tun; zähle ich zwei, so trinkt der nächste, und so fort, bis ich zu fünf, das heißt zu dem letzten Knaben komme. Seid ihr bereit?«

      »Ja, Sir«, riefen die Kleinen einstimmig.

      »Dann ist's recht«, sagte Mr. Squeers, ruhig mit seinem Frühstück fortfahrend. »Haltet euch fertig, bis ich zu zählen anfange. Bezähmt euern Appetit, Jungens, und ihr werdet Herr über eure tierischen Begierden. – Sehen Sie, dies ist die Art, wie wir die Kinder an Selbstbeherrschung gewöhnen, Mr. Nickleby«, fügte er mit von Fleisch und Butterbrotschnitten vollgepfropftem Munde, zu Nikolas gewendet, hinzu.

      Nikolas murmelte etwas, er wußte nicht was, als Erwiderung, und die Knaben teilten ihre Blicke zwischen dem Krug, dem Butterbrot, das inzwischen angelangt war, und jedem Bissen, den Mr. Squeers in den Mund steckte, wobei in ihren heißhungrigen Augen alle Qualen der Erwartung zu lesen waren.

      »Gottlob, das hat geschmeckt«, sagte Squeers, als er mit seinem Frühstück zu Ende war. »Nummer eins kann zu trinken anfangen.«

      Nummer eins riß den Krug an den Mund und hatte eben genug getrunken, um noch begieriger zu sein, als Mr. Squeers das Signal für Nummer zwei gab, der ihn in demselben bedeutungsvollen Augenblick an Nummer drei abgeben mußte. Und so wurde der Prozeß wiederholt, bis die Wassermilch mit Nummer fünf zu Ende war.

      Sodann begann der Schulmeister das »Butterbrot für drei« in ebenso viele Portionen, als Kinder waren, zu teilen und sagte: »Ihr werdet gut tun, mit euerm Frühstück rasch zu machen, denn das Posthorn wird in ein paar Minuten blasen, und dann muß jeder Knabe fertig sein.«

      Da die Kinder jetzt Erlaubnis hatten, fielen sie sofort über das Butterbrot her und schlangen es gierig und in verzweifelter Hast hinunter, während sich der Pädagog, nach seiner Mahlzeit ungemein gut gelaunt, mit der Gabel die Zähne stocherte und lächelnd zusah. Kurz darauf ertönte das Horn.

      »Ich habe mir's gleich gedacht, daß es nicht lange dauern könnte«, sagte Squeers aufspringend und zog einen kleinen Korb unter seinem Sitz hervor. »Legt das, was ihr nicht habt essen können, hier herein, Jungens; es wird euch unterwegs guttun.«

      Nikolas war über diese höchst ökonomischen Maßnahmen nicht wenig verblüfft, hatte aber keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn die Zöglinge mußten auf die Kutsche hinaufgehoben, ihr Gepäck sowie auch das Mr. Squeers' herausgeholt, versorgt und im Wagen untergebracht werden, was alles Sache des Hilfslehrers war. Nikolas hatte alle Hände voll zu tun und war eben mit diesen Vorkehrungen zustande gekommen, als ihn sein Onkel anredete.

      »Ah, du bist hier, Musjö? Deine Mutter und Schwester sind auch da.«

      »Wo?« fragte Nikolas und sah sich hastig um.

      »Hier. Da sie zuviel Geld haben und nicht wissen, was damit anfangen, wollten sie eben eine Droschke nehmen, als ich zu ihnen kam.«

      »Wir fürchteten zu spät zu kommen und ihn nicht mehr zu sehen, ehe er abreiste«, entschuldigte sich Mrs. Nickleby, ihren Sohn umarmend, ohne weiter auf die im Hof umherschlendernden Gaffer zu achten.

      »Schon gut, Madam«, brummte Ralph, »Sie müssen das natürlich am besten wissen. Ich sagte nur, Sie seien eben im Begriff gewesen, eine Droschke zu nehmen. Ich leiste mir nie eine Droschke, Madam. Ich bin seit dreißig Jahren nicht auf eigene Kosten in einer gesessen und hoffe, es soll noch dreißig Jahre dauern, bis ich es tue – wenn ich es erlebe.«

      »Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn ich ihn nicht noch einmal gesehen hätte«, sagte Mrs. Nickleby; »der liebe arme Junge, er ist sogar ohne Frühstück fortgegangen, weil er uns den Abschiedsschmerz ersparen wollte.«

      »Wirklich außerordentlich zartsinnig«, höhnte Ralph. »Als ich ins Geschäftsleben trat, kaufte ich mir jeden Morgen, ehe ich in die City ging, ein Pennybrot und für einen halben Penny Milch. Was sagen Sie dazu, Madam? Frühstück? Lächerlich.«

      »Nun, Nickleby«, meinte Squeers, der in diesem Augenblick, seinen Überrock zuknöpfend, herantrat. »Es wird gut sein,