Charles Dickens

Nikolas Nickleby


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übernahm die Botschaft, verabschiedete sich herzlich von seinem würdigen Onkel, was von dem warmherzigen alten Herrn nur durch ein Brummen erwidert wurde, und eilte fort, um seinen Auftrag auszurichten. Bald fand er sich nach Golden Square zurecht, und Mr. Noggs, der auf seinem Heimwege einen Augenblick im Wirtshause vorgesprochen hatte, drückte eben auf die Türklinke, als Nikolas bei der Wohnung seines Oheims anlangte.

      »Was ist das?« fragte Noggs, auf das Päckchen deutend.

      »Papiere von meinem Onkel«, erwiderte Nikolas. »Er läßt Ihnen sagen, Sie möchten warten, bis er nach Hause käme.«

      »Onkel?« rief Noggs.

      »Mr. Nickleby«, erklärte Nikolas.

      »Kommen Sie herein«, versetzte Newman und führte Nikolas, ohne weiter ein Wort zu sprechen, in den Hausflur und von da in das Bureau, wo er ihm einen Stuhl hinschob und dann selber seinen Schreiberbock bestieg. Dort blieb er mit schlaff herabhängenden Armen sitzen und betrachtete seinen Gast wie von einer Warte herunter.

      »Antwort ist nicht nötig«, richtete Nikolas aus und legte das Päckchen vor sich auf den Tisch.

      Newman erwiderte nichts, verschränkte nur die Arme, streckte den Kopf vor, um Nikolas' Gesicht besser betrachten zu können, und forschte aufmerksam in dessen Zügen.

      »Keine Antwort«, wiederholte Nikolas sehr laut, da er glaubte, Newman Noggs sei schwerhörig.

      Newman faltete nur die Hände über dem Knie und fuhr unbeirrt, ohne eine Silbe laut werden zu lassen, fort, das Gesicht seines Gegenübers zu studieren.

      Dieses Benehmen von Seiten dieses wildfremden Menschen war höchst auffallend und sein Äußeres so sonderbar, daß sich Nikolas nicht enthalten konnte, leise zu lächeln, als er Noggs fragte, ob er vielleicht einen Auftrag für ihn hätte.

      Noggs schüttelte den Kopf und seufzte, worauf sich Nikolas mit der Bemerkung, daß er nicht müde sei, erhob und sich empfehlen wollte.

      Newman Noggs seinerseits atmete jetzt tief auf und unterzog sich einer Anstrengung, der ihn niemand, am wenigsten einem Fremden gegenüber, für fähig gehalten haben würde. Er sagte, ohne auch nur ein einziges Mal zu stottern, daß es ihm sehr angenehm wäre, zu erfahren, was Mr. Ralph zu tun gedenke, wenn es der junge Herr für gut finden sollte, eine Mitteilung darüber zu machen.

      Nikolas sah nicht ein, warum er es nicht sollte, und war im Gegenteil sehr erfreut, eine Gelegenheit zu finden, sich über das, was sein Inneres so ganz ausfüllte, auszulassen. Er setzte sich daher wieder nieder und erging sich mit Wärme in einer glühenden Schilderung all der Ehren und Vorteile, die er sich von seiner Anstellung an dem Sitze der Gelehrsamkeit in Dotheboys Hall versprach.

      »Aber was ist Ihnen denn? Sind Sie unwohl?« unterbrach er sich plötzlich, als der Schreiber sich in den verschiedenartigsten seltsamsten Stellungen verdrehte, die Hände unter seinem Sitz verkrampfte und mit den Gelenken knackte, als wolle er sich alle Finger zerbrechen.

      Newman Noggs erwiderte kein Wort und fuhr nur fort, die Achseln zu zucken und mit den Knöcheln zu knacken. Dabei verzog er das Gesicht zu einem grauenhaften Lächeln und starrte mit gespenstigem Ausdruck unverwandten Blickes ins Leere.

      Anfangs glaubte Nikolas, der rätselhafte Mensch habe einen Anfall von Veitstanz, aber bei weiterer Überlegung entschied er sich für die Meinung, er wäre wohl betrunken, und hielt es daher für das vernünftigste, sich ohne weitere Erklärung zu entfernen. Als er die Türe öffnete, blickte er noch einmal zurück, aber Newman Noggs erging sich noch immer in denselben seltsamen Gebärden, und das Knacken seiner Finger tönte noch lauter als vorher.

      Wenn Tränen, die in einen Koffer träufeln, ein Schutzmittel wären, das den Eigentümer vor Leid und Mißgeschick bewahren könnte, so hätte Nikolas Nickleby seine Reise unter den glücklichsten Vorbedeutungen begonnen. Man hatte soviel zu tun und doch so wenig Zeit dazu; so viele herzliche Worte zu sprechen und doch so bitteren Schmerz im Herzen, daß die Vorbereitungen für die Reise in größter Trauerstimmung getroffen wurden.

