Ларс Соби Кристенсен

Herman


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      »Du wolltest die Fensterrahmen im ersten Stock vom Sommerhaus auf Nesodden anmalen.«

      »Zum Glück bin ich ins Gras gefallen. Aber die ganze Farbe habe ich abgekriegt, und dabei wurde ich natürlich grün. Das war so um die Mittsommernacht, und ich wurde erst im August gefunden. Willst du die letzte Fischfrikadelle?«

      »Ich soll lieber nichts zwischen den Mahlzeiten essen.«

      »Dann nehm’ ich sie. – Aber ansonsten war ich damals frisch wie ein Fisch. Wohin guckst du, Herman?«

      »Auf deinen Kopf. Warum hast du keine Haare?«

      »Weil ich bald sterben werde. Das ist bei mir wie mit dem Herbst. Die Blätter fallen.«

      »Wirst du zum Schluß dann Winter?«

      »Ja. Ein langer, langer Winter.«

      Als Herman nach Hause kommt, hört er, daß Mutter zwei Teller auf den Boden fallen läßt, und das ist mehr als üblich. Vater steht mit einem Handtuch über der Schulter in der Badezimmertür und starrt ihn an, als hätten sie sich nie zuvor gesehen.

      »Hallo, Herman«, sagt Vater endlich, aber seine Stimme ist anders, so als würde er direkt in einen leeren Blumentopf sprechen.

      Herman begreift sofort: Vater hat natürlich vom Kran aus alles gesehen, auch daß er über Ruby das Blaue vom Himmel gelogen hat.

      »Ich wollte es nicht«, murmelt er.

      »Was wolltest du nicht?« fragt Vater leise.

      »Du hast mich gesehen, nicht wahr?«

      Vater muß gründlich nachdenken, dazu packt er seinen Kopf ins Handtuch. Dann guckt er wieder hervor.

      »Ich habe dich den ganzen Tag nicht gesehen. Es waren zu viele Wolken am Himmel. Aber ich habe einem Flugzeug geholfen, das auf dem Fornebo-Flugplatz landen wollte.«

      Er wirft Herman das Handtuch zu.

      »Nein, das ist nicht ganz richtig«, fährt Vater fort. »Hab’ nicht mal ein Flugzeug gesehen. Nur einen Vogel. Hab’ ihm ein Stück Brot gegeben.«

      Mutter kommt mit müden Augen und schmutzigem Gesicht zum Vorschein.

      »Du brauchst dich nicht mehr zu waschen. Das Mittagessen ist fertig.

      »Aber du mußt dich waschen«, lacht Herman und wirft Mutter das Handtuch zu.

      Der Fischpudding ist ziemlich angebrannt, und die Kartoffeln fast zu Mus gekocht. Herman bereut, daß er nicht bei Großvater zwischen den Mahlzeiten gegessen hat. Auch Mutter ist nicht besonders hungrig, sie erzählt in einem fort von Pfand, der darauf bestand, daß die Bierflaschen voller Ameisen seien, und von Jacobsen junior, der von einer Dame mit großem Hut und langem Rock Besuch bekam.

      »Bist du krank, Mutter?« fragt Herman.

      Sie wendet sich ihm schnell zu und sieht merkwürdig aus.

      »Krank? Warum fragst du das?«

      »Du ißt so wenig.«

      »Sie will mal wieder abnehmen«, sagt Vater.

      Mutter schaut auf, nimmt sich eine angebrannte Puddingscheibe und redet mit vollem Mund.

      »Meinst du, ich bin zu dick?«

      »Ich kann dich mit einem einzigen Finger hochheben«, prahlt Vater, tut es aber glücklicherweise nicht.

      »Vielleicht kannst du ja Großvater mit dem Kran nach unten auf die Straße heben«, schlägt Herman vor.

      »Das ist eine Idee. Es muß allerdings sorgfältig geplant werden.«

      »Wir heben ihn durchs Fenster. Aber wir müssen es machen, bevor es Winter wird.«

      »Wie geht es Großvater?« fragt Mutter.