      Nikolas bestand darauf, hunderterlei Dinge, die Mutter und Schwester in ihrer Besorgnis für unentbehrlich für ihn hielten, nicht mitzunehmen, da sie den Seinigen in der Not vielleicht nützlich sein und erforderlichenfalls zu Geld gemacht werden könnten. Manch zärtlicher Wortwechsel über derartige strittige Punkte fand in der traurigen Nacht statt, die seiner Abreise voranging, und je näher sie das Ende eines jeden dieser harmlosen Zwiste dem Schlusse ihrer Vorbereitungen brachte, desto geschäftiger wurde Kate und desto mehr weinte sie im stillen.

      Der Koffer war endlich gepackt, und dann wurde das Abendessen mit einigen für diesen Anlaß bereiteten Leckerbissen herbeigebracht, deren Bestreitung willen Kate und ihre Mutter insgeheim nicht zu Mittag gegessen hatten. Die Bissen quollen jedoch Nikolas im Munde, und es wollte ihm fast das Herz brechen, trotzdem er sich bemühte, fröhlich zu sein, und sich zwang zu lächeln.

      Um sechs Uhr morgens nach einem unruhigen Schlummer erhob er sich leise, schrieb mit Bleistift einige Worte des Abschieds auf einen Zettel, da er sich den Schmerz eines mündlichen Lebewohls ersparen wollte, legte ihn nebst der Hälfte seiner spärlichen Barschaft vor die Türe seiner Schwester, nahm seinen Koffer über die Schultern und schlich sachte die Stiegen hinunter.

      »Hanna, bist du's?« rief Miss La Creevy aus ihrem Arbeitszimmer, aus dem hervor der matte Schein eines Kerzenlichtes die Wand des Stiegenhauses beleuchtete.

      »Nein, ich bin's, Miss La Creevy«, sagte Nikolas, setzte seinen Koffer nieder und blickte in die Stube.

      »O du mein Himmel«, rief Miss La Creevy aufspringend und fuhr sich mit der Hand nach ihren Haarwickeln. »Sie sind aber sehr früh auf, Mr. Nickleby.«

      »Sie gleichfalls, Madame«, erwiderte Nikolas.

      »Die Kunst lockt mich so zeitig aus den Federn, Mr. Nickleby. Ich warte, bis es hell wird, um eine Idee auszuführen.« Miss La Creevy war nämlich so früh aufgestanden, um eine Phantasienase in das Miniaturporträt eines häßlichen kleinen Jungen zu malen, das die Bestimmung hatte, seiner Großmutter auf dem Lande geschickt zu werden, in der Erwartung, sie würde ihn in ihrem Testament besonders bedenken, wenn sie bei dem Bilde eine Familienähnlichkeit herausfinde.

      »Eine Idee auszuführen«, wiederholte Miss La Creevy, »und da kommt mir der Umstand, daß ich in einer so belebten Straße, wie der Strand ist, wohne, sehr zustatten. Wenn ich einer passenden Nase oder eines Auges für einen meiner Kunden bedarf, so brauche ich mich bloß ans Fenster zu setzen und zu warten, bis das vorbeikommt, was ich brauche.«

      »Dauert es lange, bis eine geeignete Nase vorbeikommt?« fragte Nikolas lächelnd.

      »Das hängt doch ganz davon ab, was es für eine sein soll. Stumpfnasen und Habichtsnasen gibt es genug, und Plattnasen von jeder Sorte und Größe trifft man, wenn es eine Versammlung in Exeter Hall gibt; aber wirkliche Adlernasen sind, wie ich mit Bedauern gestehen muß, sehr selten, und doch brauchen wir sie so oft für Offiziere und öffentliche Würdenträger.«

      »Wirklich? Nun, wenn mir auf meinen Reisen eine solche vorkommen sollte, so will ich versuchen, Ihnen ein Konterfei davon anzufertigen.«

      »Sie wollen damit doch nicht sagen, daß Sie wirklich die Absicht haben, bei diesem kalten Winterwetter den weiten Weg nach Yorkshire hinunter zu machen, Mr. Nickleby?« fragte Miss La Creevy. »Ich hörte Sie am verflossenen Abend davon sprechen.«

      »Allerdings habe ich die Absicht«, erwiderte Nikolas. »Sie wissen, die Not kennt kein Gebot.«

      »Nun, da kann ich weiter nichts sagen, als daß es mir wirklich leid tut, sowohl um Ihrer Mutter und Schwester als auch um Ihretwillen. – Ihre Schwester ist ein so hübsches Mädchen, Mr. Nickleby, und schon deswegen könnte sie sehr notwendig einen Beschützer brauchen. Ich habe sie überredet, mir ein paarmal zu sitzen, um ihr Bild für meinen Haustürrahmen benutzen zu können. Oh, das wird eine