      »Er ist frisch wie ein Fisch.«

      Vater steht auf und deckt den Tisch ab, dabei fällt ihm eine Gabel auf den Boden, und als er sie aufheben will, rutscht auch noch ein Glas herunter.

      »Hast du mit dem Dicken geredet?« fragt Herman und schaut Mutter an, denn er kann es nicht mit ansehen, wie Vater auf dem Linoleum herumkriecht, die Glasscherben zusammensucht und einen ganz roten Nacken hat.

      »Jaja, ich habe mit dem Dicken geredet. Wo ist das Wechselgeld?«

      »Ich dachte, du hättest es vergessen«, meint Herman.

      »Ich habe es wirklich vergessen«, sagt Mutter. »Kauf dir was Schönes davon.«

      Herman sieht sie verwirrt an.

      »Können wir uns das denn leisten?«

      »Ist schon in Ordnung, Herman.«

      Vater steht schnell auf und stößt fast mit dem Kopf gegen die Zimmerdecke.

      »Ich habe mit unserem Vorarbeiter geredet. Nicht daß ich ihn fragen müßte, aber du kannst mal mit auf den Kran kommen. Was sagst du dazu?«

      Herman weiß nicht so recht, was er dazu sagen soll. Aber er will Vater nicht enttäuschen.

      »Das wird prima! Dann kann ich meinen eigenen Rükken sehen.«

      Vater wirft die Glasscherben in den Mülleimer und setzt sich schnell.

      »Und dann gehen wir Aal angeln!«

      Herman guckt woanders hin. Vater beugt sich über den Tisch und wedelt mit den Armen, um die Größe zu zeigen.

      »Am Fred-Olsen-Kai! Das ist der beste Platz. Und zwar, weil genau da die Abwässer rauskommen.«

      »Hör bloß auf!« ruft Mutter und steht mit einem Ruck auf.

      Vater blickt sich unglücklich um. Herman sieht, daß er Hilfe braucht.

      »Aber ich will sie nicht erwürgen«, sagt er.

      Vater lächelt erleichtert.

      »Wir erwürgen sie nicht, Herman. Wir nehmen Nägel, drei Zoll lang. Direkt in den Kopf, so!«

      Mutter flieht bereits aus dem Zimmer.

      Und dieser Abend wird immer merkwürdiger. Vater ißt Abendbrot, ohne sich zu waschen, und Mutter holt eine Mütze hervor, die sie vorletztes Jahr zu stricken begonnen hat. Herman stellt fest, daß es wohl am vernünftigsten ist, gleich gute Nacht zu sagen, und nimmt alle Kastanien mit ins Bett. Das ist mit das Beste, was er sich denken kann, Kastanien auspacken. Daß sich hinter so einer Schale mit spitzen Stacheln etwas so Schönes und Glattes befinden kann, ist kaum zu glauben. Er legt die Kastanien neben sich aufs Kopfkissen, und eine muß er einfach in den Mund stecken.

      Genau in dem Moment kommt Mutter herein und setzt sich leise aufs Bett.

      »Ißt du Kastanien, Herman?«

      »Isch prober nor.«

      Mutter streicht ihm den Scheitel entlang, er fängt an zu lachen und muß die Kastanie ausspucken. Sie trifft den Globus mitten in Amerika.

      »Der Haarschnitt ist richtig gut geworden.«

      »Nicht schlecht.«

      »Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«

      »Nein und nochmals nein.«

      »Das macht nichts. Morgen brauchst du nicht zur Schule. Wir müssen mal zum Arzt.«

      Herman richtet sich im Bett auf und ist hellwach.

      »Bist du krank, Mutter?«

      Sie legt ihm einen Finger auf die Stirn und drückt ihn sanft wieder ins Bett.

      »Der Arzt soll uns bloß mal angucken. Es ist nichts Gefährliches.«

      Daß sie so redet, macht Herman nur noch nervöser.

      »Es ist doch nicht der Blinddarm?« fragt er.

      »Hast du Bauchschmerzen?«

      »Vielleicht.